Verfassungsrechtlich zulässige Rückwirkung des § 43 Abs. 18 KAGG?
BFH v. 23.10.2019 - XI R 43/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein Versicherungsverein a.G. und gehört einem Konzern an, für den er als Unternehmen in einem sog. Gleichordnungskonzern i.S.d. § 18 Abs. 2 des AktG das Versicherungsgeschäft betreibt. Im Mai 2003 hatte der Kläger Anteilscheine an Spezialfonds veräußert und hierbei sog. negative (Anleger-) Aktiengewinne realisiert. Das Finanzamt rechnete bei der Körperschaftsteuerveranlagung die negativen Gewinne dem zu versteuernden Einkommen des Klägers hinzu, wodurch sich dessen Steuerlast erhöhte. Es zog hierbei § 43 Abs. 18 KAGG heran, der die rückwirkende Anwendung der im Dezember 2003 eingeführten Hinzurechnungsvorschrift (§ 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG) auf alle noch offenen Veranlagungen vorsieht.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es ging von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Rückwirkung aus. Auf die Revision des Klägers hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob § 43 Abs. 18 KAGG, der die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG i.d.F. des sog. Korb II Gesetzes auf alle noch nicht bestandskräftigen Festsetzungen auch des Veranlagungszeitraums 2003 anordnet, soweit Veräußerungen im Mai 2003 betroffen sind, infolge Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist.
Gründe:
Infolge der vom Senat angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 43 Abs. 18 KAGG, der die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG i.d.F. des sog. Korb II-Gesetzes auf alle noch nicht bestandskräftigen Festsetzungen auch des Veranlagungszeitraums 2003 anordnet, soweit Veräußerungen im Mai 2003 betroffen sind, war das Revisionsverfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 des Gesetzes über das BVerfG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen.
Das am 27.12.2003 im Bundesgesetzblatt verkündete sog. Korb II-Gesetz führt zu einer sog. unechten Rückwirkung, da seine belastenden Rechtsfolgen erst im Zeitpunkt des Entstehens der Körperschaftsteuer am 31.12.2003 eingetreten sind. Die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf den Veranlagungszeitraum 2003 verstößt gegen den Grundsatz rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes, soweit Veräußerungen im Mai 2003 betroffen sind.
Vor dem Gesetzeserlass getätigte verbindliche Dispositionen des Klägers verdienen somit dem Grundsatz nach Vertrauensschutz. Das Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage ist im Streitfall erst mit dem öffentlich bekannt gewordenen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.8.2003 (BRDrucks 560/03) erschüttert worden.
Soweit § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG mit Wirkung für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 eingeführt wurde, hat bereits das BVerfG mit Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 diese gesetzgeberische Maßnahme als verfassungswidrig angesehen und § 43 Abs. 18 KAGG insoweit für nichtig erklärt.
BFH PM Nr. 12 vom 5.3.2020
Der Kläger ist ein Versicherungsverein a.G. und gehört einem Konzern an, für den er als Unternehmen in einem sog. Gleichordnungskonzern i.S.d. § 18 Abs. 2 des AktG das Versicherungsgeschäft betreibt. Im Mai 2003 hatte der Kläger Anteilscheine an Spezialfonds veräußert und hierbei sog. negative (Anleger-) Aktiengewinne realisiert. Das Finanzamt rechnete bei der Körperschaftsteuerveranlagung die negativen Gewinne dem zu versteuernden Einkommen des Klägers hinzu, wodurch sich dessen Steuerlast erhöhte. Es zog hierbei § 43 Abs. 18 KAGG heran, der die rückwirkende Anwendung der im Dezember 2003 eingeführten Hinzurechnungsvorschrift (§ 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG) auf alle noch offenen Veranlagungen vorsieht.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es ging von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Rückwirkung aus. Auf die Revision des Klägers hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob § 43 Abs. 18 KAGG, der die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG i.d.F. des sog. Korb II Gesetzes auf alle noch nicht bestandskräftigen Festsetzungen auch des Veranlagungszeitraums 2003 anordnet, soweit Veräußerungen im Mai 2003 betroffen sind, infolge Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist.
Gründe:
Infolge der vom Senat angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 43 Abs. 18 KAGG, der die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG i.d.F. des sog. Korb II-Gesetzes auf alle noch nicht bestandskräftigen Festsetzungen auch des Veranlagungszeitraums 2003 anordnet, soweit Veräußerungen im Mai 2003 betroffen sind, war das Revisionsverfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 des Gesetzes über das BVerfG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen.
Das am 27.12.2003 im Bundesgesetzblatt verkündete sog. Korb II-Gesetz führt zu einer sog. unechten Rückwirkung, da seine belastenden Rechtsfolgen erst im Zeitpunkt des Entstehens der Körperschaftsteuer am 31.12.2003 eingetreten sind. Die Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf den Veranlagungszeitraum 2003 verstößt gegen den Grundsatz rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes, soweit Veräußerungen im Mai 2003 betroffen sind.
Vor dem Gesetzeserlass getätigte verbindliche Dispositionen des Klägers verdienen somit dem Grundsatz nach Vertrauensschutz. Das Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage ist im Streitfall erst mit dem öffentlich bekannt gewordenen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.8.2003 (BRDrucks 560/03) erschüttert worden.
Soweit § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG mit Wirkung für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 eingeführt wurde, hat bereits das BVerfG mit Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 diese gesetzgeberische Maßnahme als verfassungswidrig angesehen und § 43 Abs. 18 KAGG insoweit für nichtig erklärt.