13.05.2024

Veranlagungszeitraumbezogene Auslegung von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG

§ 17 Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes ist veranlagungszeitraumbezogen auszulegen. Mithin ist erforderlich, dass der Übertragende innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums nach der für diesen Zeitraum jeweils gültigen Rechtslage wesentlich/maßgeblich beteiligt war.

Kurzbesprechung
BFH v. 12.3.2024 - IX R 9/23 (IX R 38/15)

FGO § 118 Abs 2, § 126 Abs 3 S 1 Nr. 1, § 135 Abs 1, § 136 Abs 1 S 1
EStG § 17 Abs 1 S 1, § 17 Abs 1 S 4


Streitig war die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung eines teilweise unentgeltlich erworbenen Aktienpakets nach § 17 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433).

Die Mutter der Steuerpflichtigen war bis Dezember 2000 Eigentümerin eines Aktienpakets im Nennwert von insgesamt 200.000 DM. Dies entsprach einer Beteiligung am Kapital der AG von 1,04 %. Mit Vertrag vom 05.12.2000 übertrug sie der Steuerpflichtigen die Hälfte des Aktienpakets gegen Zahlung von 650.000 DM.

Im Dezember 2002 veräußerte die Steuerpflichtige ihre Beteiligung an der AG. Hierbei erzielte sie einen Veräußerungserlös von 2.750.000 €.

Im Einspruchs - und Klageverfahren vertrat die Steuerpflichtige die Auffassung, dass der entstandene Veräußerungsgewinn unterliege nicht der Besteuerung unterliege. Aus der Rechtsprechung des BVerfG folge, dass die Beteiligungsgrenzen des § 17 EStG veranlagungszeitraumbezogen auszulegen seien. Vorliegend habe die streitgegenständliche Beteiligung zu keinem Zeitpunkt die für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Beteiligungsgrenzen überschritten.

Der BFH entscheid, dass materiell - rechtlich kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn im Sinne von 3 17 EStG entstanden war.

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der seit dem Steuersenkungsgesetz und damit auch im Streitjahr gültigen Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war.

Dies war im Streitfall nicht der Fall. denn die Mutter übertrug der Steuerpflichtigen mit Vertrag vom 05.12.2000 die Hälfte ihres Aktienpakets an der AG, welches insgesamt eine Beteiligung an der AG von 1,04 % widerspiegelte. Mithin erwarb die Klägerin eine Beteiligung von lediglich 0,52 % und war ‑ da sie nicht über weitere Aktien der AG verfügte ‑ selbst nicht relevant im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG an der Gesellschaft beteiligt.

Auch lag keine Steuerbarkeit der Veräußerung der Aktien an der AG durch die Steuerpflichtige aufgrund von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG vor. Nach dieser Vorschrift gilt § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG entsprechend, wenn der Veräußerer den veräußerten Anteil innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung unentgeltlich erworben hat und der Rechtsvorgänger innerhalb der letzten fünf Jahre im Sinne von Satz 1 beteiligt war. Letzteres lag im Streitfall nicht vor.

§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG ist veranlagungszeitraumbezogen auszulegen. Mithin ist erforderlich, dass der Übertragende innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums nach der für diesen Zeitraum jeweils gültigen Rechtslage wesentlich/maßgeblich beteiligt war. Die BFH - Rechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff gilt trotz der erfolgten Gesetzesänderungen durch das Steuersenkungsgesetz fort.

Der vom BFH entwickelte veranlagungszeitraumbezogene Beteiligungsbegriff bedeutet, dass die Beteiligungsgrenze innerhalb des Fünfjahreszeitraums nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG veranlagungszeitraumbezogen zu bestimmen ist, das heißt, es ist für jeden Veranlagungszeitraum innerhalb des Fünfjahreszeitraums das Merkmal "wesentliche Beteiligung" nach der im jeweiligen Jahr gültigen Beteiligungsgrenze zu bestimmen.

Die veranlagungszeitraumbezogene Betrachtungsweise ist entwickelt worden, um Vertrauensschutz zu gewähren. Der Steuerpflichtige, der im Wege der Schenkung eine nicht steuerverhaftete Beteiligung erhielt, sollte nicht durch nachträgliche Absenkungen der Beteiligungsgrenze in die Steuerverhaftung hineinwachsen, obwohl sowohl er als auch der Schenker zum Zeitpunkt der Schenkung nicht über der maßgeblichen Grenze lagen.

Die Streichung des Begriffs der wesentlichen Beteiligung in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das StSenkG hat hieran nichts geändert. Nach Auffassung des BFH handelt es sich lediglich um eine gesetzestechnische Anpassung, soweit die zuvor in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. enthaltene Definition der wesentlichen Beteiligung in Abs. 1 Satz 1 integriert worden ist. Dass Satz 1 nunmehr selbst die erforderliche Mindestbeteiligungshöhe regelt, führt danach zu keiner Änderung der Gesetzessystematik.

Auch soweit nach dem Wortlaut von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG n.F., auf den § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG n.F. Bezug nimmt, die Beteiligung innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums unmittelbar oder mittelbar mindestens 1 % betragen muss, steht dies der veranlagungszeitraumbezogenen Betrachtungsweise nicht entgegen. Denn der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG schließt es nicht aus, den Verweis auf Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift dahin zu verstehen, dass auf die jeweilige Fassung des Abs. 1 im betroffenen Zeitraum Bezug genommen wird. Nur dies wird dem Sinn und Zweck und Vertrauensschutzgesichtspunkten gerecht.

Im Streitfall handelte es sich bei der Beteiligung der Mutter bis zur teilentgeltlichen Übertragung mit Vertrag vom 05.12.2000 nicht um eine wesentliche/maßgebliche Beteiligung im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG. Erst nach der Übertragung wurde die maßgebliche Beteiligungsgrenze für eine Steuerbarkeit des Veräußerungsgewinns nach § 17 Abs. 1 EStG durch das StSenkG auf mindestens 1 % herabgesetzt. Zum Zeitpunkt der Übertragung galt die mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 abgesenkte Beteiligungsquote von mindestens 10 %.

Zwar erfolgte die Übertragung der Anteile von der Mutter auf die Steuerpflichtige am 05.12.2000 erst im Anschluss an die Verkündung des Steuersenkungsgesetzes am 26.10.2000. In Anbetracht dessen, dass die Änderung in § 17 Abs. 1 EStG durch das StSenkG jedoch erst zum 01.01.2001 erfolgen sollte (Art. 1 Nr. 10 i.V.m. Art. 19 Abs. 1 StSenkG i.V.m. § 52 Abs. 34a EStG i.d.F. des StSenkG), war das Vertrauen der Steuerpflichtigen auf die bis dahin geltende Rechtslage weiterhin schutzwürdig. Andernfalls würde die Rechtsänderung durch die Versagung des Vertrauensschutzes faktisch zu einem früheren Zeitpunkt Wirkung entfalten, als es der Gesetzgeber bezweckte und die Gesetzesänderung in Kraft trat.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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