Rechtsprechungsänderung: Zivilprozesskosten sind als außergewöhnliche Belastungen abziehbar
BFH 12.5.2011, VI R 42/10Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Für die nichtselbständig tätige Klägerin bestand eine private Krankenversicherung bei der R, die eine Krankentagegeld-Versicherung für ein tägliches Krankengeld von 51 € nach Ablauf von sechs Wochen einer Arbeitsunfähigkeit umfasste. Anfang 2004 traten bei der Klägerin Probleme mit dem Gebrauch der rechten Hand und Bewegungsstörungen des rechten Beines auf. Bei ihr wurden eine fokale Dystonie und eine spastische Hemiphlegie diagnostiziert. Die Klägerin wurde krankgeschrieben. Nach sechs Wochen stellte der Arbeitgeber seine Gehaltszahlungen ein. Daraufhin wurde die R in Anspruch genommen, die zunächst das vertraglich vereinbarte Krankentagegeld zahlte.
Auf Veranlassung der R wurde die Klägerin im Januar 2005 von einem Mitarbeiter des Vertrauensarztes H untersucht. In dem von H erstellten Gutachten wurde der Klägerin Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Ein halbes Jahr später musste die Klägerin sich erneut bei H vorstellen. Dieser kam in seinem daraufhin angefertigten Gutachten im Juli 2005 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin immer noch Arbeitsunfähigkeit bestehe. Weiterhin stellte er fest, dass zwischenzeitlich auch Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Die R stellte sich daraufhin auf den Standpunkt, dass bei der Klägerin ab Juli 2005 Berufsunfähigkeit eingetreten sei und damit die Leistungspflicht zur Zahlung von Krankentagegeld drei Monate nach Beginn der Berufsunfähigkeit ende. Dementsprechend wurde letztmalig im Oktober 2005 der versicherte Tagessatz gezahlt.
Ab August 2006 wurde der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Die von den Klägern gegen die R erhobene Klage, mit der sie Zahlung von 14.111 € begehrten (Krankentagegeld von Oktober 2005 bis Juli 2006), wurde vom LG abgewiesen. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 machten die Kläger die Prozesskosten von 9.906 € als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Das Finanzamt folgte dem nicht, weil Krankentagegeld regelmäßig steuerfrei sei und der Prozess somit nicht der Erzielung steuerbarer Einnahmen gedient habe.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Die Gründe:
Das FG hat die Zivilprozesskosten des Klägers zu Unrecht vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.
Nach § 33 Abs. 1 EStG können bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Nur ausnahmsweise bei Rechtsstreiten mit existenzieller Bedeutung für den Steuerpflichtigen wurden die Kosten als außergewöhnliche Belastung anerkannt. An dieser Rechtsprechung hält der BFH nicht länger fest.
Demnach können Zivilprozesskosten nun unabhängig vom Gegenstand des Prozesses als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Unausweichlich sind derartige Aufwendungen allerdings nur, wenn die Prozessführung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Davon ist auszugehen, wenn der Erfolg des Zivilprozesses mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg ist. Eine nur entfernte, gewisse Erfolgsaussicht reicht nicht aus. Der Steuerpflichtige muss den Prozess unter verständiger Würdigung des Für und Wider - auch des Kostenrisikos - eingegangen sein.
Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und war daher aufzuheben. Der Senat konnte jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Von seinem Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, in welcher Höhe dem Kläger Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und außergerichtliche Kosten durch den Zivilprozess entstanden sind. Dies wird das FG im zweiten Rechtsgang nachholen müssen. Sodann hat das Gericht die Gesamtumstände des Einzelfalls - ex ante - dahingehend zu würdigen, ob der Prozess, den der Kläger angestrengt hat, hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig geführt worden ist.
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