25.05.2011

Mindestbesteuerung: BFH wendet nach erfolgloser Vorlage an das BVerfG unverständliche Regelung an

Der BFH hat in zwei Revisionsverfahren über die Auslegung einer Norm zur sog. Mindestbesteuerung entschieden, die er ursprünglich als unverständlich beurteilt und deshalb wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarkeit dem BVerfG vorgelegt hatte. Das BVerfG hat den Vorlagebeschluss des BFH als unzulässig verworfen, so dass der BFH nun zur Anwendung der Vorschrift verpflichtet war.

BFH 9.3.2011, IX R 72/04 u.a.
Der Sachverhalt:
+++ IX R 72/04 +++
In dem Verfahren IX R 72/04 erzielte der Kläger im Veranlagungszeitraum 1999 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v. 160.033 DM sowie Verluste aus Gewerbebetrieb i.H.v. 2.383.902 DM. Die Klägerin erzielte Verluste aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 85.901 DM. Das Finanzamt setzte bei dem zusammen veranlagten Ehepaar die Einkommensteuer mit 0 DM fest. Ferner erließ es einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1998, in dem es den 1999 entstandenen Verlust anteilig i.H.v. 110.425 DM in das Streitjahr zurücktrug und die Einkommensteuer auf 33.360 DM festsetzte. Dabei ermittelte es die Höhe des im Streitjahr zu berücksichtigenden Verlustes unter entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 3 und § 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002.

Die Kläger begehrten einen Verlustrücktrag in voller Höhe. Das FG gab der Klage statt. Es vertrat die Auffassung, die Grundsätze der Mindestbesteuerung könnten für das Streitjahr noch keine Geltung beanspruchen. Aus dem Wortlaut des § 10d Abs. 1 S. 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 und nach dem Gesamtzusammenhang der Regelung setze die Vorschrift erkennbar die vorherige Anwendung des § 2 Abs. 3 S. 2 ff. EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 voraus. Diese Norm sei aber erst am 1.1.1999 in Kraft getreten und nach eindeutigem Wortlaut des § 52 Abs. 1 S. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden.

Auf die Revision des Finanzamts hatte der BFH das Verfahren bis zum Ergehen einer Entscheidung des BVerfG in dem Vorlageverfahren 2 BvL 59/06 ausgesetzt. Nach Abschluss dieses Verfahrens hat der Senat das Revisionsverfahren wieder aufgenommen und die Revision abgewiesen.

+++ IX R 56/05 +++
In dem - ebenfalls vorübergehend ausgesetzten - Verfahren IX R 56/05 war die Frage zu entscheiden, ob § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG lediglich auf eine eingeschränkte Verrechnung solcher negativer Einkünfte, die nicht wirtschaftlich erzielt werden (sog. "unechte" Verluste), zielt oder ob unter den Wortlaut der Norm auch solche Verluste fallen, die tatsächlich wirtschaftlich erzielt werden (sog. "echte" Verluste).

Die Kläger - ebenfalls ein zusammen veranlagtes Ehepaar - hatten im Jahr 1997 eine GmbH & Co. KG gegründet, die in der Anlaufphase ihrer Tätigkeit ausschließlich negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielte. Das Finanzamt ließ von dem einheitlich und gesondert festgestellten Gewerbeverlust lediglich einen nach § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG ermittelten Teilbetrag zum Verlustausgleich mit anderen positiven Einkünften der Kläger zu. Hiergegen wandten sich die Kläger, die den Ausgleich aller Verluste begehrten. Sie waren der Ansicht, dass ihnen durch die teilweise Nichtberücksichtigung der gewerblichen Verluste nicht einmal das Existenzminimum verbleibe.

Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BFH, nach Ergehen der oben genannten BVerfG-Entscheidung auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
+++ IX R 72/04 +++
Nach den maßgeblichen Anwendungsbestimmungen des § 52 Abs. 1 und Abs. 25 S. 1 EStG i.d.F. des StEntlG ist bei einem nach § 10d EStG zu beurteilenden Rücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in das Jahr 1998 § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG nicht anzuwenden. Auf die Frage, ob die Norm verfassungswidrig ist oder ob auf der Basis ihrer "rechensystematischen Grundstruktur" dann doch irgendeiner - nachgerade beliebigen - Auslegung zugänglich sein könnte, kam es danach nicht mehr an.

+++ IX R 56/05 +++
Das FG war zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass das Finanzamt die Summe der Einkünfte zutreffend nach der maßgeblichen gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ermittelt hatte.

Die Vorschrift § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG bedurfte der Auslegung, da der Wortlaut der Norm für sich genommen keinen eindeutigen Sinn ergab. Die Regelung war wirtschaftlich zu verstehen und unter Berücksichtigung des Normzwecks, der verfassungsrechtlichen Grenzen des Besteuerungseingriffs sowie des gesetzgeberischen Willens dahin auszulegen, dass die mit ihr verbundene Einschränkung der Verlustverrechnung nur sog. "unechte" Verluste betraf: Dabei zählten negative Einkünfte jedenfalls insoweit zu den "unechten" Verlusten, als sie auf die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen zurückzuführen waren.

Demgegenüber konnten tatsächlich wirtschaftlich erzielte "echte" Verluste - wie die von den Klägern erzielten negativen gewerblichen Einkünfte - bei der Bildung der Summe der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 S. 1 EStG i.d.F. des StEntlG in vollem Umfang horizontal und vertikal ausgeglichen werden.

Hintergrund:
Der BFH hatte die Vorschrift zur sog. Mindestbesteuerung ursprünglich als unverständlich angesehen und sie deshalb wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarkeit dem BVerfG vorgelegt. Das BVerfG verwarf wiederum den Vorlagebeschluss des BFH als unzulässig (Beschluss vom 12.10.2010, 2 BvL 59/06), so dass der BFH nun zur Anwendung der Vorschrift verpflichtet war.

Mit der ab 1.1.1999 anzuwendenden und Ende 2003 wieder ersatzlos gestrichenen Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. StEntlG hatte der Gesetzgeber eine "quellenbezogene Mindestbesteuerung" schaffen wollen. Die sprachlich nahezu unverständliche und verfassungsrechtlich heftig umstrittene Vorschrift hatte in der Fachwelt massive Kritik auf sich gezogen.

Linkhinweis:

  • Die Volltexte der Entscheidungen sind auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext von IX R 72/04 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zum Volltext von IX R 56/05 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BFH PM Nr. 39 vom 25.5.2011
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