30.09.2019

Streitwert - Zur Änderung einer gerichtlichen Streitwertfestsetzung

Wird eine Steuerfestsetzung mehrfach geändert, ist nach jeder Änderung die Zinsfestsetzung erneut zu ändern. Ein nach § 233a Abs. 5 AO ermittelter Nachzahlungszinsbetrag wird zu bisher festgesetzten Nachzahlungszinsen addiert. Der geänderte Zinsbescheid weist nur den Gesamtzinsbetrag aus.

FG Düsseldorf v. 12.8.2019 - 10 K 1892/19 AO
Der Sachverhalt:
Das Finanzamt hatte die Einkommensteuer für die Streitjahre 1995 bis 2000 zuletzt durch Änderungsbescheide vom 19.7.2010 abweichend von den zuvor ergangenen Einkommensteuerfestsetzungen für diese Jahre vom 19.7.2006 neu festgesetzt. Zinsfestsetzungen gem. § 233a AO wurden - entgegen § 233a Abs. 4 AO - nicht verbunden. Sie erfolgten erst durch gesonderte Zinsbescheide für die Streitjahre vom 10.2.2012. Die gegen die Zinsbescheide erhobene Klage hatte hinsichtlich der Jahre 1995 bis 1997 und 1999 Erfolg. Das Gericht hob die Zinsbescheide wegen vor Bekanntgabe der Bescheide bereits eingetretener Festsetzungsverjährung auf (Urt. v. 7.6.2017 - 10 K 2219/14 AO). Soweit die Klage die Zinsfestsetzungen für 1998 und 2000 betraf, wies es sie als unzulässig bzw. unbegründet ab. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH erfolglos.

Die Kläger beantragten daraufhin die Festsetzung der ihnen zu erstattenden Aufwendungen. Sie gingen von einem Streitwert i.H.v. 228.683 € aus (die Summe der für die Jahre 1995 bis 1997 und 1999 festgesetzten Nachforderungszinsen. Das Finanzamt wandte sich gegen die Annahme der Kläger. Da die Zinsfestsetzungen vom 10.2.2012 die Zinsfestsetzungen vom 19.7.2006 ersetzt hätten, hätten diese, nachdem jene aufgehoben worden seien, ihre Wirksamkeit wiedererlangt. Der Streitwert betrage daher lediglich 34.821 €. Das Gericht setzte am unter Absehen von einer Begründung den Streitwert auf 230.938 € fest. Dieser Betrag entspricht der Gesamtsumme der im Verfahren 10 K 2219/14 AO strittigen Zinsen für die Streitjahre.

Das Finanzamt hat daraufhin gegen den Beschluss Beschwerde gem. § 68 GKG, hilfsweise Anhörungsrüge gem. § 133a FGO erhoben und eine Änderung des Streitwertbeschlusses beantragt. So sei nicht erkennbar, ob und inwieweit ein behördlicher Schriftsatz bei der gerichtlichen Beschlussfassung berücksichtigt worden sei.

Das FG hat die  Anhörungsrüge zurückgewiesen.

Die Gründe:
Es lässt sich kaum annehmen, dass das Gericht den Anspruch des Finanzamtes auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Gesetz verlangt nämlich nicht, dass die Beteiligten vor einer gerichtlichen Streitwertfestsetzung angehört werden. Selbst wenn eine solche Anhörung aus rechtsstaatlichen Gründen - vor allem wegen der Bindungswirkung des Beschlusses für das Kostenfestsetzungsverfahren und den Kostenansatz - geboten sein sollte, hätte das Gericht diesen Anspruch nicht i.S.v. § 69a Abs. 1 Nr. 2 GKG "in entscheidungserheblicher Weise" verletzt. Dies wäre nur der Fall, wenn bei Kenntnisnahme des Schriftsatzes der Behörde, der weder von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle noch vom Gericht berücksichtigt wurde, eine für den Beteiligten günstige Entscheidung als möglich in Betracht zu ziehen wäre. Was hier aber nicht der Fall war.

Das Gericht hatte den Streitwert nämlich nicht zu Lasten des Finanzamtes zu hoch festgesetzt. Nach § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, soweit - wie hier - nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 € anzusetzen (§ 52 Abs. 2 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers - wie im Streitfall - eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Die Kläger hatten beantragt, die Bescheide über Zinsen zur Einkommensteuer nach § 233a AO für die Jahre 1995 bis 2000 vom 10.2.2012 ersatzlos aufzuheben. Beantragt ein Kläger die ersatzlose Aufhebung eines Steuerverwaltungsaktes, so bemisst sich der Streitwert nach der Höhe des festgesetzten Betrags. Dies war hier die Gesamtsumme der festgesetzten Zinsen, somit 230.938 €. Allerdings geht das finanzielle Interesse eines Klägers, der die Aufhebung eines Steuerbescheides begehrt, durch den eine frühere Steuerfestsetzung geändert wurde, nur so weit, wie die Änderung reicht, weil die frühere Festsetzung nach der Aufhebung des Änderungsbescheides wieder auflebt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der ursprüngliche Bescheid als Folge der Aufhebung des Änderungsbescheides wieder auflebt. Dies ist indes nicht nur bei Steuerbescheiden, sondern auch bei einem nach § 233a Abs. 5 Satz 1 AO ergangenen Zinsbescheid der Fall.

Nach § 233a Abs. 5 Satz 1 AO ist, wenn eine Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird, eine bisherige Zinsfestsetzung zu ändern. Maßgebend für die Zinsberechnung ist der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und um die anzurechnende Körperschaftsteuer. Dem sich hiernach ergebenden Zinsbetrag sind bisher festzusetzende Zinsen hinzuzurechnen; bei einem Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen entfallen darauf festgesetzte Zinsen (§ 233a Abs. 5 Satz 2 und 3 AO). Diese Vorschrift ist lex specialis zu den §§ 172 ff. AO. Sie regelt abschließend die Folgen einer Änderung der Steuerfestsetzung für die Zinsfestsetzung.

Wird eine Steuerfestsetzung mehrfach geändert, ist nach jeder Änderung die Zinsfestsetzung erneut zu ändern. Ein nach § 233a Abs. 5 AO ermittelter Nachzahlungszinsbetrag wird zu bisher festgesetzten Nachzahlungszinsen addiert. Der geänderte Zinsbescheid weist nur den Gesamtzinsbetrag aus. Dies bedeutet, dass ein nach § 233a Abs. 5 Satz 1 AO ergangener Zinsbescheid den Zinsbetrag nicht nur insoweit festsetzt, als er sich abweichend von einer früheren Zinsfestsetzung durch die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Regelungen in § 233a Abs. 5 Satz 2 und 3 AO ergibt, sondern hinsichtlich des gesamten im Bescheid festgesetzten Zinsbetrags, d.h. auch soweit er auf früheren Festsetzungen beruht, eine neue und abschließende Regelung i. S. von § 118 Satz 1 AO trifft.

Verfahrensrechtlich bedeutet dies, dass sich aufgrund der Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung, wie § 233a Abs. 5 Satz 1 AO sie zum Anlass für eine neue Zinsberechnung und -festsetzung nimmt, die bisherige Festsetzung auf andere Weise i.S.v. § 124 Abs. 2 AO erledigt und damit unwirksam wird Das Unwirksamwerden bedeutet jedoch nicht, dass die frühere Zinsfestsetzung nicht wiederauflebt, wenn die spätere Zinsfestsetzung aufgehoben wird. Der Große Senat des BFH hat mit Beschluss vom 25.10.1972 GrS 1/72 für Steuerbescheide entschieden, dass ein Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsinhalt mit aufnimmt. Solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid danach keine Wirkung. Der ursprüngliche Bescheid ist in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen ist, suspendiert und bleibt dies für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheides. Der ursprüngliche Bescheid tritt jedoch wieder in Kraft, wenn der Änderungsbescheid aufgehoben wird. Dies gilt nach Auffassung des Gerichts auch für Zinsbescheide.

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