Vermehrung von Knorpelzellen zur Reimplantation beim Patienten als umsatzsteuerfreie Heilbehandlung
BFH 29.6.2011, XI R 52/07Die Klägerin ist ein in Deutschland ansässiges Biotechnologie-Unternehmen und im Bereich der Gewebezüchtung tätig. Streitig sind im Revisionsverfahren nur noch die Umsätze der Klägerin aus der Vermehrung körpereigener Knorpelzellen in den Fällen, in denen die Leistungsempfänger (Ärzte oder Kliniken) in anderen Mitgliedstaaten der EU ansässig sind und die Klägerin in ihren Rechnungen deren Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angegeben hat.
Der Klägerin erhält von dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Klinik Knorpelmaterial, das einem Patienten entnommen wurde. Das Gewebe wird im Labor der Klägerin so bearbeitet, dass die Gelenkknorpelzellen herausgelöst und nach spezieller Aufbereitung durch Züchtung vermehrt werden können. Die gezüchteten Zellen werden dem behandelnden Arzt oder der Klinik zur Reimplantation beim Patienten zurückgesandt.
Das Finanzamt behandelte im Umsatzsteuerbescheid für 2002 die bislang von der Klägerin als nicht steuerpflichtig beurteilten Umsätze aus der Zellkultivierung gegenüber ausländischen Unternehmern als steuerbar und steuerpflichtig. Die Klägerin ist hingegen der Auffassung, bei der Vermehrung der Knorpelzellen handele es sich um "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c S. 1 UStG 1999.
Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Der EuGH hatte zwischenzeitlich nach Aussetzung des Verfahrens und auf Vorlage des BFH entschieden, dass es sich bei Leistungen, wie sie die Klägerin ausführt, um Heilbehandlungen handelt (EuGH 18.11.2010, C-156/09).
Die Gründe:
Der EuGH hat mit seinem zum Streitfall ergangenen Urteil entschieden, dass es sich bei Leistungen, wie sie die Klägerin ausgeführt hat, um Heilbehandlungen i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG handelt. Damit ist die von § 3a Abs. 1 S. 1 UStG abweichende Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG nicht anwendbar. Denn die Annahme einer Heilbehandlung schließt aus, dass es sich um "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" handelt.
Die Umsätze aus dem Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken sind gem. § 4 Nr. 14 S. 1 UStG von der Umsatzsteuer befreit, wenn diese Tätigkeiten von Ärzten oder im Rahmen eines arztähnlichen Berufs ausgeübt werden.
Vorliegend ist bislang allerdings nicht geklärt, welche berufliche Qualifikation die Mitarbeiter der Klägerin haben, die die Zellvermehrungen durchgeführt haben. Die Sache war deshalb an das FG zurückzuverweisen, damit dieses Feststellungen zu der beruflichen Qualifikation der Mitarbeiter der Klägerin trifft und sodann entscheidet, ob die Steuerbefreiung zu gewähren ist.
Soweit das Finanzamt § 4 Nr. 14 UStG wegen eines fehlenden Vertrauensverhältnisses zwischen der Klägerin und den Patienten für nicht anwendbar hält, ist dem nicht zu folgen. Denn ein Vertrauensverhältnis zum Patienten ist nicht ausnahmslos Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer Tätigkeit im Rahmen einer Heilbehandlung. So übt z.B. auch eine medizinisch-technische Assistentin für Funktionsdiagnostik eine den in § 4 Nr. 14 S. 1 UStG genannten Heilhilfsberufen ähnliche Tätigkeit aus mit der Folge, dass die entsprechenden Umsätze steuerfrei sind.
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