09.09.2021

Verfassungsrechtlich zulässige unechte Rückwirkung durch §§ 15b, 20 Abs. 2b Satz 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 37d EStG i.d.F. des JStG 2007

§§ 15b, 20 Abs. 2b Satz 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 37d Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878) beinhalten eine zulässige unechte Rückwirkung, soweit danach im Jahr 2006 entstandene negative Einkünfte aus Kapitalvermögen aus einem Steuerstundungsmodell, das der Steuerpflichtige am 20.12.2005 gezeichnet hat, der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG unterliegen.

Kurzbesprechung
BFH v. 25.3.2021 - VIII R 16/18

EStG § 15b, § 20 Abs 2b S 1, § 25 Abs 1, § 36 Abs 1, , § 52 Abs 33a S 1, § 52 Abs 37d
AO § 38
GG Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 1, Art 20 Abs 3


Die gemäß § 15b i.V.m. § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878) vorgesehene eingeschränkte Verlustverrechnung für Einkünfte aus Kapitalvermögen gilt erstmals für im Veranlagungszeitraum 2006 erzielte Verluste (§ 52 Abs. 37d Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2007). Darüber hinaus folgt aus der Verweisung des § 52 Abs. 37d Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2007 auf § 52 Abs. 33a EStG, dass die Regelung nur auf Verluste von Steuerstundungsmodellen anzuwenden ist, denen der Steuerpflichtige nach dem 10.11.2005 beigetreten ist oder für die nach dem 10.11.2005 mit dem Außenvertrieb begonnen wurde. Danach unterliegen auch die im Streitjahr --hinsichtlich der Einkunftsart und Höhe bestandskräftig festgestellten-- Verluste des Steuerpflichtigen aus der am 20.12.2005 erworbenen Beteiligung an der Beigeladenen der eingeschränkten Verlustverrechnung.

Das FG hatte weiter zu Recht entschieden, dass es sich bei der Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Beigeladenen zum Zwecke des (anteiligen) Erwerbs der Asset Linked Note um ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b Abs. 1 EStG handelt. Die Anwendung des § 15b Abs. 1 EStG war auch nicht durch § 15b Abs. 3 EStG ausgeschlossen.

Die nach § 52 Abs. 37d Satz 1 EStG rückwirkende Anwendung des § 15b i.V.m. § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG auf das Streitjahr führt nicht zu einer verfassungswidrigen Verletzung schutzwürdigen Vertrauens. Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift, was insbesondere der Fall ist, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll.

Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1, § 25 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, d.h. des Kalenderjahres.

 

§ 15b i.V.m. § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG entfaltet eine verfassungsrechtlich zulässige unechte Rückwirkung. § 15b i.V.m. § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG bewirkt über die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 37d Sätze 1 und 2 EStG i.d.F. des JStG 2007 eine unechte Rückwirkung. Das JStG 2007 wurde am 18.12.2006 im BGBl verkündet, seine belastenden Rechtsfolgen --hier in Gestalt einer Anwendung des § 15b EStG auf im Veranlagungszeitraum 2006 erzielte Verluste aus Kapitalvermögen-- treten jedoch unter Rückgriff auf einen bereits zuvor ins Werk gesetzten Sachverhalt, nämlich den am 20.12.2005 erfolgten Beteiligungserwerb des Steuerpflichtigen, mit der Feststellung der verrechenbaren Verluste zum 31.12.2006 ein.

Der rückwirkenden Anwendung von § 15b EStG auf das Streitjahr steht nicht ein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen in eine Fortgeltung der früheren Rechtslage entgegen. Insbesondere genießt das Vertrauen des Steuerpflichtigen nicht deshalb einen erhöhten Schutz, weil die rückwirkende Anwendung des § 15b EStG eine konkret verfestigte Vermögensposition des Steuerpflichtigen nachträglich entwertet hätte.

Der Steuerpflichtige beruft sich allein darauf, dass die im Streitjahr erzielten negativen Kapitaleinkünfte nach altem Recht als ausgleichs- und abzugsfähige Verluste zu behandeln gewesen wären. Im Zeitpunkt der Verkündung des JStG 2007 am 18.12.2006 waren die negativen Kapitaleinkünfte jedoch noch nicht entstanden.

Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 15b EStG im Rahmen des Gesetzes zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen das Ziel verfolgte, die steuerliche Attraktivität von Fondsgestaltungen, die ihren Anlegern in der Anfangsphase hohe Verluste zuweisen und so zu einer Steuerstundung führen, einzuschränken. Eine wirkungsvolle Einschränkung der Steuerstundungsmodelle sah der Gesetzgeber in der Einführung einer Verlustverrechnungsbeschränkung, der zufolge die Verluste aus derartigen Steuerstundungsmodellen nur noch mit späteren positiven Einkünften aus derselben Einkunftsquelle verrechnet werden können.

Bei dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige im Investitionszeitpunkt am 20.12.2005 hinsichtlich der steuerlichen Behandlung der künftig entstehenden Verluste nicht auf eine aktuell bestehende Gesetzeslage vertraute, sondern darauf, dass diese auch zukünftig fortbestehen werde. Darüber hinaus musste einem rechtskundigen Beteiligten wie dem Steuerpflichtigen bewusst sein, dass der Gesetzgeber weitere Steuerstundungsmodelle, die in Reaktion auf die Beschränkung in § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG entwickelt werden würden, durch eine zeitnahe Anpassung der Gesetzeslage in der Zukunft auch für bestehende Fonds erfassen könnte.

§ 15b i.V.m. § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG führt auch nicht zu einer nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der an der Beigeladenen beteiligten Anleger. Die Beschränkung der Anwendung des § 15b i.V.m. § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG auf nach dem 10.11.2005 getätigte Investitionen ist dadurch gerechtfertigt, dass sie der Gleichstellung mit dem Personenkreis dient, der bei Einführung des § 15b EStG durch das VerlustverrBeschrG erfasst wurde (BTDrucks 16/2712, S. 64).

Verlag Dr. Otto Schmidt
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