10.04.2025

Steuerbefreiung für Strom zur Stromerzeugung und für Strom, der zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, Strom zu erzeugen, entnommen worden ist

1. Die Entnahme von Strom im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 des Stromsteuergesetzes erfolgt nicht ausschließlich durch die Person, die "den Schalter umlegt", sondern kann auch Personen zugerechnet werden, die aufgrund einer besonderen Einwirkungsmöglichkeit auf eine andere Person und die stromverbrauchenden Anlagen die tatsächliche Sachherrschaft über diese ausüben. Maßgeblich sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.
2. Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Amtsblatt der Europäischen Union 2003, Nr. L 283, 51) ‑‑EnergieStRL‑‑, wonach elektrischer Strom, der zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, verwendet wird, von der Steuer zu befreien ist, ist bislang nicht in nationales Recht umgesetzt worden. Allerdings ist diese Vorschrift inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, sodass sich der Einzelne unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL berufen kann.
3. Bestimmte Vorgänge in einem Kraftwerk, die der eigentlichen Stromerzeugung vor- oder nachgelagert sind, sind von der Stromsteuer befreit, wenn sie der Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, dienen.

Kurzbesprechung
BFH v. 15.10.2024, VII R 31/21

StromStG § 5 Abs 1 S 1 Alt 2, StromStG § 9 Abs 1 Nr. 2, StromStV § 12 Abs 1 Nr. 1, EGRL 96/2003 Art 14 Abs 1 Buchst a S 1, EGRL 96/2003 Art 21 Abs 3

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StromStG entsteht die Stromsteuer dadurch, dass der Versorger dem Versorgungsnetz Strom zum Selbstverbrauch entnimmt.

Das Stromsteuergesetz enthält keine nähere Definition des Begriffs der Entnahme. Die Stromsteuer weist die Besonderheit auf, dass bei ihr die Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr und der Verbrauch zeitlich zusammenfallen. Daraus ergibt sich, dass derjenige den Strom aus dem Versorgungsnetz entnimmt, der die unmittelbare beziehungsweise tatsächliche Sachherrschaft über die Anlagen hat, in denen der Strom verbraucht wird. Denn in diesen Anlagen wird der Strom einer eliminierenden Nutzung zugeführt, also verbraucht, und eine nicht steuerbare Ware (zum Beispiel Wärme) erzeugt. Der Begriff der unmittelbaren Sachherrschaft ist gleichbedeutend mit dem Begriff der tatsächlichen Gewalt in § 854 Abs. 1 BGB. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, auf welcher vertraglichen Grundlage die unmittelbare beziehungsweise tatsächliche Sachherrschaft über die Anlagen eingeräumt worden ist oder in wessen Eigentum die stromverbrauchenden Anlagen stehen. Eine lediglich mittelbare Sachherrschaft über die stromverbrauchenden Anlagen reicht für eine Zuordnung der Stromentnahme nicht aus.

Die Entnahme erfolgt nicht nur durch die Person, die "den Schalter umlegt", sondern kann auch Personen zugerechnet werden, die aufgrund einer besonderen Einwirkungsmöglichkeit auf eine andere Person und die stromverbrauchenden Anlagen die tatsächliche Sachherrschaft über diese Anlagen ausüben. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, ob die Person, die rein tatsächlich den Stromverbrauch verursacht, eine eigene Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die stromverbrauchenden Anlagen hat oder ob diese einer anderen Person zusteht.

Eine solche Einwirkungsmöglichkeit ist gegeben beim Einsatz von eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eines Unternehmens, kann aber unter engen Voraussetzungen auch beim Einsatz von Fremdpersonal, das wie eigenes Personal in den Betrieb eingegliedert ist und nicht selbständig über die Bedienung der stromverbrauchenden Anlagen entscheiden kann, der Fall sein. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.

Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige die streitigen Strommengen entnommen, auch wenn sie teilweise Personal des Dienstleistungsunternehmens in ihrem Kraftwerk eingesetzt hatte. Sie behielt die unmittelbare Sachherrschaft über die stromerzeugenden Anlagen und über die Anlagenbestandteile, mit denen die streitigen Vorgänge durchgeführt wurden, da sie keine rechtlichen Befugnisse an das Dienstleistungsunternehmen übertragen hatte und die Kontrolle über die Anlagen durch die klägerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichergestellt blieb, selbst wenn einzelne Anlagenbestandteile durch das Personal des Dienstleistungsunternehmens bedient wurden. Somit verblieb ihr nicht lediglich die Stellung einer mittelbaren Besitzerin.

Die Steuerpflichtige ist Versorgerin im Sinne von § 2 Nr. 1 StromStG und damit Steuerschuldnerin nach § 5 Abs. 2 Alternative 1 StromStG.

Im Streitfall hatte das FG zu Recht entschieden, dass der Stromverbrauch im Kalenderjahr 2016 für die Kohleförderbänder zu den Kohlekreislagern, für die Kohleförderbänder ab den Kohlekreislagern und für die Kohlekreislager nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG von der Stromsteuer befreit ist. Der Stromverbrauch für den Betrieb der Aschesilos und des Gipskreislagers ist demgegenüber nicht von der Stromsteuer befreit.

Nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL ist elektrischer Strom, der zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, verwendet wird, ebenfalls von der Steuer zu befreien.

Zu Art. 14 Abs  1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL sind in Deutschland bislang keine Vorschriften erlassen worden, sodass diese Alternative nicht in nationales Recht umgesetzt wurde. Der Einzelne kann sich jedoch in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat. Zur Verpflichtung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 1 EnergieStRL, die für die Stromerzeugung bestimmten Energieerzeugnisse von der in der Energiesteuerrichtlinie vorgesehenen Besteuerung auszunehmen, hat der EuGH entschieden, dass diese so genau und unbedingt ist, dass sie dem Einzelnen das Recht verleiht, sich vor den nationalen Gerichten auf sie zu berufen, um sich einer mit ihr unvereinbaren nationalen Regelung zu widersetzen (EuGH-Urteile Flughafen Köln/Bonn vom 17.07.2008 - C-226/07, EU:C:2008:429, Rz. 33 und 39 und Cristal Union vom 07.03.2018 - C-31/17, EU:C:2018:168, Rz. 26). Steuerpflichtige können sich gleichfalls unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL berufen, weil diese Regelung ebenfalls unbedingt und hinreichend genau ist.

Im Streitfall hatte das FG zu Recht entschieden, dass die im Kalenderjahr 2016 für den Betrieb der Förderbänder zu den Kohlekreislagern und weg von den Kohlekreislagern sowie für den Betrieb der Kohlekreislager entnommene Menge elektrischen Stroms gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL von der Stromsteuer befreit ist. Demgegenüber sind die für den Betrieb der Aschesilos und den Betrieb des Gipskreislagers im Kalenderjahr 2016 entnommenen Strommengen nicht von der Stromsteuer befreit.

In Bezug auf die Stromsteuerfestsetzung für das Kalenderjahr 2017 hatte das FG zu Recht entschieden, dass die Entnahme von Strom zum Betrieb der Entladekräne, der Kohleförderbänder zu den Kohlekreislagern und weg von den Kohlekreislagern, zum Betrieb der Kohlekreislager, für die Kreideanlieferung und -lagerung, für die Lagerung des Ammoniakwassers und für die Wasseraufbereitung (Abwasser) von der Stromsteuer befreit sind. Der Stromverbrauch für die Schlacketrocknung und den Schlackeabzug, für die Schlackelagerung, den Betrieb der Aschesilos, die Gipstrocknung und den Betrieb des Gipskreislagers war dagegen nicht von der Steuerbefreiung erfasst.
Verlag Dr. Otto Schmidt