Übertragung kindbedingter Freibeträge; Familienleistungsausgleich beim Eingreifen von Steuerermäßigungsvorschriften; Günstigerprüfung
Kurzbesprechung
Bei nicht zusammenveranlagten Elternteilen ist für die Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG dem Anspruch auf Kindergeld die Differenz zwischen der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen ohne Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen nach Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG gegenüberzustellen. Führt die Vergleichsrechnung zu dem Ergebnis, dass die Freibetragsgewährung für den Steuerpflichtigen günstiger ist, ist die Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs erst nach Anwendung der Steuerermäßigungsvorschriften durchzuführen, mit der Folge, dass sich aus dem hinzugerechneten Kindergeldanspruch bei Anwendung der Steuerermäßigungsvorschriften kein zusätzliches Verrechnungspotenzial ergibt.
BFH v. 14.4.2021 - III R 34/19
EStG § 2 Abs 4, § 2 Abs 5, § 2 Abs 6, § 31 S 1, § 31 S 2, § 31 S 3, § 31 S 4, § 32 Abs 6, § 34c Abs 1, § 34g, § 35a
Streitig war, wie der Vergleich zwischen der steuerlichen Entlastung durch das Kindergeld einerseits und der Entlastung durch die kindbedingten Freibeträge andererseits ("Günstigerprüfung") in Fällen des Eingreifens von Steuerermäßigungsvorschriften durchzuführen ist.
1. Freibetragsübertragung
Bei verheirateten aber dauernd getrennt lebenden Elternteilen kann die Übertragung des Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf von einem auf den anderen Elternteil nicht allein auf den Antrag eines Elternteils gestützt werden. Die Übertragung des Kinderfreibetrags scheidet aus, wenn der Elternteil, dessen Freibetrag auf den anderen Elternteil übertragen werden soll, seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen ist. Die Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf scheidet aus, wenn das Kind bereits volljährig ist oder bei dem Elternteil, dessen Freibetrag auf den anderen Elternteil übertragen werden soll, gemeldet ist.
Im Streitfall war der Steuerpflichtige im Streitjahr 2015 zwar noch mit der Kindsmutter verheiratet, lebte aber von ihr dauernd getrennt, sodass die Voraussetzungen einer Zusammenveranlagung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) und mithin einer automatischen Verdoppelung der kindbedingten Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Satz 2 EStG nicht erfüllt waren. Der Sohn des Klägers lebte im Haushalt der Kindsmutter und vollendete 2015 sein 18. Lebensjahr.
Soweit das FG die Übertragung des Kinderfreibetrags der Kindsmutter auf den Steuerpflichtigen auf dessen Antrag gestützt hat, fehlten hinreichende tatsächliche Feststellungen zum Vorliegen der Übertragungsvoraussetzungen, weshalb der Streitfall an die Vorinstanz zurückverweisen wurde.
2. Freistellung des Existenzminimums
Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung im gesamten Veranlagungszeitraum entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach Abschn. X des EStG bewirkt. Wie sich sowohl aus § 31 Satz 1 EStG als auch aus § 31 Satz 4 EStG ergibt, ist das "Einkommen" der Ausgangspunkt für die Berechnung der steuerlichen Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG. Der Begriff des Einkommens wird in § 2 Abs. 4 EStG definiert. Das ist der Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen.
Hinsichtlich der Durchführung der Günstigerrechnung nach § 31 Satz 4 EStG ist dem Anspruch auf Kindergeld die Differenz zwischen der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen ohne Abzug der auf den Steuerpflichtigen entfallenden Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen nach Abzug der auf den Steuerpflichtigen entfallenden Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG gegenüberzustellen. Es kommt also darauf an, wie hoch die steuerliche Belastung des Einkommens ohne und mit Ansatz der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG ausfällt. Die Differenz aus den beiden Steuerbeträgen ist die steuerliche Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG.
Dieser steuerliche Entlastungsbetrag ist nach § 31 Satz 4 EStG dem Anspruch auf Kindergeld gegenüberzustellen. Demgegenüber hatte das FA im Streitfall die Vergleichsrechnung auf der Basis von Zahlen durchgeführt, die sich erst nach Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Steuerermäßigungen nach § 34c, § 34g, § 35a EStG und der Hinzurechnung des Kindergelds ergeben. Diese Ermäßigungen und Hinzurechnungen sind nach der Systematik des § 2 EStG aber erst auf einer späteren Stufe, nämlich der Ebene der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer nach § 2 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen.
a) Steuerermäßigung für die ausländischen Einkünfte nach § 34c EStG
Für die Ermittlung der auf die ausländischen Einkünfte entfallenden deutschen Einkommensteuer bildet das zu versteuernde Einkommen die Ausgangsgröße (§ 34c Abs. 1 Satz 2 EStG). Deshalb sind bei dieser Berechnung gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 EStG die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abzuziehen, wenn die Freibetragslösung nach § 31 Satz 4 EStG für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Ist dagegen der Kindergeldanspruch günstiger, unterbleibt bei der Berechnung nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG der Ansatz der Kinderfreibeträge. Dagegen bleibt für den Fall, dass die Freibeträge günstiger sind, die Hinzurechnung des Kindergelds auf dieser Stufe noch außer Betracht. Denn die Hinzurechnung des Kindergelds erfolgt nach § 31 Satz 4 i.V.m. § 2 Abs. 6 EStG erst auf der Ebene der festzusetzenden Einkommensteuer. § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG knüpft jedoch an das zu versteuernde Einkommen an und schreibt darüber hinaus nur die Berücksichtigung der in § 32a, § 32b, § 34, § 34a und § 34b EStG enthaltenen Bestimmungen vor. Die Hinzurechnung nach § 31 Satz 4 EStG wird hingegen nicht erwähnt und hat daher zu unterbleiben.
b) Steuerermäßigung bei Zuwendungen an politische Parteien und an unabhängige Wählervereinigungen nach § 34g EStG
Die Steuerermäßigung knüpft nach § 34g Satz 1 EStG an die tarifliche Einkommensteuer an. Diese ist abhängig davon, ob die Freibetragsgewährung nach § 32 Abs. 6 EStG oder der steuerliche Kindergeldanspruch für den Steuerpflichtigen günstiger ist, mit oder ohne diese Freibeträge zu berechnen. Im Falle der Freibetragslösung hat die Hinzurechnung des Kindergelds für Zwecke der Steuerermäßigung nach § 34g EStG zu unterbleiben, da die Ausgangsgröße "tarifliche Einkommensteuer" nach dem Wortlaut der Norm nur um die sonstigen Steuerermäßigungen mit Ausnahme des § 34f Abs. 3 EStG korrigiert wird. Das hinzuzurechnende Kindergeld schafft daher kein zusätzliches Verrechnungspotenzial für eine Steuerermäßigung wegen Parteispenden.
c) Steuerermäßigung bei haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnissen, haushaltsnahen Dienstleistungen und Handwerkerleistungen nach § 35a EStG
Die Steuerermäßigung knüpft nach § 35a Abs. 1 bis 3 EStG jeweils an die tarifliche Einkommensteuer an. Diese ist abhängig davon, ob die Freibetragsgewährung nach § 32 Abs. 6 EStG oder der steuerliche Kindergeldanspruch für den Steuerpflichtigen günstiger ist, mit oder ohne diese Freibeträge zu berechnen. Im Falle der Freibetragslösung hat die Hinzurechnung des Kindergelds für Zwecke der Steuerermäßigung nach § 35a EStG zu unterbleiben, da die Ausgangsgröße "tarifliche Einkommensteuer" nach dem Wortlaut der Norm nur um die sonstigen Steuerermäßigungen korrigiert wird. Das hinzuzurechnende Kindergeld schafft daher kein zusätzliches Verrechnungspotenzial für derartige Aufwendungen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
BFH v. 14.4.2021 - III R 34/19
EStG § 2 Abs 4, § 2 Abs 5, § 2 Abs 6, § 31 S 1, § 31 S 2, § 31 S 3, § 31 S 4, § 32 Abs 6, § 34c Abs 1, § 34g, § 35a
Streitig war, wie der Vergleich zwischen der steuerlichen Entlastung durch das Kindergeld einerseits und der Entlastung durch die kindbedingten Freibeträge andererseits ("Günstigerprüfung") in Fällen des Eingreifens von Steuerermäßigungsvorschriften durchzuführen ist.
1. Freibetragsübertragung
Bei verheirateten aber dauernd getrennt lebenden Elternteilen kann die Übertragung des Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf von einem auf den anderen Elternteil nicht allein auf den Antrag eines Elternteils gestützt werden. Die Übertragung des Kinderfreibetrags scheidet aus, wenn der Elternteil, dessen Freibetrag auf den anderen Elternteil übertragen werden soll, seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen ist. Die Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf scheidet aus, wenn das Kind bereits volljährig ist oder bei dem Elternteil, dessen Freibetrag auf den anderen Elternteil übertragen werden soll, gemeldet ist.
Im Streitfall war der Steuerpflichtige im Streitjahr 2015 zwar noch mit der Kindsmutter verheiratet, lebte aber von ihr dauernd getrennt, sodass die Voraussetzungen einer Zusammenveranlagung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) und mithin einer automatischen Verdoppelung der kindbedingten Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Satz 2 EStG nicht erfüllt waren. Der Sohn des Klägers lebte im Haushalt der Kindsmutter und vollendete 2015 sein 18. Lebensjahr.
Soweit das FG die Übertragung des Kinderfreibetrags der Kindsmutter auf den Steuerpflichtigen auf dessen Antrag gestützt hat, fehlten hinreichende tatsächliche Feststellungen zum Vorliegen der Übertragungsvoraussetzungen, weshalb der Streitfall an die Vorinstanz zurückverweisen wurde.
2. Freistellung des Existenzminimums
Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung im gesamten Veranlagungszeitraum entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach Abschn. X des EStG bewirkt. Wie sich sowohl aus § 31 Satz 1 EStG als auch aus § 31 Satz 4 EStG ergibt, ist das "Einkommen" der Ausgangspunkt für die Berechnung der steuerlichen Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG. Der Begriff des Einkommens wird in § 2 Abs. 4 EStG definiert. Das ist der Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen.
Hinsichtlich der Durchführung der Günstigerrechnung nach § 31 Satz 4 EStG ist dem Anspruch auf Kindergeld die Differenz zwischen der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen ohne Abzug der auf den Steuerpflichtigen entfallenden Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen nach Abzug der auf den Steuerpflichtigen entfallenden Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG gegenüberzustellen. Es kommt also darauf an, wie hoch die steuerliche Belastung des Einkommens ohne und mit Ansatz der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG ausfällt. Die Differenz aus den beiden Steuerbeträgen ist die steuerliche Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG.
Dieser steuerliche Entlastungsbetrag ist nach § 31 Satz 4 EStG dem Anspruch auf Kindergeld gegenüberzustellen. Demgegenüber hatte das FA im Streitfall die Vergleichsrechnung auf der Basis von Zahlen durchgeführt, die sich erst nach Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Steuerermäßigungen nach § 34c, § 34g, § 35a EStG und der Hinzurechnung des Kindergelds ergeben. Diese Ermäßigungen und Hinzurechnungen sind nach der Systematik des § 2 EStG aber erst auf einer späteren Stufe, nämlich der Ebene der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer nach § 2 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen.
a) Steuerermäßigung für die ausländischen Einkünfte nach § 34c EStG
Für die Ermittlung der auf die ausländischen Einkünfte entfallenden deutschen Einkommensteuer bildet das zu versteuernde Einkommen die Ausgangsgröße (§ 34c Abs. 1 Satz 2 EStG). Deshalb sind bei dieser Berechnung gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 EStG die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abzuziehen, wenn die Freibetragslösung nach § 31 Satz 4 EStG für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Ist dagegen der Kindergeldanspruch günstiger, unterbleibt bei der Berechnung nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG der Ansatz der Kinderfreibeträge. Dagegen bleibt für den Fall, dass die Freibeträge günstiger sind, die Hinzurechnung des Kindergelds auf dieser Stufe noch außer Betracht. Denn die Hinzurechnung des Kindergelds erfolgt nach § 31 Satz 4 i.V.m. § 2 Abs. 6 EStG erst auf der Ebene der festzusetzenden Einkommensteuer. § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG knüpft jedoch an das zu versteuernde Einkommen an und schreibt darüber hinaus nur die Berücksichtigung der in § 32a, § 32b, § 34, § 34a und § 34b EStG enthaltenen Bestimmungen vor. Die Hinzurechnung nach § 31 Satz 4 EStG wird hingegen nicht erwähnt und hat daher zu unterbleiben.
b) Steuerermäßigung bei Zuwendungen an politische Parteien und an unabhängige Wählervereinigungen nach § 34g EStG
Die Steuerermäßigung knüpft nach § 34g Satz 1 EStG an die tarifliche Einkommensteuer an. Diese ist abhängig davon, ob die Freibetragsgewährung nach § 32 Abs. 6 EStG oder der steuerliche Kindergeldanspruch für den Steuerpflichtigen günstiger ist, mit oder ohne diese Freibeträge zu berechnen. Im Falle der Freibetragslösung hat die Hinzurechnung des Kindergelds für Zwecke der Steuerermäßigung nach § 34g EStG zu unterbleiben, da die Ausgangsgröße "tarifliche Einkommensteuer" nach dem Wortlaut der Norm nur um die sonstigen Steuerermäßigungen mit Ausnahme des § 34f Abs. 3 EStG korrigiert wird. Das hinzuzurechnende Kindergeld schafft daher kein zusätzliches Verrechnungspotenzial für eine Steuerermäßigung wegen Parteispenden.
c) Steuerermäßigung bei haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnissen, haushaltsnahen Dienstleistungen und Handwerkerleistungen nach § 35a EStG
Die Steuerermäßigung knüpft nach § 35a Abs. 1 bis 3 EStG jeweils an die tarifliche Einkommensteuer an. Diese ist abhängig davon, ob die Freibetragsgewährung nach § 32 Abs. 6 EStG oder der steuerliche Kindergeldanspruch für den Steuerpflichtigen günstiger ist, mit oder ohne diese Freibeträge zu berechnen. Im Falle der Freibetragslösung hat die Hinzurechnung des Kindergelds für Zwecke der Steuerermäßigung nach § 35a EStG zu unterbleiben, da die Ausgangsgröße "tarifliche Einkommensteuer" nach dem Wortlaut der Norm nur um die sonstigen Steuerermäßigungen korrigiert wird. Das hinzuzurechnende Kindergeld schafft daher kein zusätzliches Verrechnungspotenzial für derartige Aufwendungen.