Tonnagebesteuerung - Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Besteuerung des für den Rechtsvorgänger festgestellten Unterschiedsbetrags beim unentgeltlichen Rechtsnachfolger
Kurzbesprechung
BFH, Vorlagebeschluss v. 19.10.2023 - IV R 13/22
EStG § 5a Abs 4 S 3, § 5a Abs 4 S 4, § 5a Abs 4 S 5, § 5a Abs 4 S 6, § 52 Abs 10 S 4
FGO § 60 Abs 3
AO § 174 Abs 5 S 2, § 176 Abs 2, § 180 Abs 1 S 1 Nr. 2 Buchst a
GG Art 20 Abs 3, Art 100 Abs 1 S 1
AbzStEntModG
Im Fall der sog. Besteuerung sind die Folgen des Übergangs von der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zur Gewinnermittlung nach der Tonnage insbesondere in § 5a Abs. 4 EStG geregelt. Mit dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber beim Übergang zur Gewinnermittlung nach der Tonnage gegen eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven und für deren aufgeschobene Besteuerung entschieden. Hierfür werden die bis zum Wechsel der Gewinnermittlungsart entstandenen stillen Reserven in einem sog. Unterschiedsbetrag gesellschafterbezogen festgestellt und später - bei Vorliegen eines sog. Hinzurechnungstatbestands wie z.B. dem Ausscheiden des Gesellschafters oder der Veräußerung des Seeschiffs - der Besteuerung unterworfen.
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige ihren Kommanditanteil an einer Schifffahrtsgesellschaft, die den Gewinn nach der Tonnage ermittelte, von ihren Eltern geschenkt erhalten, die damit aus der Gesellschaft ausschieden. Der festgestellte Unterschiedsbetrag wurde jedoch, der damals geltenden Verwaltungsmeinung entsprechend, nicht anlässlich des Ausscheidens der Eltern gewinnerhöhend bei diesen erfasst, sondern seither bei der Steuerpflichtigen fortgeführt. Im Jahr 2013 (Streitjahr) veräußerte die Schifffahrtsgesellschaft ihr Seeschiff.
Das FA vertrat die Auffassung, dass infolge dieses Vorgangs der Unterschiedsbetrag bei der Steuerpflichtigen gewinnerhöhend aufzulösen sei. Denn der Gesetzgeber habe § 5a Abs. 4 EStG durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 02.06.2021 (AbzStEntModG) mit rückwirkender Geltung (vgl. § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG i.d.F. des AbzStEntModG) u.a. dahin ergänzt, dass der Unterschiedsbetrag im Fall der unentgeltlichen Übertragung des Mitunternehmeranteils auf den Rechtsnachfolger übergehe. Damit sei der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BFH, nach welcher der Unterschiedsbetrag bereits bei den Eltern im Jahr ihres Ausscheidens aus der Schifffahrtsgesellschaft gewinnerhöhend hätte aufgelöst werden müssen, der Boden entzogen und die bisherige langjährige Verwaltungspraxis gesetzlich verankert worden.
Im Revisionsverfahren hat der BFH die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Rückwirkung der Neuregelung nun dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Nach Ansicht des BFH verstößt die Neuregelung gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Es liege eine echte Rückwirkung vor, die verfassungsrechtlich durch keine der bislang vom BVerfG anerkannten Fallgruppen gerechtfertigt sei. Insbesondere habe der Gesetzgeber nicht zulässigerweise eine Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen habe.
Zwar habe es über einen langen Zeitraum eine einheitliche Verwaltungspraxis gegeben, die bei unentgeltlichen Übertragungen inhaltlich der jetzt rückwirkend in Kraft gesetzten Neuregelung entspreche. Diese Auffassung der Finanzverwaltung sei aber zu keinem Zeitpunkt von der Rechtsprechung geteilt worden.
Unerheblich sei, ob die Steuerpflichtige aufgrund der veröffentlichten Verwaltungsmeinung (ggf.) nicht darauf habe vertrauen können, die Unterschiedsbeträge nicht versteuern zu müssen. Denn verfassungsrechtlich sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Verlässlichkeit der durch den Gesetzgeber geschaffenen und in die durch die Gerichte für richtig erkannte Rechtslage schutzwürdig, nicht aber ein Vertrauen in die veröffentlichte Verwaltungsauffassung. Wollte man dies anders sehen, könnte die Finanzverwaltung die Gesetzesauslegung stark vorprägen und die nach der Verfassung allein den Gerichten anvertraute rechtsprechende Gewalt inhaltlich nachhaltig beschneiden. Denn der Gesetzgeber könnte in derartigen Fällen eine ihm nicht genehme Auslegung eines Gesetzes durch die Rechtsprechung auch mit echter Rückwirkung im Sinne der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ändern.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 5a Abs 4 S 3, § 5a Abs 4 S 4, § 5a Abs 4 S 5, § 5a Abs 4 S 6, § 52 Abs 10 S 4
FGO § 60 Abs 3
AO § 174 Abs 5 S 2, § 176 Abs 2, § 180 Abs 1 S 1 Nr. 2 Buchst a
GG Art 20 Abs 3, Art 100 Abs 1 S 1
AbzStEntModG
Im Fall der sog. Besteuerung sind die Folgen des Übergangs von der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zur Gewinnermittlung nach der Tonnage insbesondere in § 5a Abs. 4 EStG geregelt. Mit dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber beim Übergang zur Gewinnermittlung nach der Tonnage gegen eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven und für deren aufgeschobene Besteuerung entschieden. Hierfür werden die bis zum Wechsel der Gewinnermittlungsart entstandenen stillen Reserven in einem sog. Unterschiedsbetrag gesellschafterbezogen festgestellt und später - bei Vorliegen eines sog. Hinzurechnungstatbestands wie z.B. dem Ausscheiden des Gesellschafters oder der Veräußerung des Seeschiffs - der Besteuerung unterworfen.
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige ihren Kommanditanteil an einer Schifffahrtsgesellschaft, die den Gewinn nach der Tonnage ermittelte, von ihren Eltern geschenkt erhalten, die damit aus der Gesellschaft ausschieden. Der festgestellte Unterschiedsbetrag wurde jedoch, der damals geltenden Verwaltungsmeinung entsprechend, nicht anlässlich des Ausscheidens der Eltern gewinnerhöhend bei diesen erfasst, sondern seither bei der Steuerpflichtigen fortgeführt. Im Jahr 2013 (Streitjahr) veräußerte die Schifffahrtsgesellschaft ihr Seeschiff.
Das FA vertrat die Auffassung, dass infolge dieses Vorgangs der Unterschiedsbetrag bei der Steuerpflichtigen gewinnerhöhend aufzulösen sei. Denn der Gesetzgeber habe § 5a Abs. 4 EStG durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 02.06.2021 (AbzStEntModG) mit rückwirkender Geltung (vgl. § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG i.d.F. des AbzStEntModG) u.a. dahin ergänzt, dass der Unterschiedsbetrag im Fall der unentgeltlichen Übertragung des Mitunternehmeranteils auf den Rechtsnachfolger übergehe. Damit sei der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BFH, nach welcher der Unterschiedsbetrag bereits bei den Eltern im Jahr ihres Ausscheidens aus der Schifffahrtsgesellschaft gewinnerhöhend hätte aufgelöst werden müssen, der Boden entzogen und die bisherige langjährige Verwaltungspraxis gesetzlich verankert worden.
Im Revisionsverfahren hat der BFH die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich angeordneten Rückwirkung der Neuregelung nun dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Nach Ansicht des BFH verstößt die Neuregelung gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Es liege eine echte Rückwirkung vor, die verfassungsrechtlich durch keine der bislang vom BVerfG anerkannten Fallgruppen gerechtfertigt sei. Insbesondere habe der Gesetzgeber nicht zulässigerweise eine Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen habe.
Zwar habe es über einen langen Zeitraum eine einheitliche Verwaltungspraxis gegeben, die bei unentgeltlichen Übertragungen inhaltlich der jetzt rückwirkend in Kraft gesetzten Neuregelung entspreche. Diese Auffassung der Finanzverwaltung sei aber zu keinem Zeitpunkt von der Rechtsprechung geteilt worden.
Unerheblich sei, ob die Steuerpflichtige aufgrund der veröffentlichten Verwaltungsmeinung (ggf.) nicht darauf habe vertrauen können, die Unterschiedsbeträge nicht versteuern zu müssen. Denn verfassungsrechtlich sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Verlässlichkeit der durch den Gesetzgeber geschaffenen und in die durch die Gerichte für richtig erkannte Rechtslage schutzwürdig, nicht aber ein Vertrauen in die veröffentlichte Verwaltungsauffassung. Wollte man dies anders sehen, könnte die Finanzverwaltung die Gesetzesauslegung stark vorprägen und die nach der Verfassung allein den Gerichten anvertraute rechtsprechende Gewalt inhaltlich nachhaltig beschneiden. Denn der Gesetzgeber könnte in derartigen Fällen eine ihm nicht genehme Auslegung eines Gesetzes durch die Rechtsprechung auch mit echter Rückwirkung im Sinne der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ändern.