09.02.2023

Körperschaftsteuerrechtliche Organschaft im Fall der Insolvenz

1. Die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags ist Voraussetzung für die Anerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Kann ein vorläufiger Jahresabschluss der Organgesellschaft wegen Insolvenz nicht mehr korrigiert werden und wäre bei zutreffender Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze im endgültigen Jahresabschluss ein anderes Ergebnis auszuweisen, kann diese Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags ungeachtet der Insolvenz nicht in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG "geheilt" werden.
2. Kommt es während der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren zur Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags, führt dies nicht nur zu einer Unterbrechung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft für einzelne Veranlagungszeiträume, sondern insgesamt zu einer (rückwirkenden) Nichtanerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft.

Kurzbesprechung
BFH v. 2. 11. 2022 - I R 29/19

KStG § 14 Abs 1 S 1 Nr. 3 S 1, § 14 Abs 1 S 1 Nr. 3 S 2, § 14 Abs 1 S 1 Nr. 3 S 3, § 14 Abs 1 S 1 Nr. 3 S 4
AktG § 291
InsO § 80, §§ 80ff
GewStG § 2 Abs 2 S 2


Streitig war, ob die Insolvenz beider Parteien eines Gewinnabführungsvertrags vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit dazu führt, dass einer ertragsteuerrechtlichen Organschaft rückwirkend die steuerliche Anerkennung zu versagen ist.

Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Zu diesen Voraussetzungen gehört u.a., dass der Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen ist und während seiner gesamten Geltungsdauer durchgeführt wird (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG).

Ist eine Kapitalgesellschaft Organgesellschaft i.S. der §§ 14, 17 oder 18 KStG, gilt sie gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte des Organträgers (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG).

Im Streitfall war das FG zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen der Organträgerin und der Organgesellschaft zunächst eine wirksame Organschaft i.S. des § 14 KStG begründet wurde. Insbesondere erfüllte der EAV die Bedingung der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Hierfür reicht es aus, dass ein EAV auf mindestens fünf Zeitjahre vereinbart wird.

Unzutreffend war jedoch die Entscheidung des FG, auch die Voraussetzung der tatsächlichen Durchführung des EAV nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG als erfüllt anzusehen. Denn die tatsächliche Durchführung des EAV setzt voraus, dass er entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen vollzogen wird. Dies bedeutet u.a., dass die nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ermittelten Gewinne tatsächlich durch Zahlung oder Verrechnung an den Organträger abgeführt werden.

"Verrechnung" ist in diesem Zusammenhang dahin zu verstehen, dass es sich um eine einer tatsächlichen Zahlung gleich stehende Aufrechnung handeln muss; die reine Buchung der Forderung ohne Erfüllungswirkung ist dagegen nicht ausreichend.

Im Streitfall war das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Durchführung des EAV durch den vorläufigen Jahresabschluss auch endgültig erfüllt werden kann. Vielmehr kommt es für die tatsächliche Durchführung des EAV auf das Ergebnis an, das bei zutreffender Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze in einem endgültigen Jahresabschluss auszuweisen wäre. Sofern der vorläufig abgeführte Gewinn bzw. der vorläufig erstattete Fehlbetrag nicht dem Betrag entsprechen, der in einer endgültigen Bilanz auszuweisen wäre, führt dies zu einer schädlichen Nichtdurchführung des EAV.

Die Nichtdurchführung des EAV konnte im Streitfall auch nicht durch § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG geheilt werden. Denn diese Regelung gilt ausdrücklich nur für die spätere Korrektur fehlerhafter Bilanzansätze eines wirksam festgestellten Jahresabschlusses. Hieran fehlte es im Streitfall, da nur ein vorläufiger Jahresabschluss vorlag.

Die Nichtdurchführung des EAV war auch nicht in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG, der vorsieht, dass eine vorzeitige Beendigung des Vertrags durch Kündigung unschädlich ist, wenn ein wichtiger Grund die Kündigung rechtfertigt, unerheblich.

Schließlich war auch eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG ausgeschlossen. Gegen eine Ausdehnung dieser Vorschrift im Wege der Analogie spricht ebenfalls der Ausnahmecharakter der Regelungen über die Organschaft. Im Übrigen ist für den BFH keine Regelungslücke erkennbar. Denn der Gesetzgeber hat § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG ausdrücklich nur auf die erste Voraussetzung des Satzes 1 bezogen, d.h. die Mindestvertragslaufzeit des EAV. Daran hat er auch im Zuge der Einführung der Heilungsmöglichkeit nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG festgehalten.

Der BFH hob daher die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Denn das FG hatte zwar die Höhe der Jahresüberschüsse bzw. Jahresfehlbeträge der Organträgerin festgestellt, die der Organgesellschaft aufgrund der Organschaft in den Streitjahren zugerechnet worden waren. Welche konkreten Folgen die Nichtanerkennung der Organschaft in den Streitjahren hatte, ließ sich im Streitfall aber nicht herleiten.

Beraterhinweis: Siehe hierzu auch die teilweise inhaltsgleiche Entscheidung des BFH v. 2. 11. 2022 - I R 37/19, wonach die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG) sich nicht nur auf den Schlusspunkt des Ausgleichs aller aus dem Gewinnabführungsvertrag resultierenden Forderungen und Verbindlichkeiten bezieht. Vielmehr müssen die entsprechenden Forderungen und Verbindlichkeiten auch in den Jahresabschlüssen gebucht werden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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