15.12.2022

Steuerliche Behandlung eines punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses

1. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen (entgegen BMF-Schreiben vom 17.12.2013, BStBl I 2014, 63).
2. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht.
3. Ob eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung nach § 42 AO gestaltungsmissbräuchlich ist, ist bei zivilrechtlich wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für satzungsgemäße inkongruente Ausschüttungen gelten.

Kurzbesprechung
BFH v. 28. 9. 2022 - VIII R 20/20

EStG § 20 Abs 1 Nr1 1 S 1, § 20 Abs 1 Nr. 1 S 2
AO § 42, § 173 Abs 1 Nr. 1
KStG § 32a Abs 1 S 1


Der Steuerpflichtige war in den Streitjahren 2012 bis 2015 zu 50% an einer GmbH 1 beteiligt. Weiterer 50%-Gesellschafter war eine GmbH 2, deren alleiniger Gesellschafter der Steuerpflichtige war. Die Gesellschafter der GmbH 1 fassten in den Streitjahren jeweils einstimmig Vorabausschüttungsbeschlüsse, mit denen die Vorabgewinne nur an die GmbH 2 verteilt wurden. Der Gesellschaftsvertrag der GmbH 1 enthielt keine Regelungen zur Gewinnverteilung. Diese waren daher entsprechend der Beteiligungsverhältnisse zu verteilen (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG).

Das FA sah die Ausschüttungsbeschlüsse wegen der inkongruenten Verteilung der Vorabgewinne als zivilrechtlich nichtig an und unterwarf die hälftigen Ausschüttungsbeträge beim Steuerpflichtigen als Einkünfte aus verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG der Besteuerung.

Der BFH entschied jedoch, dass die einstimmig gefassten Ausschüttungsbeschlüsse als zivilrechtlich wirksame Gewinnverwendungs- und -verteilungsbeschlüsse der Besteuerung zugrunde zu legen sind. Denn es lagen nur offene Gewinnausschüttungen der GmbH 1 an die GmbH 2 und keine Ausschüttungen an den Steuerpflichtigen vor.

Eine Zurechnung der hälftigen Ausschüttungsbeträge beim Steuerpflichtigen aufgrund eines Gestaltungsmissbrauchs gemäß § 42 AO kam nicht in Betracht, da die zivilrechtlich wirksam beschlossenen inkongruenten Ausschüttungen steuerlich anzuerkennen sind. Dem Steuerpflichtigen war aufgrund der Ausschüttungen der GmbH 1 nur an die GmbH 2 auch kein gesetzlich nicht vorgesehener steuerlicher Vorteil i.S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO entstanden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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