10.04.2025

Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge ab dem durch den russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ausgelösten Anstieg der Marktzinsen

1. Aufgrund des deutlichen und nachhaltigen Anstiegs der Marktzinsen, der seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 zu verzeichnen ist, bestehen jedenfalls seit März 2022 keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Höhe der Säumniszuschläge.
2. Wenn das Finanzamt (FA) zwar Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt, deren Wirkung aber von der Erbringung einer Sicherheitsleistung abhängig macht, bewirkt die spätere Leistung der Sicherheit im Regelfall, dass die AdV mit (Rück-)Wirkung ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Verfügung eintritt und zuvor etwaig entstandene Säumniszuschläge entfallen. Das FA kann allerdings ausdrücklich anordnen, dass die Wirkung der AdV erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistung der Sicherheit beginnt (Anschluss an den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 10.12.1986 - I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 398, unter II.3.d).

Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 21.3.2025 - X B 21/25 (AdV)

AO § 240 Abs 1 S 1, AO §§ 241ff, AO § 361 Abs 2 S 5
FGO § 69 Abs 2 S 2, FGO § 69 Abs 3 S 1
GG Art 3 Abs 1
BGB § 158 Abs 1, BGB § 159


Im Streitfall vertrat das FA die Auffassung, für die Zeit von März bis Dezember 2022 seien Säumniszuschläge entstanden, weil die Antragstellerin fällige Einkommensteuer nicht gezahlt habe. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin in einem Eilverfahren und begehrte Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Pflicht zur Zahlung der Säumniszuschläge.

Das FG gewährte AdV mit der Begründung, in der Vergangenheit hätten mehrere Senate des BFH in vergleichbaren Fällen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge bejaht.

Im nachfolgenden Beschwerdeverfahren folgte der X. Senat des BFH der Entscheidung der Vorinstanz für die Zeit ab März 2022 nicht. Er wies darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht zwar entschieden habe, dass die frühere gesetzliche Regelung über die Höhe von Nachzahlungszinsen (nach § 238 AO 0,5 % pro Monat / 6 % pro Jahr) aufgrund der andauernden Niedrigzinsphase ab 2014 verfassungswidrig und ab 2018 nicht mehr anzuwenden sei. Es kann nach Auffassung des BFH aber offenbleiben, ob dies auf Säumniszuschläge übertragbar ist. Denn mit dem deutlichen und sehr schnellen Zinsanstieg, der mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eingesetzt hatte, wurde die ausgeprägte Niedrigzinsphase der Vorjahre beendet. Das gestiegene Zinsniveau hat bis heute Bestand. Daher kann die Höhe der Säumniszuschläge seitdem nicht mehr als realitätsfremd angesehen werden.

Die Beschwerde des FA hatte jedoch im Ergebnis keinen Erfolg. Denn das FA hatte in seinem Bescheid formuliert, es werde die AdV der offenen Einkommensteuerforderung ab Fälligkeit gewähren, sofern eine Sicherheitsleistung erbracht werde. Da die Antragstellerin die geforderte Sicherheit -wenn auch mehrere Monate später- tatsächlich erbracht hatte, bejahte der BFH ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FA, die AdV der Einkommensteuer nicht rückwirkend ab Fälligkeit zu gewähren. Bei einer rückwirkenden AdV-Gewährung wären entstandene Säumniszuschläge wieder entfallen.
Verlag Dr. Otto Schmidt