Sachverständige Schätzung der Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden ImmoWertV
Kurzbesprechung
BFH v. 23.1.2024 - IX R 14/23
EStG § 7 Abs 1, § 7 Abs 4 S 1, § 7 Abs 4 S 2
EStDV § 11c Abs 1 S 1
ImmoWertV § 6 Abs 6
ImmoWertV 2022 § 4 Abs 3 S 2
HGB § 255 Abs 1
BGB § 889
Bei Gebäuden sind als AfA grundsätzlich die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten festen Prozentsätze von den Anschaffungskosten abzuziehen. Den Prozentsätzen liegt jeweils eine typisierte Nutzungsdauer zugrunde, die mit der tatsächlichen Nutzungsdauer im Erwerbszeitpunkt nichts gemein haben muss.
Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach Satz 1 der Vorschrift die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer im gesetzlichen Sinne ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV).
§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein ("können"), ob er sich mit dem typisierten festen AfA-Satz nach Satz 1 der Vorschrift zufriedengibt oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend macht.
Die Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist zunächst von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt (verschleißt). Sofern allerdings die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen.
Die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer trägt der Steuerpflichtige. Die Nutzungsdauer ist zu schätzen. Eine solche Schätzung verlangt nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit, sondern vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit.
Die Schätzung ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Der BFH hat bereits entschieden, dass sich der Steuerpflichtige zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder sachverständigen Methode bedienen kann, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Die gewählte Methode muss über die maßgeblichen Determinanten der Nutzungsdauer ‑ zum Beispiel technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen ‑ Aufschluss geben.
Gerade wegen des Umstands, dass für die Richtigkeit der zu schätzenden Nutzungsdauer nur eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit sprechen muss, würde die Feststellungslast des Steuerpflichtigen überspannt, wenn der Schätzung eine bestimmte Gutachtenmethodik (zum Beispiel Bausubstanzgutachten) oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren zwingend zugrunde liegen müsste. Demzufolge hat der BFH ausdrücklich anerkannt, dass auch eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt wird, als Nachweis für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genügen kann. An diesen Rechtsgrundsätzen hält der BFH ausdrücklich fest.
Die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen, die die Finanzverwaltung in Rz 23 f. des BMF - Schreibens vom 22.02.2023 (BStBl I 2023, 332) für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch Sachverständigengutachten aufstellt, lassen sich dem Gesetz jedenfalls nicht in Gänze entnehmen.
Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 der Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14.07.2021 ‑‑ImmoWertV 2021‑‑, BGBl I 2021 2805) ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann.
Ein auf die Vorgaben der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung gestütztes Sachverständigengutachten ist auch geeignet, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben. ImmoWertV 2010 (= § 4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV 2021) ordnet eine wirtschaftliche Bestimmung der Restnutzungsdauer an, stellt somit nicht auf den technischen Verschleiß eines Gebäudes ab.
Es wäre jedoch verfehlt zu fordern, dass sich ein Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten verhalten müsste. Begründet der Steuerpflichtige die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden früheren Entwertung, bedarf es keiner sachverständigen Feststellungen zum technischen Verschleiß des Gebäudes, da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen Gebäudezustand abhängig ist. Vielmehr bedarf es für die Schätzung der Nutzungsdauer einer sachverständigen Begutachtung, die sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des Objekts (zum Beispiel durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 ImmoWertV 2021) verhält.
Im Streitfall war die Würdigung des FG, die im gerichtlichen Sachverständigengutachten nachvollziehbar ermittelte Restnutzungsdauer der Gebäude von 19 Jahren sei als kürzere tatsächliche Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen, nicht zu beanstanden.
Die Entscheidung des FG war allerdings insoweit rechtsfehlerhaft, als es den Wert des Nießbrauchsrechts, der auf den erworbenen Miteigentumsanteil an dem Grundstück entfällt, als Anschaffungskosten angesehen und im Umfang des Gebäudeanteils in die AfA - Bemessungsgrundlage einbezogen hat. Denn tatbestandlich setzen Anschaffungskosten Aufwendungen des Steuerpflichtigen voraus. Dies erfordert eine wirtschaftliche Belastung. Eine solche ist ausgeschlossen bei fehlender Gegenleistungspflicht.
Die Steuerpflichtige hat in Bezug auf dieses Nießbrauchsrecht keinen mit dem Eigentumserwerb in Zusammenhang stehenden Aufwand getragen. Denn sie hatte dieses Recht nicht hingegeben, um den Miteigentumsanteil an dem Grundstück unbelastet zu erwerben. Vielmehr blieb sie trotz Eigentumserwerbs Inhaberin des Nießbrauchsrechts. Dies ergibt sich aus § 889 Alternative 2 BGB, wonach ein Recht an einem fremden Grundstück ‑ hier das Nießbrauchsrecht ‑ nicht dadurch erlischt, dass der Berechtigte ‑ hier die Steuerpflichtige ‑ das Eigentum an dem Grundstück erwirbt. Das Nießbrauchsrecht besteht als Eigentumsrecht des (neuen) Eigentümers fort. § 889 BGB gilt auch, wenn das Recht ‑wie im Streitfall ‑ nicht ins Grundbuch eingetragen wurde. Anschaffungskosten entstehen nur, wenn der Eigentümer das einem Dritten zustehende Recht an einem Grundstück zum Zweck einer Beseitigung der Beschränkungen seiner Eigentümerbefugnisse entgeltlich ablöst.
Der BFH verwies den Streitfall an die Vorinstanz zurück, da das FG nicht berücksichtigt hatte, dass die Steuerpflichtige bereits zuvor durch die erbvertraglich geregelte Übernahme von Verbindlichkeiten Anschaffungskosten für das Nießbrauchsrecht aufgewandt hatte, die für das Streitjahr im Wege der AfA als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzusetzen gewesen wären.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 7 Abs 1, § 7 Abs 4 S 1, § 7 Abs 4 S 2
EStDV § 11c Abs 1 S 1
ImmoWertV § 6 Abs 6
ImmoWertV 2022 § 4 Abs 3 S 2
HGB § 255 Abs 1
BGB § 889
Bei Gebäuden sind als AfA grundsätzlich die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten festen Prozentsätze von den Anschaffungskosten abzuziehen. Den Prozentsätzen liegt jeweils eine typisierte Nutzungsdauer zugrunde, die mit der tatsächlichen Nutzungsdauer im Erwerbszeitpunkt nichts gemein haben muss.
Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach Satz 1 der Vorschrift die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer im gesetzlichen Sinne ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV).
§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein ("können"), ob er sich mit dem typisierten festen AfA-Satz nach Satz 1 der Vorschrift zufriedengibt oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend macht.
Die Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist zunächst von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt (verschleißt). Sofern allerdings die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen.
Die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer trägt der Steuerpflichtige. Die Nutzungsdauer ist zu schätzen. Eine solche Schätzung verlangt nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit, sondern vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit.
Die Schätzung ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Der BFH hat bereits entschieden, dass sich der Steuerpflichtige zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder sachverständigen Methode bedienen kann, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Die gewählte Methode muss über die maßgeblichen Determinanten der Nutzungsdauer ‑ zum Beispiel technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen ‑ Aufschluss geben.
Gerade wegen des Umstands, dass für die Richtigkeit der zu schätzenden Nutzungsdauer nur eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit sprechen muss, würde die Feststellungslast des Steuerpflichtigen überspannt, wenn der Schätzung eine bestimmte Gutachtenmethodik (zum Beispiel Bausubstanzgutachten) oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren zwingend zugrunde liegen müsste. Demzufolge hat der BFH ausdrücklich anerkannt, dass auch eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt wird, als Nachweis für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genügen kann. An diesen Rechtsgrundsätzen hält der BFH ausdrücklich fest.
Die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen, die die Finanzverwaltung in Rz 23 f. des BMF - Schreibens vom 22.02.2023 (BStBl I 2023, 332) für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch Sachverständigengutachten aufstellt, lassen sich dem Gesetz jedenfalls nicht in Gänze entnehmen.
Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 der Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14.07.2021 ‑‑ImmoWertV 2021‑‑, BGBl I 2021 2805) ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann.
Ein auf die Vorgaben der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung gestütztes Sachverständigengutachten ist auch geeignet, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben. ImmoWertV 2010 (= § 4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV 2021) ordnet eine wirtschaftliche Bestimmung der Restnutzungsdauer an, stellt somit nicht auf den technischen Verschleiß eines Gebäudes ab.
Es wäre jedoch verfehlt zu fordern, dass sich ein Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten verhalten müsste. Begründet der Steuerpflichtige die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden früheren Entwertung, bedarf es keiner sachverständigen Feststellungen zum technischen Verschleiß des Gebäudes, da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen Gebäudezustand abhängig ist. Vielmehr bedarf es für die Schätzung der Nutzungsdauer einer sachverständigen Begutachtung, die sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des Objekts (zum Beispiel durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 ImmoWertV 2021) verhält.
Im Streitfall war die Würdigung des FG, die im gerichtlichen Sachverständigengutachten nachvollziehbar ermittelte Restnutzungsdauer der Gebäude von 19 Jahren sei als kürzere tatsächliche Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen, nicht zu beanstanden.
Die Entscheidung des FG war allerdings insoweit rechtsfehlerhaft, als es den Wert des Nießbrauchsrechts, der auf den erworbenen Miteigentumsanteil an dem Grundstück entfällt, als Anschaffungskosten angesehen und im Umfang des Gebäudeanteils in die AfA - Bemessungsgrundlage einbezogen hat. Denn tatbestandlich setzen Anschaffungskosten Aufwendungen des Steuerpflichtigen voraus. Dies erfordert eine wirtschaftliche Belastung. Eine solche ist ausgeschlossen bei fehlender Gegenleistungspflicht.
Die Steuerpflichtige hat in Bezug auf dieses Nießbrauchsrecht keinen mit dem Eigentumserwerb in Zusammenhang stehenden Aufwand getragen. Denn sie hatte dieses Recht nicht hingegeben, um den Miteigentumsanteil an dem Grundstück unbelastet zu erwerben. Vielmehr blieb sie trotz Eigentumserwerbs Inhaberin des Nießbrauchsrechts. Dies ergibt sich aus § 889 Alternative 2 BGB, wonach ein Recht an einem fremden Grundstück ‑ hier das Nießbrauchsrecht ‑ nicht dadurch erlischt, dass der Berechtigte ‑ hier die Steuerpflichtige ‑ das Eigentum an dem Grundstück erwirbt. Das Nießbrauchsrecht besteht als Eigentumsrecht des (neuen) Eigentümers fort. § 889 BGB gilt auch, wenn das Recht ‑wie im Streitfall ‑ nicht ins Grundbuch eingetragen wurde. Anschaffungskosten entstehen nur, wenn der Eigentümer das einem Dritten zustehende Recht an einem Grundstück zum Zweck einer Beseitigung der Beschränkungen seiner Eigentümerbefugnisse entgeltlich ablöst.
Der BFH verwies den Streitfall an die Vorinstanz zurück, da das FG nicht berücksichtigt hatte, dass die Steuerpflichtige bereits zuvor durch die erbvertraglich geregelte Übernahme von Verbindlichkeiten Anschaffungskosten für das Nießbrauchsrecht aufgewandt hatte, die für das Streitjahr im Wege der AfA als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzusetzen gewesen wären.