25.07.2024

Rückstellung für Altersfreizeit

Für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung von Altersfreizeit (von zwei Tagen pro Jahr der Betriebszugehörigkeit), die unter den Bedingungen einer mindestens zehnjährigen Betriebszugehörigkeit des Arbeitsnehmers sowie der Vollendung dessen 60. Lebensjahres steht, ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.

Kurzbesprechung
BFH v. 5.6.2024 - IV R 22/22

EStG § 5 Abs 1 S 1, § 6 Abs 1 Nr. 3a
HGB § 249 Abs 1 S 1


Streitig war die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit einer Rückstellung für Altersfreizeit. Während das FA die gebildete Rückstellung nicht anerkannte, bekam die Steuerpflichtige sowohl vor dem FG als auch vor dem BFH Recht.

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Rückstellungen für Verbindlichkeiten gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach ‑ deren Höhe zudem ungewiss sein kann ‑ sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen.

Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft dürfen in der Bilanz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, weil während des Schwebezustands die (widerlegbare) Vermutung besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag wertmäßig ausgleichen. Ein Bilanzausweis ist nur geboten, wenn und soweit das Gleichgewicht solcher Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist.

Diese Bilanzierungsgrundsätze gelten nicht nur für gegenseitige Verträge, die auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sind, sondern auch für Dauerschuldverhältnisse. Der ‑ gesetzlich nicht definierte ‑ Begriff des Erfüllungsrückstands bildet Verpflichtungen zur Erbringung von ‑ seitens des Vertragspartners durch dessen erbrachte Vorleistung erdienten und am Bilanzstichtag rückständigen ‑ Gegenleistungen im synallagmatischen und zeitlichen Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ab. Der Verpflichtete muss sich mit seinen Leistungen gegenüber dem Vertragspartner im Rückstand befinden, also weniger geleistet haben, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hätte.

Die Frage nach dem Vorliegen eines Erfüllungsrückstands ist nicht ausschließlich nach bürgerlichem Recht zu beurteilen. Ausreichend ist vielmehr eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung. Auch davon ausgehend setzt das Vorliegen eines Erfüllungsrückstands jedoch voraus, dass mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten wird.

Da die Erfüllung sich im Sinne einer "Abgeltung" als zusätzliches, lediglich wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls noch nicht entrichtetes Entgelt für eine bereits früher erbrachte Vorleistung darstellen muss, ist eine Verknüpfung in dem Sinne zu fordern, dass die rückständige Gegenleistung der erbrachten Vorleistung synallagmatisch zweckgerichtet und bei zeitbezogenen Leistungen auch zeitlich zuordenbar ist.

Besteht ein Erfüllungsrückstand und ist dessen Höhe sicher, ist dem durch Ausweis einer Verbindlichkeit Rechnung zu tragen. Ist die noch zu erfüllende Leistung der Höhe nach ungewiss, ist eine Rückstellung zu bilden.

Der Höhe nach sind Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen wie für einen Erfüllungsrückstand nach § 5 Abs. 6, § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten, sofern die handelsrechtliche Bewertung nicht zu einem niedrigeren Wert führt. Handelsrechtlicher Bewertungsmaßstab ist nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag.

Im Streitfall besteht eine ‑ nur der Höhe nach ungewisse ‑ Verbindlichkeit der Steuerpflichtigen auf Gewährung von Altersfreizeit, soweit die betroffenen Arbeitnehmer bereits das Merkmal der mindestens zehnjährigen Betriebszugehörigkeit erfüllt und das 60. Lebensjahr vollendet haben. Die Verbindlichkeit beruht auf der (bindenden) Regelung des Manteltarifvertrags (§ 3 Nr. 7 EMTV). Auch für eine erst in der Zukunft entstehende Verbindlichkeit muss eine Rückstellung gebildet werden.

Im Streitfall lagen die wirtschaftliche Verursachung der zurückgestellten (ungewissen) Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag (31.12.2016) sowie ein Erfüllungsrückstand vor.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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