29.11.2021

Unzulässiges Normenkontrollverfahren zum Solidaritätszuschlag auf Körperschaftsteuerguthaben

Das BVerfG hat eine Vorlage des BFH zu § 3 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 in der Neufassung vom 15.10.2002 (SolzG 1995 n.F.) für unzulässig erklärt. Die Vorlage genügt nicht den Begründungsanforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Sowohl die Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit von § 3 SolzG 1995 n.F. in der Auslegung durch den BFH als auch die Erwägungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm unter Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen ihrer verfassungskonformen Auslegung lassen auf der Hand liegende Fragen unbeantwortet.

BVerfG v. 27.10.2021 - 2 BvL 12/11
Hintergrund:
Gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n.F. bemisst sich der Solidaritätszuschlag - soweit eine Veranlagung zur Körperschaftsteuer vorzunehmen ist - nach der festgesetzten Körperschaftsteuer, wenn ein positiver Betrag verbleibt. Die Vorlage steht im Zusammenhang mit dem im Jahr 2001 vollzogenen Wechsel im System der Ertragsbesteuerung der Körperschaften vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren.

Bis Ende 2000 wurde der von einer Körperschaft einbehaltene und nicht ausgeschüttete Gewinn zunächst mit dem Thesaurierungssatz von (zuletzt) 40 % besteuert und hierauf der Solidaritätszuschlag erhoben. Wurde der Gewinn später ausgeschüttet, reduzierte sich die Körperschaftsteuer auf (zuletzt) 30 %. Die Differenz zwischen dem Thesaurierungssteuersatz von (zuletzt) 40 % und der reduzierten Ausschüttungssteuerbelastung von (zuletzt) 30 % wurde an die Gesellschaft erstattet, wenn es zur Ausschüttung kam. Es entstand also bis zum Zeitpunkt der Ausschüttung auf der Ebene der Gesellschaft ein Körperschaftsteuerminderungspotential, das sich nach der Höhe dieser Steuersatzdifferenz bestimmte. Auf der Ebene der Anteilseigner erfolgte die Besteuerung der Ausschüttung mit dem individuellen Einkommensteuersatz des Steuerpflichtigen. Hierbei wurde die von der Kapitalgesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer des Anteilseigners angerechnet.

Seit 2001 wird auf der Ebene der Gesellschaft für thesaurierte und ausgeschüttete Gewinne nur noch eine einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer i.H.v. 25 % (seit 2008 i.H.v. 15 %) erhoben. Auf der Ebene des Anteilseigners wird der ausgeschüttete Kapitalertrag nur zur Hälfte (seit 2009 zu 60 %) versteuert.

Den Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren gestaltete der Gesetzgeber derart, dass auf der Grundlage des Körperschaftsteuerminderungspotentials ein Körperschaftsteuerguthaben ermittelt wurde. Das festgestellte Körperschaftsteuerguthaben sollte sich in einem 15-jährigen (später 18-jährigen) Übergangszeitraum jeweils um 1/6 der in den folgenden Jahren getätigten offenen Gewinnausschüttungen bis zum Verbrauch des Körperschaftsteuerguthabens mindern. Der jeweilige Minderungsbetrag wurde an die Gesellschaft - im Wege der Verrechnung mit zu zahlender Körperschaftsteuer oder durch Erstattung - ausgekehrt. Bei einer Verrechnung mit zu zahlender Körperschaftsteuer verringerte sich gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n.F. zugleich die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag. Im Erstattungsfall, das heißt, soweit das auszukehrende Körperschaftsteuerguthaben die jeweils festgesetzte Körperschaftsteuer überstieg, wirkte sich die Körperschaftsteuererstattung wegen des Begrenzungsvorbehalts des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 SolzG 1995 ("wenn ein positiver Betrag verbleibt") nicht auch auf den Solidaritätszuschlag aus.

Durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7.12.2006 wurde das System des Körperschaftsteuerguthabens umgestellt. An die Stelle der ausschüttungsabhängigen Auskehrung des Körperschaftsteuerguthabens trat eine von Gewinnausschüttungen unabhängige ratierliche Auszahlung des restlichen Guthabens. Gem. § 37 Abs. 5 Satz 1 KStG in der Fassung des SEStEG hatte die Körperschaft in dem Zeitraum von 2008 bis 2017 einen Anspruch auf Auszahlung des letztmalig auf den 31.12.2006 ermittelten Körperschaftsteuerguthabens in zehn gleichen, jeweils am 30. September auszuzahlenden Jahresbeträgen.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens beantragte beim Finanzamt zusätzlich zu der Festsetzung des Anspruchs auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens erfolglos die gesonderte Festsetzung eines Anspruchs auf Auszahlung eines entsprechenden Solidaritätszuschlagguthabens. Die dagegen gerichtete Sprungklage vor dem FG hatte keinen Erfolg. Der BFH hat das Revisionsverfahren, in dem die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt, ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 SolzG 1995 n.F. insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als Auszahlungen des Körperschaftsteuerguthabens gem. § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG die Bemessungsgrundlage zum Solidaritätszuschlag nicht mindern und § 3 SolzG 1995 n.F. oder eine andere Vorschrift auch nicht die Festsetzung eines Anspruchs auf ein Solidaritätszuschlagguthaben anordnet. Dies verletze Art. 3 Abs. 1 GG und die Grundsätze rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Während die Rückzahlung des Körperschaftsteuerguthabens unter Geltung der ursprünglichen Übergangsregelung die Körperschaftsteuerfestsetzungen und damit auch den Solidaritätszuschlag gemindert hätten, sei dies nach dem SEStEG nicht mehr der Fall. Es würden diejenigen Steuerpflichtigen benachteiligt, die im Vertrauen auf die ursprüngliche Regelung davon abgesehen hätten, durch Gewinnausschüttungen ihr Körperschaftsteuerguthaben mit mindernder Wirkung für den Solidaritätszuschlag anzufordern. Ein sachlicher Grund für diese Benachteiligung sei nicht ersichtlich.

Die Gründe:
Die Vorlage ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungsanforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.

Die Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit von § 3 SolzG 1995 n.F. in der Auslegung durch den BFH lassen naheliegende Fragen unbeantwortet. Der BFH hat § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n.F. dahin ausgelegt, dass die Vorschrift die gesonderte Festsetzung eines Solidaritätszuschlagguthabens auf das zur Auszahlung gelangende Körperschaftsteuerguthaben im Verfahren nach § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG ausschließt, weil nach dem Wortlaut der Norm die festgesetzte Körperschaftsteuer nur dann Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag ist, "wenn ein positiver Betrag verbleibt", also nicht, wenn es zu einer Erstattung kommt, die Körperschaftsteuerschuld mithin negativ ist. Nach dieser jedenfalls vertretbaren Auslegung hätte die Revision keinen Erfolg, wenn die Regelung verfassungsgemäß wäre. Dagegen wäre die Revision erfolgreich, wenn der Gesetzgeber eine etwaige Verfassungswidrigkeit von § 3 SolzG 1995 n.F. dergestalt beheben würde, dass er zusätzlich zu dem Anspruch auf Auszahlung eines Körperschaftsteuerguthabens gem. § 37 Abs. 5 Satz 1 KStG in der Fassung des SEStEG einen gesonderten Anspruch auf Auszahlung eines Solidaritätszuschlags i.H.v. 5,5 % des Körperschaftsteuerguthabens schafft (Guthabenlösung).

Die Entscheidungserheblichkeit einer zur Prüfung durch das BVerfG gestellten Norm scheitert bei einem möglichen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht daran, dass der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, eine festgestellte Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Der Zulässigkeit der Vorlage steht deshalb nicht entgegen, dass der Gesetzgeber stattdessen auch die Möglichkeit hätte, das ratierlich auszuzahlende Körperschaftsteuerguthaben - wie nach der ursprünglichen Regelung - durch Verrechnung mit der zu zahlenden Körperschaftsteuer im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigen, so dass das Guthaben die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag mindern würde (Minderungslösung). Es genügt, wenn die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dem Kläger des Ausgangsverfahrens die Chance offenhält, eine für ihn günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen.

Eine für den Steuerpflichtigen günstige Regelung ist allerdings ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen tatsächlichen Gründen gehindert ist, eine solche Regelung zu schaffen. Der BFH hätte sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrte Guthabenlösung verfassungsrechtlich zulässig oder ob sie ihrerseits verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz ausgesetzt wäre. Eine Definitivbelastung von Körperschaften mit Solidaritätszuschlag konnte bereits sowohl unter Geltung des Anrechnungsverfahrens als auch während der Übergangsphase zum Halbeinkünfteverfahren unter der Geltung des Steuersenkungsgesetzes und des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, also vor dem Inkrafttreten des im Streitfall maßgeblichen SEStEG, eintreten. Deshalb liegt die Frage auf der Hand, ob mit der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens favorisierten Guthabenlösung, die jegliche Definitivbelastung mit Solidaritätszuschlag im Zusammenhang mit dem ratierlich auszuzahlenden Körperschaftsteuerguthaben ausschließt, nicht (erneut) eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der verschiedenen Gruppen von Steuerpflichtigen eintreten würde, die aufgrund des früheren Anrechnungsverfahrens über Körperschaftsteuerminderungspotential bzw. während der Übergangsphase über ein Körperschaftsteuerguthaben verfügen oder verfügten. Damit setzt sich der BFH in keiner Weise auseinander.

Auch die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit von § 3 SolzG 1995 n.F. genügen den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht. Dabei kann offenbleiben, ob der BFH bei Zugrundelegung seiner einfachrechtlichen Auslegung die Unvereinbarkeit der Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG oder mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ausreichend dargelegt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einer genügenden Begründung für die Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. (i.V.m. § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG). Die vom BFH gegen eine verfassungskonforme Auslegung angeführten Gründe greifen zu kurz. Mit der Frage, ob der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck eine verfassungskonforme Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n.F. ausschließen, befasst sich der BFH nicht näher. Insbesondere fehlt es an einer Aufarbeitung des einfachen Rechts in einer Weise, die Rückschlüsse auf die Unzulässigkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. im Sinne der Minderungslösung zulässt. Damit wird die Begründung der Vorlage ihrer Entlastungsfunktion für das BVerfG nicht gerecht, die gerade auch dadurch erreicht werden soll, dass der einfachrechtliche Streitstoff von der zuständigen Fachgerichtsbarkeit im Gesamtzusammenhang aufgearbeitet wird.

Mehr zum Thema:
BVerfG PM Nr. 99 vom 26.11.2021
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