Praxisjahr zur Vorbereitung auf den Abschluss als "Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt"
FG Münster v. 8.8.2019 - 4 K 3925/17 Kg
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Mutter des 1996 geborenen A. Dieser hat nach Abschluss seiner Schulausbildung mit Abitur im Juni 2015 eine Berufsausbildung im Ausbildungsberuf "Landwirt" am 12.7.2017 abgeschlossen. Die Familienkasse hob mit dem Ende dieser Berufsausbildung die Kindergeldfestsetzung auf. Danach strebte er den landwirtschaftlichen Abschluss "Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt" an der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen - Berufskolleg, Fachschule für Agrarwirtschaft - Fachrichtung Landwirtschaft (Fachschule) an. Eine Zulassung zur Abschlussprüfung "Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt" kann nur erhalten, wer auch ein Praxisjahr nach seiner Ausbildung nachweisen kann. Auf das Praxisjahr darf nicht verzichtet werden. Die Trägerin der Fachschule empfiehlt, das Praxisjahr vor dem Beginn der Fachschule zu absolvieren. A meldete sich bereits im Juni 2017 bei der Fachschule an.
In der Zeit von August 2017 bis Juli 2018 absolvierte A das Praxisjahr in drei verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben. Im März 2018 teilte die Fachschule dem Sohn der Klägerin mit, dieser werde zum Besuch der Fachschule zum Schuljahr 2018/2019 zugelassen. Allerdings erfolgte die Zulassung unter Vorbehalt, weil A den Nachweis der geforderten Berufspraxis nach der Abschlussprüfung (ab November 2017) noch nicht erbracht hatte. Im August 2018 bescheinigte die Trägerin der Fachschule, dass deren Besuch insbesondere ein einjähriges Praxisjahr voraussetze.
Den unter Hinweis auf das Praxisjahr gestellten Kindergeldantrag der Klägerin lehnte die Familienkasse ab, weil A insoweit allein Berufserfahrungen gesammelt habe. Ein berufsbezogenes Ausbildungsverhältnis (einschließlich Praktikum) sei daher zu verneinen. Das Praxisjahr sei nicht zwingend vor Beginn der Schulausbildung an der Fachschule abzuleisten. Die Berufspraxis schiebe die weitere Berufsausbildung hinaus, so dass keine mehraktige Berufsausbildung vorliege. Da A eine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen habe und er anschließend eine anspruchsschädliche Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, sei kein Kindergeld festzusetzen.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung der Familienkasse ist das von A unternommene Praxisjahr eine Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.
A wurde während seines Praxisjahres im Rahmen einer Berufsausbildung ausgebildet. Liegen - wie hier- mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Zu der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob ein Kind eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen hat, wenn es - wie A als Landwirt - bereits über einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss verfügt, hat sich in jüngerer Zeit der BFH in einer Reihe von Entscheidungen verhalten und dabei seine bisherigen Rechtsgrundsätze fortentwickelt und präzisiert.
Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden.
Im Streitfall ist entgegen der Auffassung der Familienkasse nicht von einer i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG schädlichen Erwerbstätigkeit nach Abschluss der ersten Berufsausbildung auszugehen. Auch unter Berücksichtigung der vorgenannten (neueren) Rechtsprechung des BFH ist die Ausbildungstätigkeit im Vergleich zu den vom Sohn der Klägerin absolvierten Praktika die "Hauptsache". Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Praktika jeweils zeitlich befristet waren und die Arbeitstätigkeit des Sohnes der Klägerin im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet war, seine Beschäftigung also nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wurde.
So ist bereits der zeitliche Aufwand für die Praktika (insgesamt ein Jahr) im Verhältnis zur Dauer der Berufsausbildung an der Fachschule (insgesamt zwei Jahre) untergeordnet. Ungeachtet dessen ist jedenfalls im Praktikantenvertrag zwischen dem Sohn der Klägerin und der Y GmbH & Co. KG in der Präambel berücksichtigt, dass der Sohn der Klägerin eine Ausbildung zum "Staatlich geprüften Agrarbetriebswirt" anstrebt. Dementsprechend hat sich der Ausbildungsbetrieb in § 2 Abs. 1 des Praktikantenvertrages verpflichtet, den Sohn der Klägerin im Betrieb so einzusetzen, dass der Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen i.S.d. Ausbildungsordnung ermöglicht wird. Dass die Praktikantentätigkeit nicht die "Hauptsache" war, folgt zudem daraus, dass der Sohn der Klägerin nach dem Vertrag kein Arbeitnehmer war und ihm mithin kein Urlaubsanspruch zustand.
Linkhinweis:
Rechtsprechungsdatenbank NRW
Die Klägerin ist Mutter des 1996 geborenen A. Dieser hat nach Abschluss seiner Schulausbildung mit Abitur im Juni 2015 eine Berufsausbildung im Ausbildungsberuf "Landwirt" am 12.7.2017 abgeschlossen. Die Familienkasse hob mit dem Ende dieser Berufsausbildung die Kindergeldfestsetzung auf. Danach strebte er den landwirtschaftlichen Abschluss "Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt" an der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen - Berufskolleg, Fachschule für Agrarwirtschaft - Fachrichtung Landwirtschaft (Fachschule) an. Eine Zulassung zur Abschlussprüfung "Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt" kann nur erhalten, wer auch ein Praxisjahr nach seiner Ausbildung nachweisen kann. Auf das Praxisjahr darf nicht verzichtet werden. Die Trägerin der Fachschule empfiehlt, das Praxisjahr vor dem Beginn der Fachschule zu absolvieren. A meldete sich bereits im Juni 2017 bei der Fachschule an.
In der Zeit von August 2017 bis Juli 2018 absolvierte A das Praxisjahr in drei verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben. Im März 2018 teilte die Fachschule dem Sohn der Klägerin mit, dieser werde zum Besuch der Fachschule zum Schuljahr 2018/2019 zugelassen. Allerdings erfolgte die Zulassung unter Vorbehalt, weil A den Nachweis der geforderten Berufspraxis nach der Abschlussprüfung (ab November 2017) noch nicht erbracht hatte. Im August 2018 bescheinigte die Trägerin der Fachschule, dass deren Besuch insbesondere ein einjähriges Praxisjahr voraussetze.
Den unter Hinweis auf das Praxisjahr gestellten Kindergeldantrag der Klägerin lehnte die Familienkasse ab, weil A insoweit allein Berufserfahrungen gesammelt habe. Ein berufsbezogenes Ausbildungsverhältnis (einschließlich Praktikum) sei daher zu verneinen. Das Praxisjahr sei nicht zwingend vor Beginn der Schulausbildung an der Fachschule abzuleisten. Die Berufspraxis schiebe die weitere Berufsausbildung hinaus, so dass keine mehraktige Berufsausbildung vorliege. Da A eine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen habe und er anschließend eine anspruchsschädliche Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, sei kein Kindergeld festzusetzen.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung der Familienkasse ist das von A unternommene Praxisjahr eine Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.
A wurde während seines Praxisjahres im Rahmen einer Berufsausbildung ausgebildet. Liegen - wie hier- mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Zu der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob ein Kind eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen hat, wenn es - wie A als Landwirt - bereits über einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss verfügt, hat sich in jüngerer Zeit der BFH in einer Reihe von Entscheidungen verhalten und dabei seine bisherigen Rechtsgrundsätze fortentwickelt und präzisiert.
Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden.
Im Streitfall ist entgegen der Auffassung der Familienkasse nicht von einer i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG schädlichen Erwerbstätigkeit nach Abschluss der ersten Berufsausbildung auszugehen. Auch unter Berücksichtigung der vorgenannten (neueren) Rechtsprechung des BFH ist die Ausbildungstätigkeit im Vergleich zu den vom Sohn der Klägerin absolvierten Praktika die "Hauptsache". Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Praktika jeweils zeitlich befristet waren und die Arbeitstätigkeit des Sohnes der Klägerin im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet war, seine Beschäftigung also nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wurde.
So ist bereits der zeitliche Aufwand für die Praktika (insgesamt ein Jahr) im Verhältnis zur Dauer der Berufsausbildung an der Fachschule (insgesamt zwei Jahre) untergeordnet. Ungeachtet dessen ist jedenfalls im Praktikantenvertrag zwischen dem Sohn der Klägerin und der Y GmbH & Co. KG in der Präambel berücksichtigt, dass der Sohn der Klägerin eine Ausbildung zum "Staatlich geprüften Agrarbetriebswirt" anstrebt. Dementsprechend hat sich der Ausbildungsbetrieb in § 2 Abs. 1 des Praktikantenvertrages verpflichtet, den Sohn der Klägerin im Betrieb so einzusetzen, dass der Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen i.S.d. Ausbildungsordnung ermöglicht wird. Dass die Praktikantentätigkeit nicht die "Hauptsache" war, folgt zudem daraus, dass der Sohn der Klägerin nach dem Vertrag kein Arbeitnehmer war und ihm mithin kein Urlaubsanspruch zustand.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank NRW veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.