Spanien mit unzulässigen ermäßigten Mehrwertsteuersätzen im Bereich der Arzneimittel und der medizinischen Geräte
EuGH 17.1.2013, C-360/11Die Mehrwertsteuerrichtlinie (2006/112/EG) führt (in ihrem Anhang III) die Kategorien der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen auf, auf die die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden können. Zu diesen Kategorien zählen Arzneimittel, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden, und medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind.
Die Kommission war der Ansicht, dass Spanien in diesem Bereich einen ermäßigten Steuersatz auf Kategorien anwende, die weiter seien als die von der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen. Aus diesem Grunde übermittelte sie im November 2010 eine mit Gründen versehene Stellungnahme und forderte Spanien auf, dieser Stellungnahme nachzukommen. Spanien wiederholte seinen Standpunkt, wonach das spanische Mehrwertsteuergesetz mit den Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang stehe. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.
Der EuGH gab der Klage statt.
Die Gründe:
Spanien hat gegen die Verpflichtungen verstoßen, die sich aus der Mehrwertsteuerrichtlinie ergeben.
Die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf medizinische Stoffe, die für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können, ist unvereinbar mit der Mehrwertsteuerrichtlinie. Diese erlaubt nämlich lediglich einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für fertige Produkte, die vom Endverbraucher unmittelbar gebraucht werden können. Dies wird bestätigt durch den mit den ermäßigten Steuersätzen verfolgten Zweck, die Kosten für bestimmte Gegenstände, die für den Endverbraucher als unentbehrlich erachtet werden, zu senken und den Zugang zu ihnen zu erleichtern.
Nach der Mehrwertsteuerrichtlinie ist weiter nicht zulässig, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf "Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte oder Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können", anzuwenden. Zum einen kann diese Art von Gegenständen nicht von der in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Kategorie der medizinischen Geräte, Hilfsmittel und sonstigen Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind, erfasst werden, da diese Kategorie nur die Verwendung beim Menschen betrifft, unter Ausschluss der Verwendung beim Tier. Zum anderen können diese Gegenstände auch nicht vom Begriff "Arzneimittel" i.S.d. Anhangs III der Richtlinie erfasst sein.
Der Begriff des Arzneimittels i.S.d. der Richtlinie geht zwar weiter als der Begriff des Arzneimittels i.S.d. Richtlinie zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. Gleichwohl überzeugt die Argumentation Spaniens nicht, wonach der erste Begriff alle Gesundheitsprodukte, medizinischen Vorrichtungen, Stoffe und Geräte umfassen könne, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt seien. Die Anwendung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze verfolgt insbes. den Zweck, die Kosten für bestimmte für den Endverbraucher unentbehrliche Gegenstände zu senken. Allerdings werden die Kosten für Gesundheitsprodukte, Hilfsmittel, sowie ärztliche und tierärztliche Geräte selten unmittelbar vom Endverbraucher getragen, da diese Produkte hauptsächlich von Fachleuten aus dem Gesundheitssektor für Dienstleistungen verwendet werden, die ihrerseits von der Mehrwertsteuer befreit werden können.
Auch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die dazu dienen können, körperliche Behinderungen von Tieren auszugleichen, verstößt gegen die Mehrwertsteuerrichtlinie. Und schließlich kann auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die hauptsächlich dazu verwendet werden, Behinderungen des Menschen auszugleichen, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen, kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewendet werden kann. Nach der Richtlinie wird nämlich vorausgesetzt, dass diese Gegenstände ausschließlich dem persönlichen Gebrauch der Behinderten dienen. Nach EuGH-Rechtsprechung hängt die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf einen Gegenstand, der für unterschiedliche Zwecke verwendet werden kann, für jeden einzelnen Liefervorgang davon ab, zu welchem konkreten Zweck der Käufer diesen Gegenstand verwendet.
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