29.07.2021

Tatbestand der Steuerhinterziehung ist bei Cum-Ex-Geschäften erfüllt

Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage derartiger Cum-Ex-Geschäfte erfüllt den Straftatbestand der Steuerhinterziehung. Das Gesetz habt schon zum Zeitpunkt der Tatbegehung eindeutig vorgesehen, dass nur die tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden darf.

BGH v. 28.7.2021 - 1 StR 519/20
Der Sachverhalt:
Der Angeklagten S. ist im Zusammenhang mit sog. Cum-Ex-Geschäften in den Jahren 2007 bis 2011 wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Sein Mitangeklagter D. hat wegen mehrerer Fälle der Beihilfe zur Steuerhinterziehung eine Bewährungsstrafe von einem Jahr erhalten. Das LG hat bei dem Angeklagten S. Taterträge i.H.v. 14 Mi0. € sowie bei dem Bankhaus W. als der Einziehungsbeteiligten i.H.v. rund 176 Mi0. € eingezogen.

Dem Urteil des LG lagen folgende Feststellungen zugrunde:

Der Angeklagte S. und Verantwortliche des Bankhauses W., insbesondere die gesondert Verfolgten Dr. O. und Sc., hatten in den Jahren 2007 bis 2011 verabredet, deutsche Finanzbehörden durch wahrheitswidrige Erklärungen zur Erstattung angeblich gezahlter Kapitalertragsteuer in Millionenhöhe zu veranlassen, die tatsächlich aber nicht entrichtet wurde. Hierfür plante und organisierte der Angeklagte S. eine Vielzahl vom Bankhaus W. durchgeführter Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäfte, die wie folgt abliefen:

Das Bankhaus W. kaufte in der Dividendensaison der Jahre 2007 bis 2011 von Leerverkäufern jeweils kurz vor dem Hauptversammlungstag Aktien mit Dividendenanspruch (sog. "Cum-Aktien"); die Leerverkäufer lieferten - wie von vornherein geplant und auch gewollt - Aktien ohne Dividendenanspruch (sog. "Ex-Aktien") und leisteten zur Kompensation an das Bankhaus W. je eine Ausgleichszahlung (sog. Dividendenkompensationszahlung), für die seit dem Jahr 2007 Kapitalertragsteuer zu entrichten ist.

Allen Beteiligten war als Bankkaufleuten bekannt, dass diese Steuer weder auf Seiten der Leerverkäufer noch sonst einbehalten wurde. Gleichwohl stellte das Bankhaus W. sich selbst Steuerbescheinigungen zur Vorlage bei den Finanzbehörden aus, mit denen es - fälschlicherweise - den angeblichen Steuereinbehalt bestätigte. Unter Vorlage dieser Bescheinigungen bei den Finanzbehörden erreichten insbesondere die gesondert Verfolgten Dr. O. und Sc., dass an die Einziehungsbeteiligte zu Unrecht insgesamt über 166 Mio. € ausbezahlt wurden. Aus diesen Taterträgen erwirtschaftete die Einziehungsbeteiligte weitere 10 Mio. €.

In den Jahren 2009 bis 2011 war der Angeklagte S. noch an weiteren Fällen maßgeblich beteiligt, in denen die umgesetzte Strategie dem Vorgehen in den Eigenhandelsfällen des Bankhauses W. entsprach, jedoch eigens für diesen Zweck gegründete Fonds die Rolle des Leerkäufers übernahmen. Nach Vorlage - inhaltlich falscher - Steuerbescheinigungen, die den angeblichen Steuereinbehalt für die durchgeführten Cum-Ex-Transaktionen bestätigten, zahlten die Finanzbehörden an die Fonds zu Unrecht über 226 Mio. € aus.

Der Angeklagte S. profitierte von den Geschäften insgesamt i.H.v. 14 Mio. €. Hingegen war der Angeklagte D. an den Profiten nicht beteiligt; ihm kamen auch nur unterstützende Aufgaben zu.

Der BGH hat die gegen dieses Urteil von allen Verfahrensbeteiligten - mit unterschiedlicher Reichweite und Angriffsrichtung - eingelegten Revisionen verworfen und nur den Schuldspruch in Bezug auf den Angeklagten D. unter Aufrechterhaltung der verhängten Strafe dahin geändert, als dieser Angeklagte einer einheitlichen Beihilfe schuldig ist. Damit ist das Urteil des LG rechtskräftig.

Gründe:
Das LG hat zu Recht erkannt, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage derartiger Cum-Ex-Geschäfte den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.

An einer vorsätzlichen Begehung konnte - wie das LG ohne Rechtsfehler ausgeführt hat - kein Zweifel bestehen, weil die Beteiligten um den Dividendenstichtag herum bewusst arbeitsteilig auf die Auszahlung nicht abgeführter Kapitalertragsteuer hingewirkt hatten. Zum Zeitpunkt der Begehung der Taten sah das Gesetz nämlich bereits in den insoweit einschlägigen Vorschriften eine klare und eindeutige Regelung vor, gegen die die Beteiligten nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des LG verstoßen hatten.

Dies ergibt sich schon daraus, dass nur die tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden darf. Zudem betrifft die von der Revision angeführte BFH-Rechtsprechung zum wirtschaftlichen Eigentum solche Konstellationen nicht, weil der bloße Abschluss derartiger Leerverkaufsabreden kein wirtschaftliches Eigentum begründen konnte.

Das LG hat auf Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen der jeweiligen Einziehung zu Recht bejaht und anhand der erzielten Taterträge und der hieraus gezogenen Nutzungen die Höhe der Einziehungsbeträge zutreffend bestimmt. Jedenfalls auf Grund der durch das Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 neu eingeführten Regelung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB ist die Einziehung auch nicht wegen Verjährung ausgeschlossen. Ebenso wenig drang die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beanstandung durch, das LG habe bei den Einziehungsanordnungen zu Unrecht zugunsten des Angeklagten S. und der Einziehungsbeteiligten eine gesamtschuldnerische Haftung angeordnet. Die getroffene Anordnung weist keinen Rechtsfehler auf.
BGH PM Nr. 146 v. 28.7.2021
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