04.01.2023

Steuerfreie Beförderung von kranken und verletzten Personen

Die Beförderung kranker oder verletzter Personen oder solcher mit Behinderung durch einen hierfür anerkannten Unternehmer ist als "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei.

Kurzbesprechung
BFH v. 24. 8. 2022 - XI R 25/20

UStG § 4 Nr. 17 Buchst b
EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g, 112/2006 Art 134 Buchst b


Die Personenbeförderungen sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei. Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen ..., einschließlich derjenigen, die durch ... Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Um als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden angesehen werden zu können, muss die betreffende Leistung im Lichte von Art. 134 Buchst. a MwStSystRL betrachtet jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein.

Ferner muss es sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind. Danach sind die Personenbeförderungsleistungen "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen". Diese Leistungen sind dem Grunde nach gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL von der Steuer befreit. Ob die Leistungen daneben die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. p MwStSystRL erfüllen, ist insoweit unerheblich. Denn gerade im Zusammenhang mit eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen können sich Überschneidungen mit anderen Steuerbefreiungen ergeben.

Der Steuerbefreiung stand im Streitfall auch nicht entgegen, dass der Steuerpflichtige oder die GmbH ihre entgeltlichen Leistungen ggf. nicht gegenüber der hilfsbedürftigen Person als sog. Selbstzahler, sondern gegenüber einem Sozialleistungsträger erbracht hatten. Denn für Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL kommt es nicht darauf an, wer mehrwertsteuerrechtlich Empfänger der entgeltlichen Leistung ist, sondern dass die Leistung einen für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlichen Schritt enthält und ihre Belastung mit der Mehrwertsteuer daher zwangsläufig dazu führen würde, die Kosten der genannten Umsätze zu erhöhen. Letzteres war im Streitfall gegeben.

Der Steuerpflichtige als natürliche Person und nachfolgend die von ihm gegründete GmbH sind Einrichtungen, die im Inland als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt sind. Der Begriff "Einrichtung" ist grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen wie den Steuerpflichtigen und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht wie die GmbH zu erfassen.

Danach sind der Steuerpflichtige und die GmbH in Bezug auf ihre Personenbeförderungsleistungen im Inland als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt. Die Verordnungsfähigkeit von Krankenfahrten ist im Sozialversicherungsrecht als Teil der vertragsärztlichen Versorgung gesetzlich verankert (§ 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V). Zudem führten der Steuerpflichtige und die GmbH Personenbeförderungen, insbesondere von Menschen mit einer Behinderung, aufgrund von Vereinbarungen mit verschiedenen Einrichtungen und Verbänden durch. Die Kosten für ihre Leistungen wurden zum großen Teil durch Krankenkassen und andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen; die beförderte Person erhielt selbst nur dann eine Rechnung, wenn eine Krankenkasse die Erstattung der Kosten ablehnte.

Der Steuerfreiheit steht auch nicht Art. 134 Buchst. b MwStSystRL entgegen. Denn die in Rede stehenden Personenbeförderungsleistungen standen unter den Umständen des vorliegenden Streitfalls nicht in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von Taxi- und Mietwagenunternehmern. Zwar werden kranke, verletzte oder behinderte Personen auch von Taxi- und Mietwagenunternehmern befördert. Jedoch gingen die vorliegend erbrachten Dienstleistungen über die bloße Beförderung dieser Personen hinaus.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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