14.01.2013

Organisierte Umsatzsteuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel - Finanzbehörden müssen Taterfolg nicht verhindern

Straftäter haben grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermittlungsbehörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird. Gegenstand der Verhandlung war ein international operierendes Umsatzsteuerhinterziehungssystem im Handel mit Emissionszertifikaten, bei dem Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio € hinterzogen wurden.

BGH 21.11.2012, 1 StR 391/12
Der Sachverhalt:
Nach dem europäischen Emissionshandelssystem werden den Betreibern genehmigungspflichtiger Anlagen für definierte Handelsperioden bestimmte Mengen an Emissionsberechtigungen (sog. Emissionszertifikate) zugeteilt. Dieses System basiert auf der europäischen Richtlinie 2003/87/EG vom 13.10.2003, die in Deutschland am 15.7.2004 umgesetzt wurde. Die bei nationalen Registrierstellen (in Deutschland bei der Deutschen Emissionshandelsstelle) ausschließlich elektronisch geführten Emissionszertifikate berechtigen einen Anlagenbetreiber zur Emittierung von CO2 oder anderer Treibhausgase.

Diese Zertifikate können auch verkauft werden. Der Handel kann u.a. online über bei den nationalen Registrierstellen bestehende elektronische Emissionshandelskonten erfolgen. Hierdurch ist ohne großen Aufwand die sekundenschnelle (buchmäßige) Übertragung auch großer Zertifikatemengen im Wert von mehreren Millionen € möglich. Bis zur Einführung des - weniger betrugsanfälligen - Reverse-Charge-Verfahrens für zum 1.7.2010 in Deutschland konnte ein Unternehmer, der mit solchen Zertifikaten handelt, seine eigene Umsatzsteuerzahllast verringern oder sogar Steuervergütungen bewirken, indem er in den von ihm abzugebenden Umsatzsteueranmeldungen die in den Rechnungen der Verkäufer ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 15 UStG als Vorsteuer geltend machte.

Die Betrugsanfälligkeit des früheren Systems hatten sich die sechs Angeklagten (zwei Deutsche, drei Briten und einen Franzosen) zu Nutze gemacht. Sie etablierten ein aus anderen Handelsbereichen bekanntes System: In einer hintereinander geschalteten Leistungskette von Verkäufern und Käufern wird dabei das Emissionszertifikat aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat zunächst an einen ersten inländischen Erwerber (den sog. "Missing Trader") verkauft. Dieser verkauft das Zertifikat mit einem geringen Aufschlag an einen Zwischenhändler (sog. "Buffer") weiter. Es können auch mehrere Buffer zwischengeschaltet sein. Der letzte Buffer verkauft dann das Zertifikat - wiederum mit einem geringen Preisaufschlag - schließlich an den letzten inländischen Erwerber der Leistungskette, den sog. "Distributor".

Für die Angeklagten war dies deshalb lukrativ, weil der "Missing Trader" keine Umsatzsteuer abführt und so dem Buffer einen Gewinn i.H. seines Preisaufschlags ermöglicht. Der "Missing Trader" stellt dem "Buffer" eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Die aus dem Weiterverkauf von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer führt er allerdings plangemäß nicht ab. Seine tatsächlichen Umsätze verheimlicht er den Finanzbehörden; in der Regel verschwindet er nach kurzer Zeit vom Markt (deswegen die Bezeichnung "Missing Trader"). Der "Buffer" nutzt die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug. Die in der Rechnung des Buffers ausgewiesene Umsatzsteuer macht dann der Distributor als Vorsteuer geltend.

Die Angeklagten handelten teils als "Missing Trader", teils als "Buffer". Die "Buffer" gaben zwar Umsatzsteueranmeldungen ab, "neutralisierten" aber ihre Steuerzahllast, indem sie Vorsteuern aus Scheinrechnungen (von Firmen mit denen tatsächlich eine Leistungsbeziehung nicht bestand) gegen rechneten. Die "Buffer" machten jeweils Vorsteuern aus den ihnen vom "Missing Trader" gestellten Rechnungen mit Umsatzssteuerausweis geltend. Distributor war eine deutsche Großbank. Diese erwarb Emissionszertifikate von den Buffern in der Weise, dass ein Mitarbeiter dieser Bank jeweils mitteilte, welche Zertifikatmengen die Bank zu welchen Preisen ankaufen würde. Erst dann fragte dieser "Buffer" bei seinen Lieferanten nach. Der Ankauf erfolgte erst, nachdem der Weiterverkauf gesichert war. Zahlungen an seine Lieferanten leistete der Buffer - insofern völlig risikolos - erst, nachdem er seinerseits den Kaufpreis vereinnahmt hatte.

Das LG sah die aus Rechnungen der vermeintlichen "Lieferanten" geltend gemachte Vorsteuer von insgesamt mehr als 260 Mio. € als hinterzogen an, weil eine Vorsteuerabzugsberechtigung nicht bestand: Soweit es sich nicht ohnehin um Scheinrechnungen nicht existierender Firmen handelte, war eine Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG deshalb nicht gegeben, weil es an einer unternehmerischen Tätigkeit von Rechnungssteller und -empfänger fehlte. Alle Angeklagten erkannten die Möglichkeit einer Einbindung in eine Hinterziehungskette, handelten aber wegen persönlicher Vorteile gleichwohl. Es verurteilte die Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren.

Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten blieb vor dem BGH erfolglos. Die StA nahm ihre Revisionen zurück, infolgedessen ist das Urteil rechtskräftig.

Die Gründe:
Einer vollendeten Steuerhinterziehung steht nicht entgegen, dass Finanzbehörden - wie mit einem Beweisantrag behauptet wurde - zwar einen Tatverdacht hatten, gleichwohl aber aus ermittlungstaktischen Gründen (um den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems nicht zu gefährden) Steuervergütungen gem. § 168 S. 2 AO zustimmten. Schließlich haben Straftäter grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass Finanz- oder die Ermittlungsbehörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 7 vom 14.1.2012
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