05.12.2024

Organschaft und Entnahmebesteuerung bei hoheitlicher Tätigkeit des Organträgers

1. Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers ist unionsrechtskonform (Anschluss an Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.01.2023 - XI R 29/22 (XI R 16/18), BFHE 279, 320).
2. Entgeltliche Leistungen, die eine Organgesellschaft an den Organträger erbringt, sind entsprechend der bisherigen BFH-Rechtsprechung nichtsteuerbar.
3. Erbringt eine Organgesellschaft Leistungen gegen Entgelt an den Organträger, lässt die Nichtsteuerbarkeit das Entgelt nicht entfallen, so dass es mangels Unentgeltlichkeit nicht zu einer Entnahmebesteuerung gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG beim Organträger kommt (insoweit Aufgabe des BFH-Urteils vom 20.08.2009 - V R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863).

Kurzbesprechung
BFH v. 29.8.2024 - V R 14/24 (V R 20/22; V R 40/19)

UStG § 2 Abs 2 Nr, 2 S 1, UStG § 3 Abs 9a Nr, 2
EWGRL 388/77 Art 4 Abs 4, EWGRL 388/77 Art 6 Abs 2 Buchst. b
FGO § 118 Abs 2


Im Streitfall liegt eine Organschaft im Sinne von § 2 Abs  2 Nr. 2 UStG vor, bei der die Steuerpflichtige Organträgerin der U-GmbH als Organgesellschaft ist. Aufgrund der EuGH-Urteile Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie vom 01.12.2022 - C-141/20, EU:C:2022:943 und Finanzamt T vom 01.12.2022 - C-269/20, EU:C:2022:944 ist geklärt, dass die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers unionsrechtskonform ist. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Ist eine Organschaft zu bejahen, sind entgeltliche Leistungen, die eine Organgesellschaft an den Organträger erbringt, nichtsteuerbar. Zweifel, die hieran im Hinblick auf die EuGH-Urteile Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie vom 01.12.2022 - C-141/20, EU:C:2022:943 und Finanzamt T vom 01.12.2022 - C-269/20, EU:C:2022:944 bestanden (BFH-Beschluss vom 26.01.2023 - V R 20/22 (V R 40/19), BStBl. II 2023, 530), sind durch das im Streitfall auf Vorlage durch den erkennenden Senat ergangene EuGH-Urteil Finanzamt T II vom 11.07.2024  - C-184/23, EU:C:2024:599 entfallen. Danach unterliegen gegen Entgelt erbrachte Leistungen zwischen Personen, die ein und derselben Mehrwertsteuergruppe angehören, die von einem Mitgliedstaat als einzige Steuerpflichtige bestimmt wird, selbst dann nicht der Mehrwertsteuer, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf.

Auf dieser Grundlage sind entgeltliche Leistungen einer Organgesellschaft an ihren Organträger auch dann nichtsteuerbar, wenn der Organträger diese für hoheitliche Zwecke, das heißt für außerunternehmerische Zwecke (nichtwirtschaftliche Tätigkeiten im engeren. Denn liegen die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG genannten Voraussetzungen für eine Organschaft vor, übt die Organgesellschaft ihre gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig aus, ohne dass es hierfür auf die Verwendung der durch die Organgesellschaft erbrachten Leistung durch den Organträger ankommt. Aus der zudem in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG angeordneten Behandlung der Unternehmensteile von Organträger und Organgesellschaft als ein Unternehmen folgt keine Einschränkung der sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ergebenden Unselbständigkeit der Organgesellschaft.

Im Streitfall hatte das FG auch zutreffend die Entnahmebesteuerung im Hinblick auf die Entgeltlichkeit der von der U-GmbH erbrachten Leistungen verneint. Erbringt eine Organgesellschaft Leistungen gegen Entgelt an den Organträger, lässt die Nichtsteuerbarkeit das Entgelt nicht entfallen, so dass es mangels Unentgeltlichkeit nicht zu einer Entnahmebesteuerung gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG beim Organträger kommt.

Nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG wird einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen. Der EuGH geht nun davon aus, dass die Erbringung einer Dienstleistung im Zusammenhang mit der hoheitlichen Tätigkeit des Organträgers, der auch der Mehrwertsteuer unterliegende wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, durch ein Mitglied dieser Gruppe nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG besteuert werden darf (EuGH-Urteil Finanzamt T vom 01.12.2022 - C-269/20, EU:C:2022:944, Antwort 2).

Vor dem Hintergrund, dass danach ein Entgelt vorliegt und fehlt es schon deshalb tatbestandlich an einer "unentgeltlichen Erbringung einer anderen sonstigen Leistung" (Dienstleistung) im Sinne des § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG fehlt, hält der BFH an der noch anderslautenden Entscheidung v. 20.8.2009 - V R 30/06 (BStBl. II 2010, 863) insoweit nicht mehr fest, als der erkennende Senat dort aus der organschaftlichen Zusammenfassung zu einem Unternehmen und der sich hieraus ergebenden Unselbständigkeit der Organgesellschaft abgeleitet hat, dass diese trotz vereinbarter Vergütung ihre Leistung nicht gegen Entgelt erbringt, so dass für Zwecke der Entnahmebesteuerung (früher auf derselben unionsrechtlichen Grundlage: Eigenverbrauch) von einer unentgeltlichen Leistung auszugehen. Stattdessen folgt aus der EuGH - Rechtsprechung, dass es sich im Streitfall bei der von der U-GmbH an die Steuerpflichtige erbrachten Leistungen um entgeltliche und zugleich als Innenumsatz nichtsteuerbare Leistungen handelt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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