Selbstunterhalt des behinderten Kindes aus einer durch Vermögensumschichtung begründeten privaten Rente
Kurzbesprechung
BFH v. 16.2.2023 - III R 23/22
EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr. 3, § 22 Nr. 1 S 3 Buchst a DBuchst aa, § 22 Nr. 1 S 3 Buchst a DBuchst bb, § 20 Abs 9
Für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, sofern die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.
Die Fähigkeit zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits.
Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge, d.h. grundsätzlich alle Mittel, die zur Deckung seines Lebensunterhalts geeignet und bestimmt sind und ihm im maßgeblichen Zeitraum zufließen, nicht jedoch sein Vermögen.
Der Begriff der Einkünfte wird durch § 2 Abs. 2 EStG definiert. Er umfasst den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit sowie den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und sonstigen Einkünften.
Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare oder für steuerfrei erklärte Einnahmen.
Vermögensübertragungen von Eltern auf ihre Kinder sind bei der Ermittlung der Bezüge des Kindes dagegen stets außer Betracht zu lassen. Als Bezüge anzusetzen sind allein Zuflüsse "von außen", sofern sie zur Finanzierung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet oder bestimmt sind. Für die Eignung genügt es, dass der Zufluss entsprechend verwendet werden kann. Wie er tatsächlich verwendet wird, spielt keine Rolle.
Das Vermögen des behinderten Kindes gehört nicht zu den finanziellen Mitteln, die es für den Selbstunterhalt einzusetzen hat. Somit sind Einkünfte und Bezüge einerseits und Vermögen sowie Vermögensumschichtungen andererseits voneinander abzugrenzen. Während Einkünfte und Bezüge im Grundsatz alle finanziellen Mittel sind, die jemandem im maßgeblichen Zeitraum zusätzlich zufließen, die er also wertmäßig dazu erhält, ist Vermögen das, was er vor diesem Zeitraum bereits hatte.
Vom Kind bezogene Renten gehören grundsätzlich zu dessen Einkünften, soweit sie mit ihrem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG oder ihrem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG der Besteuerung unterliegen; im Übrigen zählen sie zu den Bezügen.
Leibrenten, die ‑ wie im Streitfall ‑ auf eigenen Einzahlungen beruhen, welche ausschließlich oder überwiegend aus versteuertem Einkommen erbracht wurden, werden verfassungsgemäß typisierend nicht mit ihrem gesamten Betrag, sondern nur mit ihrem Ertragsanteil (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG) besteuert. Dies beruht auf der Vorstellung, dass mit den Renten teilweise eigenes Vermögen zurückfließt, die Rentenzahlungen also einen Kapitalrückzahlungsanteil (Tilgungsanteil) enthalten, teils aber auch ‑ in Abhängigkeit von einer durchschnittlichen Lebensdauer und dem Alter des Rentenberechtigten bei Beginn der Rente ‑ aufgrund einer Verzinsung Erträge erzielt werden.
Der den Ertragsanteil übersteigende Teil der Rentenzahlungen ist nicht als Bezug zu erfassen, wenn - wie im Streitfall - der Rentenanspruch durch eine Vermögensumschichtung begründet wurde. Soweit es sich bei Rentenzahlungen nicht um vom Versicherer erwirtschaftete Erträge handelt, sondern das Kind lediglich bereits vorher vorhandenes Vermögen zurückerhält, d.h. vom Kind oder einem Kindergeldberechtigten zuvor ‑ z.B. bei Banken oder Versicherern ‑ angesparte Mittel, handelt es sich nicht um Bezüge, aus denen das Kind i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG seinen Unterhalt zu decken hat. Denn andernfalls würde der Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen gewertet.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr. 3, § 22 Nr. 1 S 3 Buchst a DBuchst aa, § 22 Nr. 1 S 3 Buchst a DBuchst bb, § 20 Abs 9
Für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, sofern die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.
Die Fähigkeit zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits.
Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge, d.h. grundsätzlich alle Mittel, die zur Deckung seines Lebensunterhalts geeignet und bestimmt sind und ihm im maßgeblichen Zeitraum zufließen, nicht jedoch sein Vermögen.
Der Begriff der Einkünfte wird durch § 2 Abs. 2 EStG definiert. Er umfasst den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit sowie den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und sonstigen Einkünften.
Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare oder für steuerfrei erklärte Einnahmen.
Vermögensübertragungen von Eltern auf ihre Kinder sind bei der Ermittlung der Bezüge des Kindes dagegen stets außer Betracht zu lassen. Als Bezüge anzusetzen sind allein Zuflüsse "von außen", sofern sie zur Finanzierung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet oder bestimmt sind. Für die Eignung genügt es, dass der Zufluss entsprechend verwendet werden kann. Wie er tatsächlich verwendet wird, spielt keine Rolle.
Das Vermögen des behinderten Kindes gehört nicht zu den finanziellen Mitteln, die es für den Selbstunterhalt einzusetzen hat. Somit sind Einkünfte und Bezüge einerseits und Vermögen sowie Vermögensumschichtungen andererseits voneinander abzugrenzen. Während Einkünfte und Bezüge im Grundsatz alle finanziellen Mittel sind, die jemandem im maßgeblichen Zeitraum zusätzlich zufließen, die er also wertmäßig dazu erhält, ist Vermögen das, was er vor diesem Zeitraum bereits hatte.
Vom Kind bezogene Renten gehören grundsätzlich zu dessen Einkünften, soweit sie mit ihrem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG oder ihrem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG der Besteuerung unterliegen; im Übrigen zählen sie zu den Bezügen.
Leibrenten, die ‑ wie im Streitfall ‑ auf eigenen Einzahlungen beruhen, welche ausschließlich oder überwiegend aus versteuertem Einkommen erbracht wurden, werden verfassungsgemäß typisierend nicht mit ihrem gesamten Betrag, sondern nur mit ihrem Ertragsanteil (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG) besteuert. Dies beruht auf der Vorstellung, dass mit den Renten teilweise eigenes Vermögen zurückfließt, die Rentenzahlungen also einen Kapitalrückzahlungsanteil (Tilgungsanteil) enthalten, teils aber auch ‑ in Abhängigkeit von einer durchschnittlichen Lebensdauer und dem Alter des Rentenberechtigten bei Beginn der Rente ‑ aufgrund einer Verzinsung Erträge erzielt werden.
Der den Ertragsanteil übersteigende Teil der Rentenzahlungen ist nicht als Bezug zu erfassen, wenn - wie im Streitfall - der Rentenanspruch durch eine Vermögensumschichtung begründet wurde. Soweit es sich bei Rentenzahlungen nicht um vom Versicherer erwirtschaftete Erträge handelt, sondern das Kind lediglich bereits vorher vorhandenes Vermögen zurückerhält, d.h. vom Kind oder einem Kindergeldberechtigten zuvor ‑ z.B. bei Banken oder Versicherern ‑ angesparte Mittel, handelt es sich nicht um Bezüge, aus denen das Kind i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG seinen Unterhalt zu decken hat. Denn andernfalls würde der Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen gewertet.