Stromsteuerentlastung für Abwasserunternehmen
BFH v. 30.4.2019 - VII R 14/18Die Klägerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Aufgaben wie folgt bestimmt sind:
- 1. Regelung des Wasserabflusses einschließlich Ausgleich der Wasserführung und Sicherung des Hochwasserabflusses der oberirdischen Gewässer oder Gewässerabschnitte und in deren Einzugsgebieten;
- 2. Unterhaltung oberirdischer Gewässer oder Gewässerabschnitte und der mit ihnen in funktionellem Zusammenhang stehenden Anlagen;
- 3. Rückführung ausgebauter oberirdischer Gewässer in einen naturnahen Zustand;
- 4. Regelung des Grundwasserstandes;
- 5. Vermeidung, Minderung, Beseitigung und Ausgleich wasserwirtschaftlicher und damit in Zusammenhang stehender ökologischer, durch Einwirkungen auf den Grundwasserstand, insbesondere durch den Steinkohlen- und Salzabbau, hervorgerufener oder zu erwartender nachteiliger Veränderungen;
- 6. Beschaffung und Bereitstellung von Wasser zur Trink- und Betriebswasserversorgung im Zusammenhang mit der Regelung des Grundwasserstandes (Nr. 4);
- 7. Abwasserbeseitigung nach Maßgabe des Landeswassergesetzes;
- 8. Entsorgung der bei der Durchführung der genossenschaftlichen Aufgaben anfallenden Abfälle;
- 9. Vermeidung, Minderung, Beseitigung und Ausgleich eingetretener oder zu erwartender, auf Abwassereinleitungen oder sonstige Ursachen zurückzuführender nachteiliger Veränderungen des oberirdischen Wassers;
- 10. Ermittlung der wasserwirtschaftlichen Verhältnisse, soweit es die Aufgaben der Genossenschaft erfordern.
Die Klägerin beantragte am 8.12.2014 beim Hauptzollamt für ausschließlich selbst verbrauchten Strom die Entlastung von der Stromsteuer nach § 9b StromStG für das Kalenderjahr 2013 (abzgl. des Selbstbehalts nach § 9b Abs. 2 StromStG). Nach der eingereichten Beschreibung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten für 2012 wies sie ihre Aufgaben folgenden Abschnitten und Unterklassen der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ 2003) zu:
- Nr. 1: F 45.24.0, F 45.11.2
- Nr. 2: F 45.24.0
- Nr. 3: F 45.24.0, F 45.11.2
- Nr. 4: F 45.24.0, F 45.11.2
- Nr. 5: F 45.24.0
- Nr. 6: E 41.00.2, F 45.24.0, F 45.11.2
- Nr. 7: O 90.01.1, O 90.01.2 und E 40.11.1
- Nr. 8: O 90.02.1
- Nr. 9: keine Zuordnung möglich
- Nr. 10: F 45.24.0 und K
Die Beiträge für den Bereich Planung und Bau ordnete sie vollständig dem Abschnitt F (Baugewerbe) zu, und zwar unabhängig davon, ob den Beiträgen Baumaßnahmen im Bereich Entwässerung, Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung zu Grunde lagen, weil die durchgeführten Arbeiten zur Bildung von Anlagevermögen beigetragen hatten. Diese Arbeiten ließ die Klägerin zu ca. 90 % von Fremdfirmen ausführen und übernahm selbst nur wesentliche Teile der Ingenieurleistungen in Form von Planung und Bauleitung (ca. 10 %). Die Klägerin bestimmte den Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit anhand des mit den einzelnen Tätigkeiten erzielten Umsatzes und ordnete einen Anteil von 50,66 % dem Bereich Wasserbau und Bautätigkeit (Abschnitt F der WZ 2003) zu.
Das Hauptzollamt lehnte den Antrag ab, soweit er den Zeitraum vom 1.8. bis zum 31.12.2013 betraf. Zum 1.8.2013 sei § 15 Abs. 9 StromStV in Kraft getreten. Danach gelte, soweit in den Erläuterungen zur Abteilung 45 der WZ 2003 bestimmt werde, dass Arbeiten im Baugewerbe auch durch Subunternehmen erbracht werden dürften, dies nicht, wenn die Arbeiten für das zuzuordnende Unternehmen Investitionen darstellten.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Hauptzollamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin die weitere Stromsteuerentlastung für den Zeitraum vom 1.8. bis zum 31.12.2013 zusteht, weil sie ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes ist. Infolgedessen erweisen sich der Bescheid, soweit er die Entlastung für den genannten Zeitraum verweigert, und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung als rechtswidrig.
Nach § 9b Abs. 1 StromStG wird einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes die Steuer für nachweislich versteuerten Strom, den dieses für betriebliche Zwecke entnommen hat, auf Antrag nach Maßgabe des § 9b Abs. 2 StromStG (bis auf einen geringen Sockelbetrag) erstattet oder vergütet. Unternehmen des Produzierenden Gewerbes sind nach § 2 Nrn. 3 und 2a StromStG u.a. Unternehmen, die nach der WZ 2003 dem Abschnitt F (Baugewerbe) zuzuordnen sind. Für die Zuordnung sind nach § 15 Abs. 1 Satz 2 StromStV die in der WZ 2003 und in deren Vorbemerkungen genannten Abgrenzungsmerkmale maßgebend, soweit in § 15 Abs. 2 bis 10 StromStV nichts anderes bestimmt ist.
Da die Klägerin mehrere wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, die nicht alle dem Produzierenden Gewerbe zugerechnet werden können, ist sie gem. § 15 Abs. 4 Satz 1 StromStV nach dem Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit einem Abschnitt der WZ 2003 zuzuordnen. Ihr nach § 15 Abs. 4 Satz 2 StromStV zustehendes Wahlrecht hatte die Klägerin in nicht zu beanstandender Weise dahingehend ausgeübt, dass sie sich für eine Ermittlung anhand der Umsatzanteile der einzelnen Tätigkeiten entschieden hatte. Für die Klägerin als juristische Person des öffentlichen Rechts ist als steuerbarer Umsatz das Aufkommen aus Beiträgen und Gebühren maßgeblich (§ 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 StromStV). Danach waren im maßgeblichen Zeitraum 2012 (§ 15 Abs. 3 Satz 1 StromStV) 50,66 % der von der Steuerpflichtigen vereinnahmten Beiträge dem Bereich Wasserbau und Bautätigkeit zuzuordnen.
Die Einordnung dieser Tätigkeit der Klägerin in den Abschnitt F der WZ 2003 (Baugewerbe) scheitert auch nicht daran, dass die Baumaßnahmen zu 90 % durch Dritte durchgeführt wurden. Im Streitfall war zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einmalige Investitionen der Klägerin, sondern um ständige Maßnahmen des Wasserbaus handelt, zu denen die Klägerin gegenüber ihren Mitgliedern verpflichtet ist. Der Fall liegt daher anders als bei einem Unternehmen, das einmalig Anlagen oder Maschinen herstellt und allein aufgrund dessen in einen nach § 2 Nr. 3 StromStG begünstigten Abschnitt der WZ 2003 einzuordnen wäre, obwohl sein eigentlicher Unternehmensgegenstand (z.B. Handel) nicht zum Produzierenden Gewerbe gehört. Darüber hinaus kann § 15 Abs. 9 StromStV nicht dahingehend verstanden werden, dass ohne Einschränkung alle investiven Baumaßnahmen nur dann zu begünstigen sind, wenn es sich um eigenausgeführte Bautätigkeiten handelt, denn eine solche ausnahmslose Regelung überschritte den von der Ermächtigungsgrundlage in § 11 Nr. 4 StromStG gezogenen Rahmen.
§ 15 Abs. 9 StromStV ist durch die Verordnung zur Änderung der Energiesteuer und der Stromsteuer-Durchführungsverordnung vom 24.7.2013 mit Wirkung vom 1.8.2013 eingefügt worden. Die Ermächtigungsgrundlage findet sich in § 11 Nr. 4 StromStG. § 11 Nr. 4 StromStG i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes vom 15.7.2006 entspricht den Vorgaben nach Art. 80 GG und ist deshalb verfassungsgemäß. Die Vorschrift ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Norm der Verwaltung nicht gestattet, die WZ 2003 durch Vorschriften der StromStV zu ändern. Durch die statische Verweisung in § 2 Nrn. 3 und 2a StromStG auf die WZ 2003 hat diese Gesetzesrang erlangt. Ein förmliches Gesetz kann nicht durch eine rangniedrigere Verordnung geändert werden. § 15 Abs. 9 StromStV ist auch nicht nichtig, sondern geltungserhaltend dahingehend auszulegen, dass nicht ausnahmslos sämtliche durch Subunternehmen ausgeführten Arbeiten unberücksichtigt bleiben sollen, die für das Unternehmen Investitionen darstellen. Vielmehr gilt der Ausschluss gem. § 15 Abs. 9 StromStV jedenfalls dann nicht, wenn laufende Investitionen den ständigen Geschäftszweck des Antragstellers darstellen.
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