Unterbrechung des Einspruchsverfahrens durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
BFH v. 30.7.2019 - VIII R 21/16
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen des X (Insolvenzschuldner). Dieser hatte in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2003 und 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und für die Streitjahre 2005 und 2007 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Arzt erklärt. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer zunächst erklärungsgemäß fest. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2007 legte der Insolvenzschuldner im Februar 2009 fristgemäß Einspruch ein.
Nach den Feststellungen einer im Jahr 2009 begonnenen Steuerfahndungsprüfung hatte der Insolvenzschuldner in den Jahren 2004 bis 2007 Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit als Arzt erzielt, die er nicht erklärt hatte. Das Finanzamt erließ daraufhin am 24.2.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2004, 2005 und 2007, die zu erhöhten Einkommensteuerfestsetzungen führten. Die Steuernachforderungen wurden vom Insolvenzschuldner vollständig beglichen. Gegen die Änderungsbescheide legte er mit Schreiben vom 26.3.2011 Einspruch ein. Im September 2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Schreiben vom 24.10.2012 forderte das Finanzamt die Klägerin auf, mitzuteilen, ob sie die Einsprüche des Insolvenzschuldners gegen die Steuerfestsetzungen der Streitjahre aufrechterhalte. Es kündigte an, dass es nach Aktenlage über die Einsprüche entscheiden werde, wenn keine Stellungnahme bis zum 27.11.2012 erfolgen würde. Die Klägerin teilte der Behörde mit Schreiben vom 30.10.2012 mit, dass die Einspruchsverfahren aufgrund der Insolvenzeröffnung analog § 240 ZPO unterbrochen worden seien. Eine Aufnahme der unterbrochenen Einspruchsverfahren durch das Finanzamt sei erst nach dem Prüfungstermin vor dem Insolvenzgericht möglich. Vorsorglich teilte sie mit, dass sie die Einsprüche aufrechterhalte. Da sich der Insolvenzschuldner in Haft befinde und wesentliche Teile seiner Unterlagen von der Steuerfahndung beschlagnahmt worden seien, könne sie erst nach deren Freigabe beurteilen, inwieweit die Einsprüche begründet seien.
Die Einsprüche blieben erfolglos. Die Klägerin erhob gegen die Einspruchsentscheidungen isolierte Anfechtungsklagen und stellte hilfsweise den Antrag auf Feststellung, dass die Einspruchsverfahren gem. § 240 ZPO analog unterbrochen worden seien.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision des Finanzamtes hatte teilweise Erfolg.
Gründe:
Das FG-Urteil ist insoweit aufzuheben, als der Klage in Bezug auf eine Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch vom für das Streitjahr 2007 als unzulässig verworfen wurde, stattgegeben und festgestellt wurde, dass das Einspruchsverfahren auch insoweit unterbrochen gewesen sei. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Im Streitfall hatte das FG hat zu Recht entschieden, dass die Einspruchsentscheidungen über die zulässigen Einsprüche des Insolvenzschuldners rechtswidrig waren, da sie während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren analog § 240 ZPO ergangen waren. Die Einspruchsverfahren wurden nämlich durch die Insolvenzeröffnung in entsprechender Anwendung des § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Die Unterbrechung des Einspruchsverfahrens durch die Insolvenzeröffnung dauert nach § 240 ZPO analog solange fort, bis das Verfahren nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidungen nicht erfüllt. Die unterbrochenen Einspruchsverfahren waren - mangels gesetzlicher Regelung - nicht vom Finanzamt durch Erlass der Einspruchsentscheidungen aufgenommen worden. Die Regelungen des § 85 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO sind auf das Einspruchsverfahren nicht analog anwendbar. Denn die Regelungen sind offensichtlich auf den kontradiktorischen Zivilprozess zugeschnitten. Das Einspruchsverfahren unterscheidet sich jedoch grundlegend von einem Gerichtsverfahren.
Das Finanzamt entscheidet im Einspruchsverfahren in eigener Sache und ist selbst Herr des Verfahrens. Eine unabhängige Entscheidungsinstanz, an die der Antrag auf Aufnahme des Verfahrens gem. § 239 Abs. 2 ZPO zu richten wäre und die die Aufnahmevoraussetzungen prüft und überwacht, ist nicht vorhanden. Die Regelungen in § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO können daher nicht auf das Einspruchsverfahren angewandt werden, ohne sie in ihrem Kern zu ändern. Zur Schaffung solcher im Gesetz nicht angelegter Regelungen ist nur der Gesetzgeber befugt.
Die Einspruchsverfahren waren auch nicht durch die Klägerin als Insolvenzverwalterin in analoger Anwendung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO aufgenommen worden. Die Regelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO, nach der der Insolvenzverwalter jederzeit Aktivprozesse aufnehmen kann, ist auf das Einspruchsverfahren anwendbar. Zum einen hängt die Aufnahme eines Aktivprozesses durch den Insolvenzverwalter nicht von weiteren Voraussetzungen ab, die gerichtlich zu prüfen sind. Zum anderen hat der Insolvenzverwalter - im Unterschied zum FA - ein berechtigtes Interesse daran, dass das durch die Insolvenzeröffnung unterbrochene außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt wird, wenn hierdurch eine Erstattung der gezahlten Steuern in die Insolvenzmasse erreicht werden kann.
Im vorliegenden Fall konnte das Begehren der Klägerin jedoch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie die Einspruchsverfahren aufnehmen wollte. Vielmehr hatte sie ausdrücklich auf die Unterbrechungswirkung des Insolvenzverfahrens hingewiesen und geltend gemacht, die Einsprüche aufrechterhalten zu wollen. Da die Einspruchsentscheidungen somit während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren erlassen worden waren, sind sie unwirksam, soweit die Einsprüche zulässig waren.
Allerdings war der Einspruch des Insolvenzverwalters gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2007 unzulässig, da er bereits am 2.2.2009 Einspruch eingelegt hatte und somit der am 26.3.2011 (wiederholt) gegen den Änderungsbescheid erhobene Einspruch unzulässig war. Dies folgt aus der Regelung des § 365 Abs. 3 AO, nach der bei der Änderung des angefochtenen Steuerbescheids der geänderte Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens wird. Einer erneuten Einspruchseinlegung fehlt danach das Rechtsschutzbedürfnis. Ein unzulässiger Rechtsbehelf, der bereits vor der Unterbrechung des Verfahrens eingelegt wurde, kann in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO auch während der Unterbrechung des Verfahrens als unzulässig verworfen werden.
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Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen des X (Insolvenzschuldner). Dieser hatte in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2003 und 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und für die Streitjahre 2005 und 2007 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Arzt erklärt. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer zunächst erklärungsgemäß fest. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2007 legte der Insolvenzschuldner im Februar 2009 fristgemäß Einspruch ein.
Nach den Feststellungen einer im Jahr 2009 begonnenen Steuerfahndungsprüfung hatte der Insolvenzschuldner in den Jahren 2004 bis 2007 Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit als Arzt erzielt, die er nicht erklärt hatte. Das Finanzamt erließ daraufhin am 24.2.2011 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2004, 2005 und 2007, die zu erhöhten Einkommensteuerfestsetzungen führten. Die Steuernachforderungen wurden vom Insolvenzschuldner vollständig beglichen. Gegen die Änderungsbescheide legte er mit Schreiben vom 26.3.2011 Einspruch ein. Im September 2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Schreiben vom 24.10.2012 forderte das Finanzamt die Klägerin auf, mitzuteilen, ob sie die Einsprüche des Insolvenzschuldners gegen die Steuerfestsetzungen der Streitjahre aufrechterhalte. Es kündigte an, dass es nach Aktenlage über die Einsprüche entscheiden werde, wenn keine Stellungnahme bis zum 27.11.2012 erfolgen würde. Die Klägerin teilte der Behörde mit Schreiben vom 30.10.2012 mit, dass die Einspruchsverfahren aufgrund der Insolvenzeröffnung analog § 240 ZPO unterbrochen worden seien. Eine Aufnahme der unterbrochenen Einspruchsverfahren durch das Finanzamt sei erst nach dem Prüfungstermin vor dem Insolvenzgericht möglich. Vorsorglich teilte sie mit, dass sie die Einsprüche aufrechterhalte. Da sich der Insolvenzschuldner in Haft befinde und wesentliche Teile seiner Unterlagen von der Steuerfahndung beschlagnahmt worden seien, könne sie erst nach deren Freigabe beurteilen, inwieweit die Einsprüche begründet seien.
Die Einsprüche blieben erfolglos. Die Klägerin erhob gegen die Einspruchsentscheidungen isolierte Anfechtungsklagen und stellte hilfsweise den Antrag auf Feststellung, dass die Einspruchsverfahren gem. § 240 ZPO analog unterbrochen worden seien.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision des Finanzamtes hatte teilweise Erfolg.
Gründe:
Das FG-Urteil ist insoweit aufzuheben, als der Klage in Bezug auf eine Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch vom für das Streitjahr 2007 als unzulässig verworfen wurde, stattgegeben und festgestellt wurde, dass das Einspruchsverfahren auch insoweit unterbrochen gewesen sei. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Im Streitfall hatte das FG hat zu Recht entschieden, dass die Einspruchsentscheidungen über die zulässigen Einsprüche des Insolvenzschuldners rechtswidrig waren, da sie während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren analog § 240 ZPO ergangen waren. Die Einspruchsverfahren wurden nämlich durch die Insolvenzeröffnung in entsprechender Anwendung des § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Die Unterbrechung des Einspruchsverfahrens durch die Insolvenzeröffnung dauert nach § 240 ZPO analog solange fort, bis das Verfahren nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidungen nicht erfüllt. Die unterbrochenen Einspruchsverfahren waren - mangels gesetzlicher Regelung - nicht vom Finanzamt durch Erlass der Einspruchsentscheidungen aufgenommen worden. Die Regelungen des § 85 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO sind auf das Einspruchsverfahren nicht analog anwendbar. Denn die Regelungen sind offensichtlich auf den kontradiktorischen Zivilprozess zugeschnitten. Das Einspruchsverfahren unterscheidet sich jedoch grundlegend von einem Gerichtsverfahren.
Das Finanzamt entscheidet im Einspruchsverfahren in eigener Sache und ist selbst Herr des Verfahrens. Eine unabhängige Entscheidungsinstanz, an die der Antrag auf Aufnahme des Verfahrens gem. § 239 Abs. 2 ZPO zu richten wäre und die die Aufnahmevoraussetzungen prüft und überwacht, ist nicht vorhanden. Die Regelungen in § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO können daher nicht auf das Einspruchsverfahren angewandt werden, ohne sie in ihrem Kern zu ändern. Zur Schaffung solcher im Gesetz nicht angelegter Regelungen ist nur der Gesetzgeber befugt.
Die Einspruchsverfahren waren auch nicht durch die Klägerin als Insolvenzverwalterin in analoger Anwendung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO aufgenommen worden. Die Regelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO, nach der der Insolvenzverwalter jederzeit Aktivprozesse aufnehmen kann, ist auf das Einspruchsverfahren anwendbar. Zum einen hängt die Aufnahme eines Aktivprozesses durch den Insolvenzverwalter nicht von weiteren Voraussetzungen ab, die gerichtlich zu prüfen sind. Zum anderen hat der Insolvenzverwalter - im Unterschied zum FA - ein berechtigtes Interesse daran, dass das durch die Insolvenzeröffnung unterbrochene außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt wird, wenn hierdurch eine Erstattung der gezahlten Steuern in die Insolvenzmasse erreicht werden kann.
Im vorliegenden Fall konnte das Begehren der Klägerin jedoch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie die Einspruchsverfahren aufnehmen wollte. Vielmehr hatte sie ausdrücklich auf die Unterbrechungswirkung des Insolvenzverfahrens hingewiesen und geltend gemacht, die Einsprüche aufrechterhalten zu wollen. Da die Einspruchsentscheidungen somit während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren erlassen worden waren, sind sie unwirksam, soweit die Einsprüche zulässig waren.
Allerdings war der Einspruch des Insolvenzverwalters gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2007 unzulässig, da er bereits am 2.2.2009 Einspruch eingelegt hatte und somit der am 26.3.2011 (wiederholt) gegen den Änderungsbescheid erhobene Einspruch unzulässig war. Dies folgt aus der Regelung des § 365 Abs. 3 AO, nach der bei der Änderung des angefochtenen Steuerbescheids der geänderte Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens wird. Einer erneuten Einspruchseinlegung fehlt danach das Rechtsschutzbedürfnis. Ein unzulässiger Rechtsbehelf, der bereits vor der Unterbrechung des Verfahrens eingelegt wurde, kann in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO auch während der Unterbrechung des Verfahrens als unzulässig verworfen werden.