28.09.2023

Prozesszinsen im mehrstufigen Verfahren (Grundsteuer)

1. Nimmt das Finanzamt nach der rechtskräftigen gerichtlichen Aufhebung eines rechtswidrigen Grundlagenbescheids die nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gebotene Herabsetzung der Steuer im Folgebescheid nicht vor und erlässt es stattdessen einen zweiten rechtswidrigen Grundlagenbescheid, der durch eine weitere rechtskräftige gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird, entstehen Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1 AO bereits seit der Rechtshängigkeit des ersten mit rechtskräftigem Urteil abgeschlossenen Verfahrens über die Aufhebung des Grundlagenbescheids, soweit die Zahlung der Steuer nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt ist.
2. Ist das Verhältnis von Grundlagen- zu Folgebescheiden dreistufig ausgebildet, kann eine gerichtliche Entscheidung der ersten Stufe (Wertfeststellung) ausreichen, damit ein Zinsanspruch betreffend die in der dritten Stufe festgesetzte Steuer (Grundsteuerfestsetzung) entsteht. Die Zwischenschaltung der zweiten Stufe (Grundsteuermessbetrag) ist eine Frage der Gesetzgebungstechnik und unterbricht den Kausalzusammenhang nicht.

Kurzbesprechung
BFH v. 24.5.2023 - II R 23/20

GrStG § 20 Abs 1 Nr. 1
AO § 37, § 155 Abs 2, § 171 Abs 10 S 1, § 175 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 182 Abs 1 S 1, § 233 S 1, § 236 Abs 1 S 1, § 236 Abs 1 S 2, § 236 Abs 2 Nr. 2 Buchst a, § 236 Abs 3


Streitig war die Höhe von Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge zur Grundsteuer.

Nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO sind Prozesszinsen zu zahlen, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt. Die Vorschrift verweist auf die Regelung des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO, nach welcher der zu erstattende Betrag vorbehaltlich des § 236 Abs. 3 AO vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen ist. Ist der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, so beginnt gemäß § 236 Abs. 1 Satz 2 AO die Verzinsung mit dem Tag der Zahlung. Der Zinslauf endet mit der tatsächlichen Erstattung der Steuer.

Die Verweisung des § 236 Abs. 2 AO auf § 236 Abs. 1 AO bezieht sich sowohl auf die Rechtsfolgen als auch auf den Rechtsgrund der Verzinsung, soweit die Tatbestände des § 236 Abs. 2 AO hierzu keine eigenen Regeln enthalten. § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO modifiziert das in § 236 Abs. 1 AO enthaltene Tatbestandsmerkmal "eine festgesetzte Steuer herabgesetzt" in der Weise, dass die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung sich auf einen Grundlagenbescheid im Sinne von § 171 Abs. 10 Satz 1 AO bezieht, der seinerseits zu einer Herabsetzung der Steuer in einem Folgebescheid im Sinne von § 182 Abs. 1 Satz 1 AO führt. Die Vorschrift bewirkt eine Zinspflicht so, als wäre die Steuerfestsetzung im Folgebescheid Verfahrensgegenstand gewesen. § 236 AO gewährt dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Zeit ab dem Tag der Rechtshängigkeit eine Entschädigung für entgangene Kapitalnutzungsmöglichkeiten.

Zinsgläubiger ist jeder am Rechtsstreit Beteiligte, mithin auch der Beigeladene, bei Folgeänderungen darüber hinaus derjenige, der die Steuer gezahlt hat und zu dessen Gunsten die Folgeänderung vorgenommen wurde.

Die Regelung des § 236 AO zu den Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge ist eng auszulegen. Sie setzt in allen Alternativen, somit auch in Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, voraus, dass der angestrengte Rechtsstreit und die gerichtliche Entscheidung für den zu verzinsenden Erstattungsanspruch ursächlich gewesen sind. Findet die Herabsetzung der Steuer unabhängig von dem betreffenden Klageverfahren statt, fehlt es an der Kausalität.

Ist das Verhältnis von Grundlagen- zu Folgebescheiden dreistufig ausgebildet (zum Verhältnis Einheitswertbescheid - Grundsteuermessbescheid und Grundsteuerbescheid), kann eine gerichtliche Entscheidung der ersten Stufe (Wertfeststellung) ausreichen, damit ein Zinsanspruch nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO betreffend die in der dritten Stufe festgesetzte Steuer (Grundsteuerfestsetzung) entstehen kann. Die Zwischenschaltung der zweiten Stufe (Grundsteuermessbetrag) ist eine Frage der Gesetzgebungstechnik und unterbricht den Kausalzusammenhang nicht. Daher besteht bereits seit dem Tag der Rechtshängigkeit der ersten gerichtlichen Entscheidung über die Aufhebung eines rechtswidrigen Grundlagenbescheids ein Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1 AO, wenn das FA die gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO angeordnete Herabsetzung der im Folgebescheid festgesetzten Steuer nicht vornimmt, stattdessen einen zweiten rechtswidrigen Grundlagenbescheid erlässt und erst nach einer weiteren gerichtlichen Entscheidung über diesen zweiten Grundlagenbescheid die zur Herabsetzung der Steuer führende Folgeanpassung vornimmt.

Auf die Frage, ob das FA auf der Grundlage von § 155 Abs. 2 AO nach der gerichtlichen Aufhebung eines Grundlagenbescheids einen Folgebescheid mit Rücksicht auf einen zu erwartenden neuerlichen Erlass eines Grundlagenbescheides stehenlassen darf, kommt es nicht an, wenn eine weitere gerichtliche Entscheidung den zweiten Grundlagenbescheid auf denjenigen Inhalt zurücksetzt, der zu einer der ersten gerichtlichen Entscheidung entsprechenden Aufhebung des Folgebescheids führt. In einem solchen Fall setzt der zweite Grundlagenbescheid keine neue Kausalkette in Gang, sondern stellt einen vergeblichen und erst durch eine weitere Entscheidung des Gerichts unterbundenen Versuch des Finanzamts dar, die durch die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den ersten Grundlagenbescheid in Gang gesetzte Kausalkette zu unterbrechen und sich so der Zinspflicht zu entledigen.

Im Streitfall war das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Zinslauf der Prozesszinsen erst ab dem Tag der Rechtshängigkeit des gegen die Grundlagenbescheide über den Einheitswert geführten Prozesses begonnen hatte. Denn der Zinslauf begann grundsätzlich bereits am Tag der Rechtshängigkeit der rechtskräftig gewordenen gerichtlichen Entscheidung, deren Gegenstand die Bescheide über die Zurechnungsfortschreibungen waren. Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies den Streitfall an das FG zurück, da das FG keine Feststellungen dazu getroffen hatte, ob die zu erstattenden Beträge erst nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden waren.
Verlag Dr. Otto Schmidt
Zurück