Leistungen von Subunternehmern im Bereich der Betreuung von geistig behinderten Menschen sind steuerfrei
FG Köln 11.8.2016, 13 K 3610/12Die Klägerin war im Streitjahr 2010 selbständig als Subunternehmerin in der ambulanten Eingliederungshilfe gem. § 53 SGB XII tätig. Hierbei betreute sie volljährige Personen ("Klienten") mit einer Behinderung i.S.d.SGB IX im Alltag durch Beratungs-, Begleitungs-, Betreuungs- und Förderleistungen mit dem Ziel, den Klienten einen eigenständigen Alltag und die Eingliederung in das soziale Leben zu ermöglichen. Ein unmittelbares Vertrags-, Abrechnungs- und Vergütungsverhältnis mit dem zuständigen gesetzlichen Sozialhilfeträger, dem Landschaftsverband Rheinland - LVR - bestand dabei nicht, da die Klägerin nicht die vom LVR geforderte Ausbildung für einen Status als "Fachkraft" besaß, sondern als eine "sonstige qualifizierte Person" eingestuft wurde.
Die Vertrags- und Abrechnungsbeziehung gestaltete sich wie folgt: Die Klägerin schloss mit einem Anbieter (d.h. einem ggü. dem LVR abrechnungsberechtigten Leistungserbringer) einen Vertrag über eine freie Mitarbeit in Form eines Dienstvertrages. Im Vertrag wurden insbesondere Art und Umfang der Tätigkeiten, eine Schweigepflicht, die Weisungsfreiheit der Klägerin, die Vergütung sowie Kündigungsmöglichkeiten geregelt. Zwischen dem LVR (als Sozialhilfeträger) und dem Anbieter (als Leistungserbringer) bestand daneben eine Vereinbarung, welche insbesondere Art, Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen sowie die personelle und sachliche Ausstattung des Anbieters regelte. Die Vereinbarung sah vor, dass Leistungen grds. durch geeignete Fachkräfte erbracht werden. Als "sonstige Kräfte" können geeignete Personen eingesetzt werden, ihr Anteil darf 30 % der beschäftigten Betreuer nicht überschreiten.
Die Klägerin stellte im Streitjahr keine Umsatzsteuer in Rechnung, da sie ihrer Meinung nach gem. § 4 Nr. 16 S. 1k UStG von der Steuer befreit sei. Das Finanzamt verwies auf die Neufassung von § 4 Nr. 16 S. 1k UStG (i.d.F. JStG 2009) und das BFH-Urteil vom 8.11.2007 (Az.: V R 2/06), wonach eine Tätigkeit als Subunternehmer zur Gewährung der Steuerbefreiung nicht (mehr) ausreichend sei. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Die Umsätze der Klägerin waren gem. § 4 Nr. 16 S. 1k UStG (i.d.F. des JStG 2009) steuerfrei. Die verbliebenden Umsätze unterfielen der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG.
Nach § 4 Nr. 16 S. 1k UStG sind die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen steuerfrei, die von Einrichtungen erbracht werden, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet wurden. Die Tätigkeiten und Leistungen der Klägerin waren durch die eingereichten Unterlagen nach Überzeugung des Senats hinreichend nachgewiesen. Eine Umsatzsteuerbefreiung scheiterte auch nicht daran, dass die Klägerin eine natürliche Person ist. Denn der Begriff der "Einrichtung" umfasst unabhängig von der Rechts- oder Organisationsform des Leistungserbringers sowohl natürliche als auch juristische Personen.
Der Gewährung der Steuerbefreiung stand schließlich nicht entgegen, dass die Leistungen der Klägerin nicht unmittelbar gegenüber dem LVR als Sozialhilfeträger abrechnet und von diesem vergütet worden waren, sondern die Abrechnung über die Vertragspartner der Klägerin ("Anbieter") erfolgte und damit die Leistungen der Klägerin lediglich mittelbar vom LVR vergütet wurden. Weder dem Wortlaut der Vorschrift noch den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich ein Unmittelbarkeitserfordernis entnehmen. Der Sinn und Zweck der Vorschrift gebietet es ebenfalls nicht, nur unmittelbare Vergütungen zu begünstigen. Zweck der Regelung ist es, anknüpfend an Art. 132 Abs. 1g MwStSystRL, im öffentlichen Interesse liegende Dienstleistungen auch bei privater Leistungserbringung nicht zusätzlich mit Umsatzsteuer zu belasten und diese Leistungen nicht - häufig zulasten öffentlicher Kostenträger und damit im Ergebnis zulasten der Allgemeinheit - zu verteuern.
Soweit die Finanzverwaltung eine unmittelbare Leistungs- und Vergütungsbeziehung verlangt (i.d.S. BMF-Schreiben vom 20.7.2009 - IV B 9-S 7172/09/10002), vermag der Senat einer solch engen Auslegung vor dem Hintergrund des Gesetzeswortlauts, der europäischen Richtlinien und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH und BFH nicht zu folgen. Da die Frage, ob § 4 Nr. 16 S. 1k. (bzw. aktuell: Buchst. l) UStG eine unmittelbare Leistungs-, Abrechnungs- und/oder Vergütungsbeziehung verlangt, höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärt ist, wurde die Revision zugelassen. Zu früheren Fassungen der Vorschrift sind bereits Revisionsverfahren anhängig (vgl. BFH Az.: XI R 5/15 zu den Kalenderjahren 2002 bis 2006), der BFH hat jüngst zudem in Fällen der Subunternehmerschaft wiederholt die Revision zugelassen (vgl. BFH Az. V R 10/16 und V R 29/16).
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