15.06.2020

Unterschriftserfordernis bei Pfändungsverfügungen

Für die Frage, ob eine Pfändungsverfügung i.S. des § 309 Abs. 1 Satz 2 AO in elektronischer Form vorliegt, ist darauf abzustellen, ob dem Adressaten ein elektronisches Dokument übermittelt wird (§ 87a Abs. 4 AO). § 309 Abs. 1 Satz 2 AO verdrängt die Anwendung des § 119 Abs. 3 AO nicht insgesamt, sondern nur insoweit, als es um die Zulässigkeit einer Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form geht. Pfändungsverfügungen können in der Regel nicht formularmäßig ergehen, weil es sich bei deren Erlass um Ermessensentscheidungen handelt, deren Begründung die Aufnahme der Ermessenserwägungen bedarf. Mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassene Pfändungsverfügungen bedürfen gemäß § 119 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AO keiner Unterschrift des zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsstelle.

Kurzbesprechung
BFH v. 17.12.2019 - VII R 62/18

AO § 87a Abs. 4 § 119 Abs. 3 S. 2 Halbs 2, § 309 Abs. 1 S 2, § 314
BGB § 126


Streitig war, ob eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung i.S. der §§ 309 und 314 AO die Unterschrift oder die Namenswiedergabe eines Amtsträgers enthalten muss.

Nach § 309 Abs. 1 Satz 1 AO muss eine Pfändungsverfügung schriftlich ergehen. Die Pfändung setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift voraus, dass sowohl das an den Drittschuldner gerichtete Verbot, an den Vollstreckungsschuldner zu zahlen (Arrestatorium) als auch das an den Vollstreckungsschuldner gerichtete Gebot, sich jeder Verfügung über die Forderung zu enthalten (Inhibitorium), schriftlich erfolgen müssen.

Das Hauptzollamt (HZA) hatte der Steuerpflichtigen entsprechende, auf das HZA als ausstellende Behörde hinweisende Urkunden zustellen lassen, in denen Arrestatorium und Inhibitorium enthalten sind. Die beiden Pfändungsverfügungen sind nicht in der nach § 309 Abs. 1 Satz 2 AO für solche Verwaltungsakte ausgeschlossenen elektronischen Form ergangen. Wie sich aus § 87a Abs. 4 AO ergibt, kommt es nicht auf die Erzeugung der Verwaltungsakte mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsanlagen an, sondern auf die äußere Form. Entscheidend ist, ob dem Adressaten ein elektronisches Dokument übermittelt wird. Das war im Streitfall unstreitig nicht der Fall.

Die angefochtenen Pfändungsverfügungen entsprachen mangels Unterschrift nicht den Formerfordernissen nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der Vollstreckung nach der Abgabenordnung (Vollstreckungsanweisung --VollstrA--). In der bis 14.11.2017 geltenden Fassung der VollstrA war in Abschn. 41 Abs. 2 Nr. 7 (noch) geregelt, dass eine Pfändungsverfügung "die Unterschrift eines zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsstelle" enthalten müsse. Es handelt sich hierbei um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, die keine Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren haben. Sie stehen unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung. Dieser allein obliegt es zu entscheiden, ob die Auslegung der Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat.

Nach § 119 Abs. 3 Satz 2 AO muss ein schriftlicher Verwaltungsakt grundsätzlich die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten, woran es im Streitfall fehlte. Nach § 119 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AO ist eine Unterschrift oder die Namenswiedergabe nicht erforderlich für Verwaltungsakte, die formularmäßig oder mit Hilfe elektronischer Einrichtungen erlassen werden. Damit wird eine eigenständige Regelung für das Abgabenrecht getroffen, die der allgemeinen Regelung in § 126 BGB, wonach die Schriftform eine eigenhändige Unterschrift (oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen) enthalten muss, vorgeht.

Das FG war zutreffend davon ausgegangen, dass § 309 Abs. 1 AO die Anwendung der in § 119 Abs. 3 Satz 2 AO enthaltenen Ausnahmeregelung nicht ausschließt. Zwar verdrängt § 309 Abs. 1 Satz 2 AO die Regelung des § 119 Abs. 3 Satz 3 AO insoweit, als die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form (§ 87a Abs. 4 AO) explizit ausgeschlossen worden ist. An dem Schriftformerfordernis hielt der Gesetzgeber insbesondere deshalb fest, weil es bei Pfändungen auf die Rangfolge ankommt und für deren Feststellung die Zustellung einer schriftlichen Verfügung vorteilhaft erschien. Für das Schriftformerfordernis an sich bleibt es jedoch gesetzessystematisch bei einem Rückgriff auf die Regelung in § 119 Abs. 3 Satz 2 AO.

Die im dritten Teil der AO vor die Klammer gezogenen allgemeinen Verfahrensvorschriften gelten für alle Regelungsmaterien des Besteuerungsverfahrens, soweit nicht in speziellen Regelungen etwas Abweichendes normiert ist. Ein formularmäßiger Erlass der Pfändungsverfügung --wie ihn das FG angenommen hat-- kommt nicht in Betracht, weil es sich um eine Ermessensentscheidung handelt. Formularmäßig ergehen Bescheide, für die ein Formular verwendet wird, das ausgefüllt werden kann, aber nicht wesentlich abgeändert werden darf. Die Beifügung kurzer Erläuterungen in dem dafür auf dem Formular vorgesehenen Freiraum von wenigen Zeilen steht der formularmäßigen Entstehung noch nicht entgegen.

Die Aufnahme von Ermessenserwägungen widerspricht jedoch der Formularmäßigkeit. Bei der Auswahl einer Vollstreckungsmaßnahme muss die Behörde ihr Ermessen ausüben. So liegt die Entscheidung über die Fragen des "Wann" und des "Wie" der Vollstreckung im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörden; dabei ist insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Damit der Betroffene und ggf. die Gerichte die Ermessenserwägungen der Finanzbehörde überprüfen können, muss eine Ermessensentscheidung grundsätzlich begründet werden. Die Begründung muss zeigen, dass die Finanzbehörde den Ermessensspielraum erkannt hat und von welchen Gesichtspunkten sie bei ihrer Ermessensentscheidung ausgegangen ist.

Zwar ist unter den Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 AO oder in Fällen, in denen die Ermessenserwägungen dem Betroffenen bereits bekannt sind, eine Begründung der Entscheidung nicht erforderlich. Daneben ist in bestimmten Bereichen des den Finanzbehörden eingeräumten Ermessens, wie z.B. bei der Anordnung von Außenprüfungen oder der Inhaftungnahme von Steuerhinterziehern, die Ermessensentscheidung in einer Weise vorgeprägt, die eine besondere Begründung in der Regel entbehrlich macht. Der Bereich der Vollstreckung nach den Vorschriften der §§ 249 ff. AO zählt hierzu aber nicht.

Auf Unterschrift oder Namenswiedergabe kann nach § 119 Abs. 3 Satz 2 AO allerdings auch dann verzichtet werden, wenn die Verfügungen mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen worden sind. Das ist der Fall, wenn Verwaltungsakte unter Einschaltung einer EDV-Anlage gefertigt werden.

Nach den Feststellungen des FG hat sich das HZA des IT-Verfahrens eVS bedient. Für den BFH war nach den Feststellungen des FG allerdings nicht erkennbar, nach welchen konkreten Vorgaben das System die Entscheidung der Behörde umsetzt Das FG wird nun im zweiten Rechtsgang zu ermitteln haben, wie genau das eVS durch das HZA genutzt wird; insbesondere in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen das System die von der Behörde zu treffenden Entscheidungen unterstützt und umsetzt.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass automatische Einrichtungen nur Hilfsmittel der Behörde sein dürfen, die Entscheidung selbst muss durch die Behörde getroffen werden. Über die Art und Weise der Entscheidung und das Ergebnis der Datenverarbeitung muss die Behörde durch die Programmierung entscheiden. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil es sich bei den streitgegenständlichen Verfügungen um Ermessensentscheidungen handelt, die einen Automatismus ausschließen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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