08.01.2013

Veranlagungszeitraumbezogene Auslegung der sog. Wesentlichkeitsgrenze

Bei der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre veranlagungszeitraumbezogen oder stichtagsbezogen auszulegen ist, kommt es nach Auffassung des 11. Senats des FG Düsseldorf auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum geltende Wesentlichkeitsgrenze an. Damit widerspricht er der Auffassung des 13. Senats und des Niedersächsischen FG sowie der Finanzverwaltung.

FG Düsseldorf 15.11.2012, 11 K 2312/11 E
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war Gesellschafterin der A-Holding GbR, die im April 1995 durch Ausscheiden der A-GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin aus der A-GmbH & Co. Holding KG hervorgegangen war. Die Gesellschaft hielt nicht an der Börse gehandelte Stammaktien an der börsennotierten A-AG. Im April 2000 veräußerte die A-Holding GbR sämtliche von ihr gehaltenen Stammaktien der A-AG an einen ausländischen Konzern. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Veräußerung der Beteiligung nach der seit 1999 geltenden Grenze von "mindestens 10%" nicht wesentlich beteiligt. In den Vorjahren war sie zwar zu mindestens 10% beteiligt, die Beteiligung überstieg indes nicht die bis 1998 geltende Wesentlichkeitsgrenze von "mehr als einem Viertel".

Infolge einer Betriebsprüfung war das Finanzamt der Ansicht, dass die Klägerin durch die Veräußerung einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn i.S.v. § 17 EStG erzielt habe. Eine wesentliche Beteiligung liege nämlich vor, wenn der Steuerpflichtige nominell zu mindestens 10 % am Nennkapital der Gesellschaft beteiligt sei. Das gelte auch für solche Anteile, die vor dem 1.1.1999 wegen der bis dahin geltenden Beteiligungsgrenze nicht steuerverhaftet gewesen seien. Danach trete eine Steuerpflicht ein, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre zu mindestens 10 % am Nennkapital der Gesellschaft beteiligt gewesen sei.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Das Finanzamt hatte zu Unrecht einen Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 1 EStG besteuert. Schließlich war der Gewinn nicht steuerbar, da die Beteiligung der Klägerin die sog. Wesentlichkeitsgrenze nicht überschritten hatte.

Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre veranlagungszeitraumbezogen oder stichtagsbezogen auszulegen ist. Diese Frage ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der BFH hat mit Beschluss vom 24.2.2012 (Az.: IX B 146/11) judiziert, es sei ernstlich zweifelhaft, ob sich die Beteiligungsgrenze nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 richte - und damit zurückwirke - oder ob der Beteiligungsbegriff veranlagungszeitraumbezogen sei, indem das Tatbestandsmerkmal "innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt" in § 17 Abs. 1 S. 1 EStG für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der in diesem Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen sei.

Zudem habe das BVerfG am 7.7.2010 (2 BvR 748/05 u.a.) den Zweck der Veräußerungsgewinnbesteuerung hervorgehoben: Die Besteuerung sei nicht deshalb auf die Realisation bezogen, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs bestehe, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstanden sei. Im Zeitpunkt der Realisation werde ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen. Auf die bloß formale Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum komme es nicht an. Maßgeblich sei, dass sich die höhere Leistungsfähigkeit materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung beziehe. Somit könne es nur um einen steuerbaren Wertzuwachs gehen, d.h. der Wertzuwachs in den Zeiträumen vor dem Realisationszeitpunkt müsse steuerbar gewesen sein. Dies sei aber nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige in qualifizierter Weise an der Kapitalgesellschaft beteiligt gewesen sei.

Wenn das BVerfG entschieden habe, dass § 17 Abs. 1 S. 4 i.V..m. § 52 Abs. 1 S. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstößt und nichtig ist, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.3.1999 entstanden sind und die - wie im Streitfall - bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können, so könne es nicht rückwirkend auf eine Beteiligungsgrenze ankommen, die der Steuerpflichtige allein in dem Zeitraum verwirklicht habe, in dem ein Wertzuwachs nicht steuerbar gewesen sei. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Hintergrund:
Das Urteil widerspricht der Auffassung des 13. Senats des FG Düsseldorf (Urt. v. 30.8.2011, Az.: 13 K 200/03) und des Niedersächsischen FG (Urt. v. 28.2.2012, Az.: 12 K 10250/09) sowie der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben v. 20.12.2010).

Linkhinweis:

FG Düsseldorf Newsletter vom 7.1.2013
Zurück