04.02.2014

Kindergeld: Zum Pflegekindschaftsverhältnis eines 17 Jahre alten irakischen Kindes zu seiner in Deutschland lebenden Tante

Ein Kindergeldanspruch kann auch für ein 17 Jahre altes Pflegekind bestehen, wenn der Steuerpflichtige mit ihm durch ein familienähnliches, längerfristiges Band verbunden ist, sofern er es nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Letzteres besteht jedenfalls dann nicht, wenn die alleine noch lebende Mutter im Irak lebt, und aufgrund der Trennung und spärlicher Telefonkontakte rein faktisch nicht in der Lage ist, wesentliche fürsorgende Aktivitäten zu entwickeln.

FG Münster 8.1.2014, 14 K 1703/13 Kg
Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt Kindergeld für ihre am 8.8.1995 geborene Nichte W. Sowohl die Klägerin als auch W besitzen die irakische Staatsangehörigkeit. Der Klägerin wurde im Mai 2010 eine bis April 2013 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG mit dem Zusatz "Erwerbstätigkeit gestattet" erteilt. Seit April 2013 ist sie im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG.

Im März 2013 wurde die Klägerin vom Amtsgericht C zum Vormund von W bestellt, die ausweislich einer Meldebescheinigung der Stadt C seit September 2012 bei ihr in Deutschland wohnt. Seit November 2012 besucht W ein Berufskolleg. Ihr Vater ist in 2002 verstorben und ihre Mutter, die Schwester der Klägerin, lebt im Irak.

Die beklagte Familienkasse lehnte den von der Klägerin gestellten Antrag auf Kindergeld ab mit der Begründung, dass kein Pflegekindschaftsverhältnis vorliege, weil eine familienähnliche Bindung kurz vor Eintritt der Volljährigkeit grundsätzlich nicht mehr begründet werden könne.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Familienkasse ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Kind W bei der Klägerin nicht als Pflegekind zu berücksichtigen ist.

Ein Kindergeldanspruch besteht auch für Pflegekinder, also solche Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Streitig ist vorliegend allein, ob zu dem Zeitpunkt, als die Haushaltsaufnahme erfolgt ist, noch ein familienähnliches Band zwischen W und der Klägerin begründet werden konnte. Die Familienkasse verneint und meint, ein solches Band habe "wegen der bevorstehenden Volljährigkeit des Kindes" grundsätzlich nicht mehr begründet werden können.

Die von der Familienkasse offenbar in Bezug genommene, zu Volljährigen ergangene BFH-Rechtsprechung ist vorliegend jedoch nicht anwendbar, da W im Zeitpunkt ihrer Haushaltsaufnahme weder volljährig war noch der Eintritt der Volljährigkeit unmittelbar bevorstand. Vielmehr ist W kurz nach ihrem 17. Geburtstag in den Haushalt der Klägerin aufgenommen worden. Selbst wenn mit der Volljährigkeit sämtliche Erziehungsbedürftigkeit wegfiele, hätte das von der Rechtsprechung geforderte "Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis" also noch über zehn Monate bestanden. Ein derartiger Zeitraum reicht aus, um ein familienähnliches Band begründen zu können.

Zudem bestand im Streitzeitraum kein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern. Die Inobhutnahme und Pflege des Kindes lagen ausschließlich in Händen der Klägerin. Der Kindesvater war im Streitzeitraum bereits verstorben und die Kindesmutter, die im Irak verblieben ist und W seit deren Aufenthalt in Deutschland nicht mehr gesehen hat, war aufgrund der räumlichen Trennung und den nur spärlichen Telefonkontakten schon rein faktisch nicht in der Lage, wesentliche fürsorgende Aktivitäten zu entwickeln, um auf eine positive Entwicklung von W in der Zukunft hinzuwirken.

Die Mutter hielt vielmehr lediglich sporadischen Kontakt zu ihrer Tochter, ohne ihr die Geborgenheit eines Zuhauses zu gewähren (keine Obhut) und ohne sich in irgendeiner Form um die Entwicklung ihrer Tochter aktiv zu kümmern (keine Pflege). Für einen "ausreichenden Kontakt" i.S.d. BFH-Rechtsprechung kann es nicht maßgeblich sein, dass ein Elternteil überhaupt noch in irgendeinem Kontakt zu dem Kind steht. Vielmehr muss dieser Kontakt Elemente der Obhut und Pflege umfassen, damit man von einem fortbestehenden Obhuts- und Pflegeverhältnis sprechen kann. Daran jedoch fehlt es hier.

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