29.08.2024

Landeszuweisung aus strukturpolitischen Gründen kein Entgelt von dritter Seite; keine Liebhaberei im Umsatzsteuerrecht

1. Landeszuweisungen an eine Gemeinde zur Errichtung einer Anlegebrücke für den öffentlichen Fährverkehr sind kein Entgelt, wenn sie nicht für eine Leistung der Gemeinde, sondern aus strukturpolitischen Gründen zur Förderung der Verkehrsinfrastruktur gezahlt werden.
2. Für die Unternehmereigenschaft ist nicht erforderlich, dass eine Tätigkeit auf die Erzielung von Gewinnen gerichtet ist; ein typisch unternehmerisches, marktübliches Verhalten ist auch im Verlustfall unternehmerisch.
3. Bei Eingangsleistungen, die ausschließlich in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen stehen, ist die Art der Finanzierung (durch Einnahmen aus der wirtschaftlichen Tätigkeit oder durch Zuschüsse) für die Feststellung, ob ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, ohne Belang.
4. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts unterhält umsatzsteuerrechtlich nur ein einziges Unternehmen, so dass in dem ihr gegenüber zu erlassenden Umsatzsteuerbescheid all ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten zu erfassen sind.

Kurzbesprechung
BFH v. 17.4.2024 - XI R 13/21

UStG § 1 Abs 1 Nr. 1, § 2 Abs 1, § 2b, § 10 Abs 1, § 15 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 15 Abs 4
EGRL 112/2006 Art 2 Abs 1 Buchst c, 112/2006 Art 9 Abs 1 UAbs 1, 112/2006 Art 9 Abs 1 UAbs 2, 112/2006 Art 13, 112/2006 Art 73
FGO § 118 Abs 2


Streitig war, ob der Steuerpflichtigen, einer kreisangehörigen Gemeinde, im Streitjahr 2013 zugeflossene Beträge als Entgelt von dritter Seite für einen umsatzsteuerpflichtigen Umsatz zu qualifizieren sind oder ob sie sogenannte echte Zuschüsse darstellen.

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, dass die Steuerpflichtige eine zum vollen Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmerin ist und die Landeszuweisung kein Entgelt von dritter Seite für eine Leistung an den Kreis ist.

Das FG hatte zu Recht angenommen, dass die Steuerpflichtige im Streitjahr steuerbare Umsätze ausgeführt hatte. Ein steuerbarer Umsatz in Form einer Leistung gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt voraus, dass der Leistungsempfänger identifizierbar sein und einen Vorteil erhalten muss, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems führt. Im Streitfall war die Verpachtung der Anlegebrücke (Grundstück mit Betriebsvorrichtungen) an eine GmbH gegen Entgelt eine einheitliche, jedenfalls aufgrund der Option der Steuerpflichtigen insgesamt eine umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung. Das Entgelt für diese Leistung bestand aus den Zahlungen der GmbH.

Daneben hatte die Steuerpflichtige mit der Errichtung der Anlegebrücke zum Zwecke der Vermietung an die GmbH eine weitere steuerbare Leistung als Unternehmerin an einen Landkreis ausgeführt und dafür die Kreiszuweisung als Gegenleistung erhalten.

Im Streitfall war die Leistung derart mit einer Zahlung verknüpft, dass sie sich auf die Erlangung der Gegenleistung (Zahlung) richtete. Die Landeszuweisung war auch kein Entgelt von dritter Seite für eine Leistung der Steuerpflichtigen an den Landkreis.

Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG a.F. gehörte "zum Entgelt [auch], was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt". Im Streitfallhatte das FG zu Recht angenommen, dass aus dem der Förderung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis zwar erkennbar war, welche konkrete Handlung den Auslöser für die festgesetzte Zahlung darstellt. Trotzdem lag ein echter Zuschuss vor, weil die Zahlung vorrangig zur allgemeinen Förderung aus strukturpolitischen Gründen (Förderung der Verkehrsinfrastruktur) erfolgte und die Verbindung zwischen der Errichtung der Anlegebrücke und der Zahlung eine bloß technische Anknüpfung darstellte.

Die Steuerpflichtige war mit der Verpachtung der Anlegebrücke auch wirtschaftlich tätig und daher zum Vorsteuerabzug berechtigt. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts wie die Steuerpflichtige war nach dem im Streitjahr maßgebenden ‑ unionsrechtskonform auszulegenden ‑ § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG a.F. unter anderem Unternehmerin, wenn sie ‑ wie im Streitfall - auf privatrechtlicher Grundlage eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübte. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

Die Verpachtung der Anlegebrücke stellte eine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Die Tatsache, dass die Anlegebrücke kostenlos von der Öffentlichkeit betreten werden kann, führte nicht zu einer (teilweisen) hoheitlichen Nutzung, weil das Recht, die Anlegebrücke zu betreten, nicht auf einer Widmung beruht, sondern darauf, dass die GmbH die von ihr gemietete Anlegebrücke ihren Kunden zum Erreichen des Anlegers frei zugänglich machte und dabei rein faktisch auch das kostenlose Betreten von Spaziergängern (Nichtkunden) duldete. Eine hoheitliche Nutzung durch die Gemeinde wurde durch diese Form der Verwendung der Anlegebrücke durch die GmbH nicht begründet.

Der BFH verwies den Streitfall aus verfahrensrechtlichen Gründen an die Vorinstanz zurück, weil die Adressierung des angefochtenen Bescheids Zweifel daran weckt, ob das FA mit ihm das gesamte Unternehmen der Steuerpflichtigen besteuert hat. Wären noch weitere steuerpflichtige Umsätze zu erfassen, könnte die Klage aus anderen als vom FA geltend gemachten Gründen ganz oder teilweise abzuweisen sein.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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