19.08.2021

Typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen eines vom Arbeitgeber festgelegten Sammelpunkts

1. Die entsprechende Anwendung der Entfernungspauschale setzt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG voraus, dass der Arbeitnehmer den Ort oder das weiträumige Gebiet zur Aufnahme der Arbeit aufgrund einer Weisung des Arbeitgebers zum einen typischerweise arbeitstäglich und zum anderen auch dauerhaft aufzusuchen hat.
2. Ein "typischerweise arbeitstägliches" Aufsuchen erfordert kein ausnahmsloses Aufsuchen des vom Arbeitgeber festgelegten Orts oder Gebiets an sämtlichen Arbeitstagen des Arbeitnehmers. Ein nach Weisung "typischerweise fahrtägliches" Aufsuchen genügt aber nicht.
3. Für die Frage, ob der Arbeitnehmer denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet aufgrund der Weisung des Arbeitgebers "dauerhaft" aufzusuchen hat, ist die Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG entsprechend heranzuziehen.

Kurzbesprechung
BFH v. 19.4.2021 - VI R 6/19

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3, § 9 Abs. 4 S. 3

Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen (sog. Sammelpunkt), gilt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort entsprechend (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG).

Die Frage, ob ein Arbeitnehmer ohne erste Tätigkeitsstätte zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat, wird - wie im Fall der Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 4 Satz 2 EStG) - durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat.

Die entsprechende Anwendung der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG setzt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG voraus, dass der Arbeitnehmer den Ort oder das weiträumige Gebiet zur Aufnahme der Arbeit aufgrund der Weisung des Arbeitgebers zum einen typischerweise arbeitstäglich und zum anderen auch dauerhaft aufzusuchen hat. Nach dem Wortlaut "typischerweise" ist nicht maßgebend, dass der Arbeitnehmer den vom Arbeitgeber bestimmten Ort oder das Gebiet im Veranlagungszeitraum ausnahmslos aufzusuchen hat. Vielmehr erfordert das Gesetz nur, dass er ihn nach der Anweisung "typischerweise arbeitstäglich" aufzusuchen hat.

Typischerweise meint "in der Regel üblich", "im Normalfall". Damit bringt der Wortsinn zum Ausdruck, dass das Gesetz gerade kein ausnahmsloses Aufsuchen an sämtlichen Arbeitstagen voraussetzt. Maßgebend ist vielmehr, ob der Arbeitnehmer entsprechend der Weisung des Arbeitgebers den Ort in der Regel aufzusuchen hat. Ausnahmen sind mithin durchaus möglich, wie z.B. infolge einer Fortbildungsveranstaltung oder eines unvorhergesehenen Einsatzes.

Ein dauerhaftes Aufsuchen ist entsprechend der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG zu bejahen, wenn die Anordnung des Arbeitgebers zum Aufsuchen desselben Orts oder desselben weiträumigen Tätigkeitsgebiets unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus erfolgt.

Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige keine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG. Das FG hatte allerdings rechtsfehlerhaft ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes des Arbeitgebers als Sammelpunkt i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG allein aufgrund der Anzahl der dorthin unternommenen Fahrten im Verhältnis zu den Gesamtarbeitstagen des Steuerpflichtigen bejaht.

Im zweiten Rechtsgang muss das FG daher aufklären, ob der Steuerpflichtige gemäß den Weisungen des Arbeitgebers bei einer ex ante Betrachtung den Betriebssitz seines Arbeitgebers als von diesem festgelegten Ort (Sammelpunkt) auch typischerweise arbeitstäglich aufsuchen sollte. Dabei wird es u.a. entscheidend darauf ankommen, ob von vornherein feststand, dass der Steuerpflichtige nicht nur auf eintägigen Baustellen eingesetzt werden würde, sondern auch auf mehrtägigen Fernbaustellen. Hierfür kann auch die Betriebsstruktur des Arbeitgebers eine Rolle spielen. In diesem Fall läge aus ex ante Sicht kein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes des Arbeitgebers vor. Denn dann hätte von vornherein festgestanden, dass der Steuerpflichtige den Betriebssitz nur an den Fahrtagen aufsuchen sollte. Ein nur typischerweise fahrtägliches Aufsuchen ist jedoch nicht ausreichend.

Sollte das FG demgegenüber zu der Erkenntnis gelangen, dass der Steuerpflichtige aus der ex ante Sicht grundsätzlich nur tageweise auf lokalen Baustellen eingesetzt werden sollte, es sich bei den tatsächlich erfolgten wiederholten mehrtägigen Einsätzen auf Fernbaustellen mithin um nicht absehbare Ausnahmen handelte, wäre der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG hingegen erfüllt. Denn ein aus ex ante Sicht typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen setzt nur voraus, dass dies in der Regel zu erfolgen hatte, ohne dass ein ausnahmsloses Aufsuchen erforderlich wäre.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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