Schreibfehler? Zur hinreichenden Individualisierung eines im Mahnverfahren geltend gemachten Anspruchs
BGH 8.5.2018, II ZR 314/16Der Kläger ist Verwalter in dem 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M-GmbH (Schuldnerin), deren alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin die Beklagte seit Oktober 2008 bis zur Stellung des Insolvenzantrags war. Der Kläger forderte von der Beklagten unter Hinweis auf Zahlungen aus der Barkasse und von verschiedenen, jeweils auf Guthabenbasis geführten Konten der Schuldnerin mit Schreiben vom 4.3.2013 die Zahlung von 224.883,93 €. Der Kläger behauptet, dem Schreiben seien später im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Anlagen beigefügt gewesen.
Am 6.9.2013 beantragte der Kläger den Erlass eines Mahnbescheids über eine Hauptforderung i.H.v. 224.880,93 €, die er mit "Geschäftsführerhaftung gem. § 64 GmbHG gem. Schreiben vom 4.3.2013" bezeichnete. Daneben wurden 2.772,90 € als Nebenforderung mit der Bezeichnung "Anwaltsvergütung für vorgerichtliche Tätigkeit aus mitgeteiltem vorgerichtlichen Streitwert i.H.v. 224.883,93 €" geltend gemacht. Nach dem Widerspruch der Beklagten beantragte der Kläger im März 2014 die Abgabe des Verfahrens an das LG, bei dem er den Anspruch - nunmehr in der Hauptsache gerichtet auf Zahlung von 227.116,45 € - mit am 28.3.2014 eingegangenen Schriftsatz begründete. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat rechtsfehlerhaft die Verjährung der vom Kläger verfolgten Ansprüche mit der Begründung angenommen, dass die Zustellung des Mahnbescheids an die Beklagte keine verjährungshemmende Wirkung hatte. Das angegriffene Urteil erweist sich aber im Ergebnis als richtig, soweit das OLG die Klage in Höhe eines Teilbetrags von 2.235,52 € abgewiesen hat. Die vom Kläger verfolgten Ansprüche sind in diesem Umfang verjährt, weil diese erstmals im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht wurden und zu diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist abgelaufen war.
Das OLG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger die im Schreiben vom 4.3.2013 geltend gemachten Ansprüche nicht hinreichend individualisiert hat. Die Zustellung des Mahnbescheids vom 11.9.2013 an die Beklagte konnte gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3, § 209 BGB die Hemmung der Verjährung etwaiger Erstattungsansprüche gem. § 64 S. 1 GmbHG i.H.v. 224.880,93 € bewirken. Der Mahnantrag und der auf seiner Grundlage ergangene Mahnbescheid muss den geltend gemachten prozessualen Anspruch nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO individualisieren, d.h., den Anspruch unter bestimmter Angabe der verlangten Leistung bezeichnen. Fehlt es hieran, tritt keine Hemmung der Verjährung durch den antragsgemäß erlassenen Mahnbescheid ein. Entscheidend ist, ob die konkrete Maßnahme der Rechtsverfolgung die geforderte Warnfunktion erfüllt. Der Anspruchsgegner muss erkennen können, "worum es geht".
Ein im Mahnverfahren geltend gemachter Anspruch ist dann i.S.v. § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hinreichend individualisiert, wenn er durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden kann, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Wenn mehrere Einzelansprüche und nicht nur unselbständige Rechnungsposten eines einheitlichen Schadens geltend gemacht werden, gehört es zur notwendigen Individualisierung des Anspruchs, dass die Zusammensetzung des geltend gemachten Betrags bereits aus dem Mahnbescheid erkennbar ist. Bei einer Falschbezeichnung im Mahnbescheid, auch bei einer fehlerhaften Bezifferung des geltend gemachten Betrags, kommt es für die Individualisierung des Anspruchs auf den für den Antragsgegner erkennbar gewordenen Rechtsverfolgungswillen an.
Diesen Anforderungen an die Individualisierung genügt der vorliegende Mahnbescheid. Die Zusammensetzung des geltend gemachten Betrags war erkennbar. Für die Beklagte war aus dem auf der Grundlage des Mahnantrags ergangenen Mahnbescheid im vorliegenden Fall ersichtlich, dass der Kläger sämtliche im Schreiben vom 4.3.2013 bezeichneten Ansprüche im Mahnverfahren verfolgt. Der Mahnbescheid nimmt ausdrücklich auf das Schreiben des Klägers vom 4.3.2013 Bezug. Dieses Schreiben enthält mit der Nennung des Gesamtbetrags von 244.883,93 € die Angabe, in welcher konkreten Höhe der Kläger Ansprüche wegen Zahlungen aus der Kasse und von den im Einzelnen bezeichneten Konten gegen die Beklagte gem. § 64 S. 1 GmbHG verfolgt, wobei für die Kasse und die einzelnen Konten jeweils Einzelsummen genannt wurden, die den Gesamtbetrag ergeben.
Es ist zudem zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass dem Schreiben vom 4.3.2013 die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Anlagen beigefügt waren. Diese Anlagen enthalten, wiederum getrennt nach Kasse und den einzelnen Bankkonten, Aufstellungen über die jeweiligen Zahlungsvorgänge. Aus dem Schreiben ergibt sich i.V.m. diesen Anlagen, welche Zahlungen der Kläger im Einzelnen in welcher Höhe erstattet verlangt. Vor dem Hintergrund dieser Bezugnahme und der nur ganz geringfügigen Abweichung des im Mahnbescheid genannten Betrags der Hauptforderung von 224.880,93 € von dem im Schreiben genannten Betrag (224.883,93 €) ist es fernliegend anzunehmen, dass im Mahnverfahren nur ein Teil der Ansprüche verfolgt werden sollte. Der Eindruck von einem bloßen Schreibfehler wird dadurch verstärkt, dass nur der volle Eurobetrag verändert wurde, der Centbetrag dagegen mit dem im Schreiben vom 4.3.2013 genannten übereinstimmt.
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