Ungekürzte Zahlung von ALG II kann fehlende Arbeitsuchendmeldung nicht ersetzen
BFH 22.9.2011, III R 78/08Die Klägerin bezog für ihre im Juni 1985 geborene Tochter Kindergeld. Diese ist seit August 2003 verheiratet und Mutter eines im August 2005 geborenen Sohnes. Die Tochter hatte nach der Schule eine Bildungsmaßnahme und im Anschluss daran bis Ende Juli 2004 eine Fachhochschule für Sozialpädagogik. Ab dem 24.8.2004 war sie als Arbeitsuchende, in der Zeit vom 26.1.2005 bis zum 28.6.2005 war sie arbeitslos gemeldet. Danach bestand bis zum 4.10.2005 ein Beschäftigungsverbot nach dem MuSchG. Ab dem 9.3.2006 war sie wieder als Arbeitsuchende und ab dem 14.3.2006 erneut arbeitslos gemeldet.
Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter der Klägerin für die Zeit von September 2005 bis Februar 2006 gem. § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte das überzahlte Kindergeld zurück. Die Behörde begründete ihre Entscheidung damit, dass die Tochter in diesem Zeitraum nicht i.S.d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG bei einer Agentur für Arbeit gemeldet gewesen sei. Später half sie allerdings der Klage im Hinblick auf das Beschäftigungsverbot nach dem MuSchG durch Änderungsbescheid für die Monate September und Oktober 2005 ab.
Die Klägerin hielt dagegen, dass ihre Tochter am 28.1.2005 bei der ARGE Arbeitslosengeld II beantragt habe. Auf ihren Antrag habe sie während des gesamten Streitzeitraums von der ARGE ungekürzte Leistungen nach dem SGB II erhalten. Somit sei sie einem Kind, das sich formal bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet habe, gleichzustellen.
Das FG wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin blieb vor dem BFH erfolglos.
Die Gründe:
Das FG hatte den Kindergeldanspruch der Klägerin für den Streitzeitraum zu Recht verneint.
Entsprechende Arbeitsuchendmeldungen erfolgten erst im März 2006. Das FG hatte allein in der Antragstellung auf Fortzahlung des ALG II zu Recht keine Arbeitsuchendmeldung der Tochter gesehen. Denn damit brachte diese allein zum Ausdruck, dass sie weiterhin Leistungen nach SGB II begehrte. Im Juli 2005 unterlag die Tochter insbesondere noch einem Beschäftigungsverbot, so dass zu diesem Zeitpunkt die kommentarlose Antragstellung auch bereits deshalb nicht zum Ausdruck bringen konnte, sie wolle sich zugleich arbeitsuchend melden.
Entgegen der Ansicht der Klägerin war ihre Tochter einem formal arbeitsuchend gemeldeten Kind auch nicht allein deshalb gleichzustellen, weil sie im Streitzeitraum ALG II bezogen hatte. Erst wenn sich ein Erwerbsfähiger für die Aufnahme von Arbeit entscheidet, erhält er auch Leistungen zur Eingliederung. Ebenso wie die Vermittlung durch die Agentur für Arbeit in den Streitjahren nach drei Monaten einzustellen war, wenn keine Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts beansprucht wurden, erbringt die die ARGE trotz Zahlung von ALG II keine Vermittlung als Leistung zur Eingliederung, wenn dem Hilfeempfänger eine Arbeitsaufnahme aufgrund seiner familiären Situation nicht zumutbar ist und dieser eine Vermittlung auch nicht von sich aus beansprucht. Dass dies vorliegend der Fall war, wurde nicht festgestellt und auch nicht behauptet.
Dieses Ergebnis stand auch im Einklang mit der BFH-Rechtsprechung, nach der ein Kind nicht nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a oder c EStG zu berücksichtigen ist, wenn es die Berufsausbildung zum Zwecke der Betreuung des eigenen Kindes unterbricht oder aus diesem Grund ernsthafte Bemühungen um einen Ausbildungsplatz unterbleiben (Urt. v. 15.7.2003, Az.: VIII R 47/02). Entscheidet das Kind, sich zugunsten der Betreuung des eigenen Kindes vorerst nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, ist es auch bei ungekürztem Bezug von ALG II nicht nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen.
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