Kosten für unmittelbar nach Schulabschluss angefangene Erstausbildung und Erststudium können in voller Höhe abziehbar sein
BFH 27.7.2011, VI R 38/10 u.a.Im ersten Fall (Az.: VI R 38/10) hatte der Kläger im Juli 2004 bei einer Tochtergesellschaft einer Fluglinie die Ausbildung zum Berufspiloten aufgenommen. Hierfür entstanden ihm Aufwendungen von rund 28.000 €. In dieser Höhe beantragte er mit seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr einen Verlustvortrag festzustellen. Er berief sich darauf, dass diese Ausbildungskosten vorweggenommene Werbungskosten für seine künftige nichtselbstständige Tätigkeit als Pilot seien.
Im zweiten Fall (VI R 7/10) nahm die Klägerin im Anschluss an ihr Abitur im Jahr 2005 ein Medizinstudium in Ungarn auf, da sie in Deutschland zuvor keinen entsprechenden Studienplatz erhalten hatte. In ihren Einkommensteuererklärungen der Streitjahre 2004 und 2005, in denen sie weder berufstätig war noch Einkünfte erzielte, machte sie Aufwendungen für ihr Studium als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 11.453 € (2004) und 12.079 € (2005) geltend, insbesondere für Rechtsverfolgung, Reisen und Studium.
Die Finanzämter lehnten die beantragten Verlustfeststellungen ab. Sie beriefen sich dazu auf die ab 2004 geltende Regelung des § 12 Nr. 5 EStG, die bestimme, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium im Rahmen der Einkünfteermittlung nicht abziehbar sind, wenn die Aufwendungen nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Dieser Auffassung folgten auch die FG.
Auf die Revisionen der Kläger hob der BFH in beiden Fällen die Urteile auf und wies die Sachen zu erneuten Verhandlungen und Entscheidungen an die FG zurück.
Die Gründe:
Entgegen der Ansichten der Finanzämter und der FG konnte aus § 12 Nr. 5 EStG kein generelles Abzugsverbot hergeleitet werden.
Der neu geschaffene § 12 Nr. 5 EStG setzt nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang das für den Werbungskostenabzug tragende Veranlassungsprinzip nicht außer Kraft. Auch unter Berücksichtigung der vorgefundenen Gesetzesmaterialien lässt sich kein grundlegender Systemwechsel erkennen, der das gesamte und insbesondere unverändert fortgeltende übrige Normengefüge des Werbungskosten- und Sonderausgabenabzugs (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nrn. 1 bis 11, § 9 Abs. 1, 5, § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG) außer Kraft setzen sollte.
Der § 12 Nr. 5 EStG regelt ausdrücklich, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium bei den einzelnen Einkunftsarten und vom Gesamtbetrag der Einkünfte nur insoweit nicht abgezogen werden dürfen, als in § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht etwas anderes bestimmt ist. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG bestimmt jedoch etwas anderes. Denn danach greift der Grundsatz, dass Aufwendungen nur dann als Sonderausgaben abziehbar sind, wenn nicht der vorrangige Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzug zur Anwendung kommt. In beiden Fällen waren die Kosten der Ausbildungen allerdings hinreichend konkret durch die spätere Berufstätigkeit der Kläger veranlasst, so dass sie als vorweggenommene Werbungskosten berücksichtigt werden mussten.
Infolgedessen hält der erkennende Senat nicht mehr an der in seinem Urteil vom 18.6.2009 (Az.: VI R 31/07) vertretenen, dort allerdings nicht entscheidungserheblichen Auffassung fest, wonach § 12 Nr. 5 EStG in typisierender Weise bestimme, dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung - von dem in Hs. 2 der Vorschrift genannten Fall abgesehen - noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang stehen. Diese Auffassung könnte zwar der Sichtweise der Begründung des § 12 Nr. 5 EStG entsprechen, findet aber keine hinreichende Grundlage im Wortlaut der Norm.
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