28.09.2023

Passive Rechnungsabgrenzung erhaltener Zahlungen bei zeitraumbezogenen Leistungen

1. Eine Schätzung der "bestimmten Zeit" als Tatbestandsvoraussetzung für eine passive Rechnungsabgrenzung erhaltener Einnahmen ist zulässig, wenn sie auf "allgemeingültigen Maßstäben" beruht. Daran fehlt es, wenn die angewendeten Maßstäbe auf einer Gestaltungsentscheidung des Steuerpflichtigen beruhen, die geändert werden könnte.
2. Eine Passivierung erhaltener Zahlungen für eine noch ausstehende zeitraumbezogene Leistung ist nicht als erhaltene Anzahlung, sondern nur unter den Voraussetzungen der passiven Rechnungsabgrenzung möglich.

Kurzbesprechung
BFH v. 26.7.2023 - IV R 22/20

EStG § 5 Abs 1 S 1, § 5 Abs 5 S 1 Nr. 2, § 5 Abs 6, § 6 Abs 1 Nr. 3a Buchst b
HGB § 249 Abs 1 S 1, § 250 Abs 2, § 252 Abs 1 Nr. 4 Halbs 2, § 253 Abs 1 S 2, § 264 Abs 2 S 1, § 264a Abs 1, § 266 Abs 3 Abschn. C Nr. 3
EWGRL 660/78 Art 1 Abs 1, 660/78 Art 2 Abs 3
AEUV Art 267


Im Streitfall ging es um die Frage, ob die Steuerpflichtige im Streitjahr 2008 erhaltene Projektentwicklungshonorare durch Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens (RAP), hilfsweise durch Passivierung einer Anzahlung oder durch eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands, neutralisieren konnte.

Der BFH bestätigte im Revisionsverfahren die Entscheidung der Vorinstanz, wonach im Streitfall die Voraussetzungen für die Bildung eines passiven RAP nicht vorlagen.

Nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG ‑ gleichlautend in § 250 Abs. 2 HGB ‑ sind als Rechnungsabgrenzungsposten auf der Passivseite der Bilanz Einnahmen vor dem Abschlussstichtag auszuweisen, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen.

Der Anwendungsbereich der Rechnungsabgrenzung betrifft in erster Linie typische Vorleistungen eines Vertragspartners im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags im Sinne der §§ 320 ff. BGB, ohne auf synallagmatische schuldrechtliche Leistungen beschränkt zu sein. Da das bezogene Entgelt am jeweiligen Bilanzstichtag nur insoweit abzugrenzen ist, als es "Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag" darstellt, muss jedoch eine Verpflichtung zu einer nach diesem Bilanzstichtag (zumindest zeitanteilig) noch zu erbringenden Gegenleistung bestehen. Für eine bereits vollzogene Leistung darf eine Rechnungsabgrenzung nicht erfolgen.

Bei Schuldverhältnissen, die zeitraumbezogene Leistungsverpflichtungen begründen, ist wegen der Gewinnrealisierung danach zu unterscheiden, ob die Dauerhaftigkeit der Leistung selbst anhaftet oder nur den zeitlichen Rahmen für einzelne Leistungen bildet. Im letztgenannten Fall (zum Beispiel bei Sukzessivlieferverträgen und Wiederkehrschuldverhältnissen) tritt die Realisierung schon bei Erfüllung jeder einzelnen Leistung ein. Schuldverhältnisse, bei denen die geschuldete Leistung selbst zeitraumbezogen ist, führen demgegenüber zu einer zeitanteiligen Gewinnrealisierung, wenn für den gesamten Zeitraum eine qualitativ gleichbleibende Dauerverpflichtung besteht.

Wegen der für eine Rechnungsabgrenzung nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG erforderlichen zeitlichen Zuordenbarkeit des Entgelts ("bestimmte Zeit") muss die noch ausstehende Gegenleistung zeitbezogen oder periodisch aufteilbar sein. Ist der Zeitraum unbekannt, über den hinweg die geschuldete Leistung erbracht werden muss, steht nicht fest, in welchem Umfang die erhaltene Einnahme zu Ertrag geworden ist. Um einen willkürlichen Gewinnausweis durch nicht nachprüfbare Annahmen zu vermeiden, setzt das Gesetz deshalb voraus, dass die bereits vergütete Leistung für einen bestimmten Zeitraum geschuldet wird; die Vorschrift dient damit der erforderlichen Objektivierung der Rechnungslegung.

Als Zeitmaßstab kann daher nur eine Größe anerkannt werden, die ‑ wie etwa ein kalendermäßig festgelegter oder berechenbarer Zeitraum ‑ nicht von vornherein Zweifel über Beginn und Ende des Zeitraums aufkommen lässt. Individuelle Schätzungen der Dauer der Gegenleistung hat die Rechtsprechung daher nicht als ausreichend angesehen, wohl aber eine Schätzung aufgrund allgemeingültiger Maßstäbe. Unschädlich ist es, wenn die Gegenleistung zunächst in hinreichender Bestimmtheit ‑ etwa für einen kalendermäßigen Zeitraum ‑ geschuldet wird, die Dauer der Leistungserbringung dann aber tatsächlich länger oder kürzer ausfällt als ursprünglich bestimmt. Die Auflösung des gebildeten RAP ist dann in der Folgezeit lediglich anzupassen.

Im Streitfall war die Entscheidung des FG, die von der Steuerpflichtigen im Streitjahr erhaltenen Honorarzahlungen in dem von ihr abgegrenzten Umfang  nicht Ertrag für eine "bestimmte Zeit" nach dem Bilanzstichtag anzusehen, nicht zu beanstanden. Das FG hatte es auch zutreffend abgelehnt, die im Streitjahr erhaltenen Honorare in dem von der Steuerpflichtigen begehrten Umfang als erhaltene Anzahlungen zu passivieren.

Eine Passivierung erhaltener Anzahlungen auf Bestellungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 264a Abs. 1, § 266 Abs. 3 Abschn. C Nr. 3 HGB ist dort vorzunehmen, wo Vorleistungen auf eine zu erbringende Lieferung oder Leistung erfolgen. Als Leistung kommt hierbei auch eine Dienstleistung in Betracht. Eine Vorleistung ist dann nicht mehr anzunehmen, wenn der Anspruch, auf den geleistet wird, rechtlich bereits entstanden ist.

Das Ziel der Passivierung einer Anzahlung, ein vereinnahmtes Entgelt erst dann erfolgswirksam zu erfassen, wenn es durch Erbringung der dafür noch ausstehenden Gegenleistung realisiert ist, ist zwar mit dem Zweck eines passiven RAP vergleichbar. Anders als ein Entgelt, für das ein passiver RAP gebildet werden kann, ist eine nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 266 Abs. 3 Abschn. C Nr. 3 HGB zu passivierende Anzahlung jedoch weder selbst auf einen bestimmten Zeitraum bezogen, noch hängt ihre Bilanzierbarkeit von einer zeitraumbezogenen Gegenleistung ab.

Handelt es sich also bei der Leistung, für die die Zahlung erfolgt, um eine zeitraumbezogene und keine zeitpunktbezogene Leistung, kann die Passivierung der Zahlung nur im Wege eines passiven RAP nach Maßgabe des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG, nicht aber als Anzahlung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 266 Abs. 3 Abschn. C Nr. 3 HGB passiviert werden. Wollte man stattdessen (stets) eine Anzahlung statt eines passiven RAP bilanzieren, so würde das Kriterium der "bestimmten Zeit" überflüssig und damit der Wille des Gesetzgebers, keine Vorleistungen für eine unbestimmte Zeit nach dem Bilanzstichtag zu bilanzieren, ausgehebelt.

Das FG hatte die von der Steuerpflichtigen nach den einzelnen Projektverträgen zu erbringenden Leistungen zutreffend als zeitraumbezogene Leistung gewürdigt und war im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine Passivierung der erhaltenen Zahlungen nicht als Anzahlung, sondern nur als passiver RAP in Betracht kommt. Nicht zu beanstanden war die Entscheidung des FG auch insoweit, als eine Erhöhung der vom FA bereits berücksichtigten Rückstellung für einen Erfüllungsrückstand der Steuerpflichtigen abgelehnt worden war.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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