"Richtige" Rechtsbehelfsbelehrung bei fehlendem Hinweis auf den elektronischen Rechtsverkehr
BFH 12.12.2012, I B 127/12Die Antragstellerin ist eine GmbH, die eine Gewerbeimmobilie erwerben, verwalten, bewirtschaften und später veräußern sollte. Die Immobilie war mit notariellem Vertrag vom 28.9.2011 von einer niederländischen Kapitalgesellschaft für 10,5 Mio. € erworben worden. Die "1. Rate" i.H.v. 525.000 € hatte die Antragstellerin bereits vor der Vertragsbeurkundung auf ein Notaranderkonto eingezahlt. Der Restkaufpreis war innerhalb von zehn Arbeitstagen nach dem Absenden der schriftlichen Bestätigung des Notars über den Eintritt weiterer Fälligkeitsvoraussetzungen zu zahlen.
Das Finanzamt ordnete mit Bescheid vom 10.10.2011 gem. § 50a Abs. 7 (i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2f) EStG 2009 den Abzug von Körperschaftsteuer aus dem Grundstückskaufvertrag i.H.v. 735.000 € an. Der Bescheid trug keinen Hinweis auf eine E-Mail-Adresse des Finanzamtes, die sich allerdings aus der allgemeinen Homepage www.finanzamt.nrw.de ergab; die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung lautete: "Gegen die Anordnung des Steuerabzuges ist der Einspruch gegeben. ... Der Einspruch ist bei dem auf Seite 1 bezeichneten Finanzamt schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Auch der Steuerschuldner kann Einspruch einlegen. Die Frist für die Einlegung beträgt ..."
Am 19.12.2011 bat das Finanzamt die Antragstellerin um Mitteilung, wann der Kaufpreis gezahlt und warum gegebenenfalls kein Steuerabzug durchgeführt worden sei. Die Antragstellerin zahlte den "Restkaufpreis" am 20.1.2012; später wurde sie als Eigentümerin des Objektes in das Grundbuch eingetragen und informierte die Steuerbehörde darüber. Am 13.2.2012 forderte das Finanzamt die Antragstellerin erneut auf, die Körperschaftsteuer zu zahlen. Die Antragstellerin beantragte hingegen, die Anordnung des Steuerabzuges gem. § 131 Abs. 1 AO zu widerrufen, da über das Vermögen der Grundstücksverkäuferin in den Niederlanden im Februar 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Das lehnte das Finanzamt ab.
Mit Schreiben vom 13.4.2012 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Anordnung des Steuerabzuges vom 10.10.2011 ein. Sie vertrat die Ansicht, dass keine Fristversäumung vorliege, da die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei; ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail fehle. Das FG wies den AdV-Antrag ab. Auch die Beschwerde der Antragstellerin vor dem BFH blieb erfolglos.
Die Gründe:
Bei der im Verfahren auf AdV gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage war die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Anordnung vom 10.10.2011 wegen des Eintritts der formellen Bestandskraft nicht ernstlich zweifelhaft.
Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig i.S.d. § 356 Abs. 2 S. 1 AO, wenn sie die in § 356 Abs. 1 AO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist dies aber auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste. Weiterer über den Wortlaut von § 356 Abs. 1 AO hinausgehender Belehrungen zur Zulässigkeit des Rechtsbehelfs bedarf es nicht.
Infolgedessen war die im Bescheid vom 10.10.2011 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig; die Monatsfrist des § 355 Abs. 1 S. 1 AO konnte deshalb nicht unbeachtet bleiben. Dass die der streitgegenständlichen Anordnung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung hier - dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 357 Abs. 1 S. 1 AO entsprechend - einen Hinweis auf die (Schrift-)Form des Einspruchs enthielt, stand dem nicht entgegen. Das Finanzamt hatte dadurch nach dem maßgebenden objektiven Verständnishorizont keinen unrichtigen bzw. missverständlichen Hinweis zu den Formerfordernissen erteilt.
Zwar war der Antragstellerin darin zuzustimmen, dass die AO nach dem Inkrafttreten des § 87a AO eine elektronische Kommunikation zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen ermöglicht. Es war auch zutreffend, insoweit von einer "elektronischen Form" der Rechtsbehelfseinlegung zu sprechen, die die (hergebrachte) Schriftform ersetzen kann. Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 357 Abs. 1 S. 1 AO ist aber nicht geeignet, bei einem "objektiven" Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht. Unerheblich war, ob das Finanzamt im streitgegenständlichen Bescheid durch einen direkten Verweis auf eine eigene Homepage oder mittelbar durch den Verweis auf "www.finanzamt.nrw.de" den Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente i.S.d. § 87a Abs. 1 S. 1 AO (ohne Signaturerfordernis) tatsächlich eröffnet hatte.
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