Rückforderung von Kindergeld bei Auszahlung an das Kind
Kurzbesprechung
BFH v. 14.4.2021 - III R 1/20
EStG § 31 S. 3, § 74 Abs. 1, § 74 Abs. 2
AO § 37 Abs. 2, § 227
SGB 10 § 104, 10 § 107
Ist eine Steuervergütung wie das Kindergeld (§ 31 Satz 3 EStG) ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags. Diese Rechtsfolge tritt auch ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO).
Im Streitfall war das Kindergeld für den Streitzeitraum ohne Rechtsgrund gezahlt worden. Zwar hatte die Anspruchsberechtigte für den Streitzeitraum unstreitig einen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter gemäß § 62 Abs. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der Anspruch war jedoch im Zeitpunkt der Zahlung bereits durch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die das Jobcenter nach dem SGB II an die Tochter der Anspruchsberechtigen erbracht hatte, erfüllt worden und damit erloschen (§ 47 AO).
Der Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Jobcenters gegenüber der Familienkasse war auch nicht nach § 104 Abs. 1 SGB X ausgeschlossen. Die Familienkasse ist dem Jobcenter aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung verpflichtet. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Im Streitfall hatte die Familienkasse zum Zeitpunkt der Zahlung des Kindergeldes ausreichende Kenntnis davon, dass der Anspruch der Anspruchsberechtigten auf Kindergeld bereits in Höhe der SGB II-Leistungen an die Tochter für den Streitzeitraum erloschen war.
Die Anspruchsberechtige war auch Leistungsempfängerin des ohne Rechtsgrund gezahlten Kindergeldes. Denn Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO ist derjenige, demgegenüber die Finanzbehörde oder Familienkasse ihre --vermeintlich oder tatsächlich bestehende-- abgabenrechtliche Verpflichtung erfüllen will. Demnach ist ein Dritter als tatsächlicher Empfänger einer Zahlung dann nicht Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO, wenn die Behörde u.a. aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigten an einen Dritten zahlt. Denn auch in einem derartigen Fall erbringt die Finanzbehörde ihre Leistung mit dem Willen, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber zu erfüllen.
Da der durch die Anweisung begünstigte Zahlungsempfänger den Zahlungsanspruch nicht aus eigenem Recht geltend machen kann und die Leistung mit dem Willen erbracht wird, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber mit befreiender Wirkung zu erfüllen, ist nicht der Empfänger der Zahlung, sondern der nach materiellem Steuerrecht Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO anzusehen.
Diese Grundsätze gelten auch für das Kindergeld, da es nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt wird. Demnach ist nicht das Kind, sondern der Kindergeldberechtigte Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn die Familienkasse das Kindergeld aufgrund einer Zahlungsanweisung des Kindergeldberechtigten dem Kind zahlt.
Mit der Angabe des Kontos der Tochter im Kindergeldantrag hat die Anspruchsberechtigte der Familienkasse die Anweisung erteilt, das Kindergeld auf dieses Konto zu überweisen. Damit hatte sie den Zahlungsweg veranlasst. Zudem erbrachte die Familienkasse mit der Befolgung der Anweisung ihre Leistung mit dem Willen, den Zahlungsanspruch der Anspruchsberechtigten als Kindergeldberechtigte zu erfüllen.
Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer Abzweigung i.S. des § 74 Abs. 1 EStG vorlagen. Denn ohne eine entsprechende Feststellung der Familienkasse durch einen Verwaltungsakt wird der Zahlungsempfänger nicht zum Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO.
Einer Rückforderung stand auch nicht der Gesichtspunkt von Treu und Glauben oder der Verwirkungsgedanke als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben entgegen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 31 S. 3, § 74 Abs. 1, § 74 Abs. 2
AO § 37 Abs. 2, § 227
SGB 10 § 104, 10 § 107
Ist eine Steuervergütung wie das Kindergeld (§ 31 Satz 3 EStG) ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags. Diese Rechtsfolge tritt auch ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO).
Im Streitfall war das Kindergeld für den Streitzeitraum ohne Rechtsgrund gezahlt worden. Zwar hatte die Anspruchsberechtigte für den Streitzeitraum unstreitig einen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter gemäß § 62 Abs. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der Anspruch war jedoch im Zeitpunkt der Zahlung bereits durch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die das Jobcenter nach dem SGB II an die Tochter der Anspruchsberechtigen erbracht hatte, erfüllt worden und damit erloschen (§ 47 AO).
Der Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Jobcenters gegenüber der Familienkasse war auch nicht nach § 104 Abs. 1 SGB X ausgeschlossen. Die Familienkasse ist dem Jobcenter aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung verpflichtet. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Im Streitfall hatte die Familienkasse zum Zeitpunkt der Zahlung des Kindergeldes ausreichende Kenntnis davon, dass der Anspruch der Anspruchsberechtigten auf Kindergeld bereits in Höhe der SGB II-Leistungen an die Tochter für den Streitzeitraum erloschen war.
Die Anspruchsberechtige war auch Leistungsempfängerin des ohne Rechtsgrund gezahlten Kindergeldes. Denn Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO ist derjenige, demgegenüber die Finanzbehörde oder Familienkasse ihre --vermeintlich oder tatsächlich bestehende-- abgabenrechtliche Verpflichtung erfüllen will. Demnach ist ein Dritter als tatsächlicher Empfänger einer Zahlung dann nicht Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO, wenn die Behörde u.a. aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigten an einen Dritten zahlt. Denn auch in einem derartigen Fall erbringt die Finanzbehörde ihre Leistung mit dem Willen, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber zu erfüllen.
Da der durch die Anweisung begünstigte Zahlungsempfänger den Zahlungsanspruch nicht aus eigenem Recht geltend machen kann und die Leistung mit dem Willen erbracht wird, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber mit befreiender Wirkung zu erfüllen, ist nicht der Empfänger der Zahlung, sondern der nach materiellem Steuerrecht Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO anzusehen.
Diese Grundsätze gelten auch für das Kindergeld, da es nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt wird. Demnach ist nicht das Kind, sondern der Kindergeldberechtigte Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn die Familienkasse das Kindergeld aufgrund einer Zahlungsanweisung des Kindergeldberechtigten dem Kind zahlt.
Mit der Angabe des Kontos der Tochter im Kindergeldantrag hat die Anspruchsberechtigte der Familienkasse die Anweisung erteilt, das Kindergeld auf dieses Konto zu überweisen. Damit hatte sie den Zahlungsweg veranlasst. Zudem erbrachte die Familienkasse mit der Befolgung der Anweisung ihre Leistung mit dem Willen, den Zahlungsanspruch der Anspruchsberechtigten als Kindergeldberechtigte zu erfüllen.
Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer Abzweigung i.S. des § 74 Abs. 1 EStG vorlagen. Denn ohne eine entsprechende Feststellung der Familienkasse durch einen Verwaltungsakt wird der Zahlungsempfänger nicht zum Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO.
Einer Rückforderung stand auch nicht der Gesichtspunkt von Treu und Glauben oder der Verwirkungsgedanke als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben entgegen.