31.10.2012

Rechtsprechungsänderung bei der Aufrechnung im Insolvenzverfahren

Der BFH hat zwei Entscheidungen zum Umsatzsteuerrecht bzw. zur Aufrechnung im Insolvenzverfahren veröffentlicht und auf eine Änderung seiner Rechtsprechung hingewiesen. Danach ist eine Aufrechnung fortan nur dann zulässig, wenn der Berichtigungstatbestand schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist, wie es bei der Berichtigung von Vorsteuerbeträgen zu Lasten des Insolvenzschuldners häufig der Fall sein wird.

BFH 25.7.2012, VII R 29/11 u.a.
Der Sachverhalt:

+++ VII R 29/11 +++
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der H-GmbH. Dieses war im Februar 2002 eröffneten worden. Eine Berichtigung der Umsatzsteuer zu Gunsten des insolventen Unternehmers wurde deshalb erforderlich, weil dessen Geschäftspartner (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Unternehmers) ebenfalls in Insolvenz geraten war. Das von diesem geschuldete Leistungsentgelt wurde somit uneinbringlich.

Das Finanzamt erklärte gegen diese Beträge indes die Aufrechnung mit seinen unbefriedigten Umsatzsteuerforderungen aus März, April und September 2001. Der Kläger war der Ansicht, dass eine Umsatzsteuerforderung erst dann entstanden sei, wenn der volle steuerrechtliche Tatbestand verwirklicht wurde. Das sei hier erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Fall gewesen, so dass der Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegenstehe.

Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.

+++ VII R 44/10 +++
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der M-GmbH. Dieses wurde im Januar 2002 eröffnet. Das Unternehmen hatte 2001 Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben, die aufgrund hoher Vorsteuern in allen Monaten zu Vergütungsbeträgen führten.

Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer fest und stützte sich dabei darauf, dass die in den Anmeldungen Januar bis August 2001 berücksichtigten Vorsteuern aufgrund des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG zu berichtigen seien, und zwar im Schätzungswege durch einen prozentualen Abschlag. In einer Umbuchungsmitteilung vom Dezember 2001 verrechnete es diese Umsatzsteuerforderung mit den von der Schuldnerin für September bis November 2001 angemeldeten Vergütungsforderungen und durch Umbuchungsmitteilung vom Februar 2002 mit dem Vergütungsanspruch Dezember 2001.

Als der Kläger hiergegen Einwendungen erhob, erließ die Steuerbehörde den angefochtenen Abrechnungsbescheid, in dem es feststellte, dass die vorbezeichneten Vergütungsansprüche erloschen seien. Die hiergegen gerichtete Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Die Gründe:

+++ VII R 29/11 +++
Der vom Finanzamt erklärten Aufrechnung stand § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen.

Gerät ein Steuerpflichtiger in Insolvenz, besteht für das Finanzamt oftmals nur dann eine aussichtsreiche Möglichkeit, offene Umsatzsteuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu realisieren, wenn es seine Forderungen gegen Zahlungsansprüche des betreffenden Unternehmens (etwa aus Vorsteuerüberhängen in anderen Veranlagungszeiträumen) aufrechnen kann. Die InsO lässt eine solche Aufrechnung im Insolvenzverfahren (und damit eine abgesonderte Befriedigung eines Insolvenzgläubigers) zwar grundsätzlich zu; sie verbietet sie jedoch, soweit der Insolvenzgläubiger dem Schuldner erst nach Eröffnung des Verfahrens etwas schuldig wurde (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das war bisher, nach langjährigen BFH-Rechtsprechung dann nicht der Fall - eine Aufrechnung also zulässig -, wenn der Anspruch des Steuerpflichtigen zwar steuerrechtlich erst während des Insolvenzverfahrens entstanden war, jedoch auf dem Ausgleich einer vor Verfahrenseröffnung erfolgten Steuerfestsetzung beruhte, insbesondere etwa einer Umsatzsteuerberichtigung wegen Uneinbringlichwerden des Entgelts.

Diese bisher durch die dem Steuerrecht eigentümliche besondere Verknüpfung von Umsatzsteuerfestsetzung und Umsatzsteuerberichtigung (§ 17 Abs. 2 UStG) gerechtfertigte Rechtsprechung wird nun aufgegeben. Infolgedessen ist eine Aufrechnung fortan nur dann zulässig, wenn der Berichtigungstatbestand schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist, wie es bei der Berichtigung von Vorsteuerbeträgen zu Lasten des Insolvenzschuldners häufig der Fall sein wird. Im vorliegenden Fall wurde eine Berichtigung der Umsatzsteuer zu Gunsten des insolventen Unternehmers jedoch deshalb erforderlich, weil dessen Geschäftspartner (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Unternehmers) ebenfalls in Insolvenz geraten und das von diesem geschuldete Leistungsentgelt uneinbringlich geworden war. Gegen den dadurch ausgelösten Umsatzsteuererstattungsanspruch des Unternehmers durfte das Finanzamt Insolvenzforderungen somit nicht verrechnen.

+++ VII R 44/10 +++
Die im angefochtenen Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass die Umsatzsteuervergütungsansprüche September bis Dezember 2001 nicht an den Kläger auszukehren sind, war rechtmäßig.

Einer Entscheidung über die Zulässigkeit einer während des Insolvenzverfahrens erklärten Aufrechnung bedarf es dann nicht, wenn Forderung und Gegenforderung im selben Besteuerungszeitraum entstanden und deshalb nach der Rechtsprechung des V. Senats (Urt. v. 24.11.2011, V R 13/11) gegeneinander zu verrechnen sind (sog. Saldierung gem. § 16 UStG). In solchen Fällen sind die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO nicht zu beachten. Da diese Saldierung in einem Steuerfestsetzungsbescheid nicht mehr vorgenommen werden kann, wenn vor Ablauf des betreffenden Steuerjahres das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, greift jene Verrechnung gleichsam automatisch. Ein Streit über die Zulässigkeit einer zuvor vom Finanzamt erklärten Aufrechnung ist damit erledigt.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext von Az.: VII R 29/11 zu gelangen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zum Volltext von Az.: VII R 44/10 zu gelangen, klicken Sie bitte hier.
BFH PM Nr. 73 vom 31.10.2012
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