Steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen und -verlusten im Falle des sog. Bondstripping
Kurzbesprechung
BFH v. 30. 11. 2022 - VIII R 30/20
EStG § 20 Abs 2 S 1 Nr. 2 Buchst b, § 20 Abs 2 S 1 Nr. 7, § 32d Abs 2 Nr. 1 S 1 Buchst b, AO § 42
HGB § 255
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den Inhaber oder ehemaligen Inhaber der Schuldverschreibung, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen nicht mit veräußert werden. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Sonstige Kapitalforderungen in diesem Sinne sind Geldforderungen, bei denen die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.
Im entschiedenen Streitfall führte die isolierte Veräußerung der Zinsscheine zu Einkünften des Steuerpflichtigen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG und die isolierte Veräußerung der Anleihemäntel zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. Dass der Steuerpflichtige aus der Veräußerung der Anleihemäntel jeweils einen Verlust erzielt hatte, stand dem nicht entgegen. Denn vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn, d.h. ein Veräußerungsverlust, erfasst.
Die aus der Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG unterliegen jedoch der tariflichen Einkommensteuer, weil die Anwendung des gesonderten Tarifs im Streitfall gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ausgeschlossen ist. Denn nach dem Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG setzt der Ausschluss des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen voraus, dass die Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG von der Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Diese Voraussetzung war im Streitfall erfüllt.
Eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG dahingehend, dass die Vorschrift in den Fällen nicht zur Anwendung kommt, in denen durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht, kommt nicht in Betracht.
Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vorliegt. Denn der Gesetzgeber hat in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG gerade den Fall geregelt, dass Substanzgewinne und -verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, die aus der Zahlung von Veräußerungsentgelten einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter in Form steuerneutraler Anschaffungskosten für den Erwerb von Forderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG resultieren, aus dem Anwendungsbereich des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgenommen sind. Diese folgerichtige gesetzliche Wertung ist bei der Prüfung, ob ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 2 AO vorliegt, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu berücksichtigen. Dementsprechend darf die gesetzgeberische Entscheidung, dass die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, zu einem tariflichen Veräußerungsgewinn oder -verlust führt, nicht dadurch unterlaufen werden, dass bei der Verwirklichung eines solchen Veräußerungstatbestands auf der Grundlage des § 42 AO von einer Umgehungsgestaltung ausgegangen wird. Der Steuerpflichtige hatte somit nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Die Anschaffungskosten der erworbenen Bundesanleihen waren auch nicht jeweils auf die Anleihemäntel und die Zinsscheine aufzuteilen, da es nicht zu einer Substanzabspaltung kam. Obwohl nach der Trennung der Anleihen in die Anleihemäntel und die Zinsscheine jeweils nur noch sonstige Kapitalforderungen in Form von Nullkuponanleihen vorliegen, aus denen der jeweilige Inhaber den Zins oder das Kapital einziehen kann, ergibt sich aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, dass die Abtrennung und Veräußerung der Zinsscheine als entgeltliche Vorausabtretung von Zinserträgen zu behandeln ist. Die in den Zinsscheinen verkörperten Zinsen sind Früchte der Anleihe, nicht Teil ihrer Substanz. Die für die Zinserträge maßgeblichen Grundlagen wie die Höhe der Kapitalüberlassung, die Höhe des Zinssatzes und die Fälligkeitstermine ergeben sich auch nach der Trennung ausschließlich aus den Bedingungen des Anleihemantels. Dementsprechend liegt in der Abtrennung der Zinsscheine keine Aufspaltung der Anleihen in ihrer Substanz.
Beraterhinweis: Siehe hierzu auch (größtenteils inhaltsgleich) BFH v. 30. 11. 2022- VIII R 15/19
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 20 Abs 2 S 1 Nr. 2 Buchst b, § 20 Abs 2 S 1 Nr. 7, § 32d Abs 2 Nr. 1 S 1 Buchst b, AO § 42
HGB § 255
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den Inhaber oder ehemaligen Inhaber der Schuldverschreibung, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen nicht mit veräußert werden. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Sonstige Kapitalforderungen in diesem Sinne sind Geldforderungen, bei denen die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.
Im entschiedenen Streitfall führte die isolierte Veräußerung der Zinsscheine zu Einkünften des Steuerpflichtigen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG und die isolierte Veräußerung der Anleihemäntel zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. Dass der Steuerpflichtige aus der Veräußerung der Anleihemäntel jeweils einen Verlust erzielt hatte, stand dem nicht entgegen. Denn vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn, d.h. ein Veräußerungsverlust, erfasst.
Die aus der Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG unterliegen jedoch der tariflichen Einkommensteuer, weil die Anwendung des gesonderten Tarifs im Streitfall gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ausgeschlossen ist. Denn nach dem Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG setzt der Ausschluss des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen voraus, dass die Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG von der Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Diese Voraussetzung war im Streitfall erfüllt.
Eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG dahingehend, dass die Vorschrift in den Fällen nicht zur Anwendung kommt, in denen durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht, kommt nicht in Betracht.
Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vorliegt. Denn der Gesetzgeber hat in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG gerade den Fall geregelt, dass Substanzgewinne und -verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, die aus der Zahlung von Veräußerungsentgelten einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter in Form steuerneutraler Anschaffungskosten für den Erwerb von Forderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG resultieren, aus dem Anwendungsbereich des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgenommen sind. Diese folgerichtige gesetzliche Wertung ist bei der Prüfung, ob ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 2 AO vorliegt, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu berücksichtigen. Dementsprechend darf die gesetzgeberische Entscheidung, dass die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, zu einem tariflichen Veräußerungsgewinn oder -verlust führt, nicht dadurch unterlaufen werden, dass bei der Verwirklichung eines solchen Veräußerungstatbestands auf der Grundlage des § 42 AO von einer Umgehungsgestaltung ausgegangen wird. Der Steuerpflichtige hatte somit nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Die Anschaffungskosten der erworbenen Bundesanleihen waren auch nicht jeweils auf die Anleihemäntel und die Zinsscheine aufzuteilen, da es nicht zu einer Substanzabspaltung kam. Obwohl nach der Trennung der Anleihen in die Anleihemäntel und die Zinsscheine jeweils nur noch sonstige Kapitalforderungen in Form von Nullkuponanleihen vorliegen, aus denen der jeweilige Inhaber den Zins oder das Kapital einziehen kann, ergibt sich aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, dass die Abtrennung und Veräußerung der Zinsscheine als entgeltliche Vorausabtretung von Zinserträgen zu behandeln ist. Die in den Zinsscheinen verkörperten Zinsen sind Früchte der Anleihe, nicht Teil ihrer Substanz. Die für die Zinserträge maßgeblichen Grundlagen wie die Höhe der Kapitalüberlassung, die Höhe des Zinssatzes und die Fälligkeitstermine ergeben sich auch nach der Trennung ausschließlich aus den Bedingungen des Anleihemantels. Dementsprechend liegt in der Abtrennung der Zinsscheine keine Aufspaltung der Anleihen in ihrer Substanz.
Beraterhinweis: Siehe hierzu auch (größtenteils inhaltsgleich) BFH v. 30. 11. 2022- VIII R 15/19