Verrechnungspreisdokumentation ist unionsrechtskonform
BFH 10.4.2013, I R 45/11Die Klägerin ist eine im Jahr 2008 gegründete GmbH. Ihr Geschäftsgegenstand ist die Verwaltung eigener Vermögenswerte, insbesondere der Handel mit Finanzinstrumenten auf eigene Rechnung. Im Februar 2008 erwarb die L-AG mit Sitz in Luxemburg sämtliche Anteile an der Klägerin. Bereits im März 2008 verkaufte sie die Anteile an eine luxemburgische S.A. weiter. Sämtliche Anteile der L-AG und der S.A. wurden von der L-Holding in Luxemburg gehalten. Die S.A. hielt die Anteile an der Klägerin treuhänderisch für einen luxemburgischen Fonds.
Das Finanzamt verlangte zur Durchführung einer Außenprüfung von der Klägerin die Vorlage einer sog. Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation gem. § 90 Abs. 3 AO über die Geschäftsbeziehungen mit der L-AG. Grund dafür waren Zweifel daran, ob die Geschäftsbeziehungen dem entsprachen, was unter fremden Dritten üblich ist. Nach § 90 Abs. 3 AO hat der Steuerpflichtige bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit ihm nahestehenden Personen Aufzeichnungen zu erstellen und diese auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen. Diese Pflichten beziehen sich insbesondere auf die mit den Nahestehenden vereinbarten sog. Verrechnungspreise. Einzelheiten der Dokumentation werden in der "Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung" geregelt.
Kommt der Steuerpflichtige den Dokumentationspflichten nicht oder nur unvollständig nach, ermöglicht § 162 Abs. 3 AO eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu seinem Nachteil. Außerdem erlaubt § 162 Abs. 4 AO für solche Fälle einen "Strafzuschlag" zur festgesetzten Steuer von mind. 5.000 €, bei verspäteter Vorlage der Aufzeichnungen sogar bis zu 1 Mio. €. Sachverhalte ohne entsprechenden Auslandsbezug sind von diesen Pflichten, die für die Steuerpflichtigen erheblichen Aufwand und erhebliche Kosten verursachen, nicht betroffen. Inlandssachverhalte und Auslandssachverhalte werden also "ungleich" behandelt.
Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach. Sie legte lediglich eine "Dokumentation der Geschäftsbeziehungen" zur L-AG für das Wirtschaftsjahr 2008 vor. Das FG wies die gegen die Aufforderung gerichtete Klage ab. Auch die Revision der Klägerin blieb vor dem BFH erfolglos.
Die Gründe:
Die Anforderung der Verrechnungspreisdokumentation durch das Finanzamt war rechtmäßig, da sich die Verrechnungspreise andernfalls nicht verlässlich überprüfen ließen.
In der Ungleichbehandlung von Inlandssachverhalten und Auslandssachverhalten war insbesondere kein Verstoß gegen das EU-Recht zu sehen. Zwar wird durch die Dokumentationspflicht regelmäßig in den Schutzbereich danach bestehender Grundfreiheiten im gemeinsamen Binnenmarkt eingegriffen. Doch sind diese Eingriffe durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt, insbesondere durch das Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht. Eine solche ist in der ständigen EuGH-Rechtsprechung anerkannt.
Danach sind die Mitgliedstaaten befugt, Maßnahmen anzuwenden, um die Besteuerungsgrundlagen klar und eindeutig feststellen zu können. Sie sind befugt, dem Steuerpflichtigen entsprechende Mitwirkungshandlungen abzuverlangen, die ihnen zur Verifikation der Besteuerungsgrundlagen nach den nationalen Vorschriften notwendig erscheinen. Zulässig ist insbesondere, für grenzüberschreitende Fälle spezifische Verfahrensregeln zu erlassen, um es den zuständigen Finanzbehörden zu ermöglichen, den steuerlich erheblichen Sachverhalt aufzuklären.
Der Eingriff im vorliegenden Fall war auch verhältnismäßig, da ohne die Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation eine effektive Sachverhaltsaufklärung nicht möglich war. Eine solche kann nämlich nicht allein mit den Mitteln der zwischen-staatlichen Amtshilfe gewährleistet werden. Die zur Vornahme eines Fremdvergleichs erforderlichen Informationen stammen vornehmlich aus der Sphäre des Steuerpflichtigen, der deshalb besser als die Finanzverwaltung in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu dokumentieren. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung stellt es auch kein gleich geeignetes milderes Mittel dar, den Steuerpflichtigen vor der Veranlagung die Beratung oder Vereinbarung von Verrechnungspreisen mit der Finanzverwaltung zu ermöglichen. Denn für eine vorherige Absprache mit dem Steuerpflichtigen bedürfte die Finanzverwaltung eben jener Informationen, die durch § 90 Abs. 3 AO ermittelt werden sollen.
Hintergrund:
Dem Urteil kommt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Diskussion über die "Steuerflucht" in sog. Steueroasen, auch solche innerhalb der EU, beträchtliche Bedeutung zu. Allerdings ließ der BFH ausdrücklich offen, ob einzelne Bestimmungen über die Dokumentationstiefe in der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung nicht doch über das hinausgehen, was zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich ist. Diese Fragen lassen sich aber auch nicht im Rahmen der Dokumentationsanforderung beantworten, sondern erst im Klageverfahren gegen einen nachfolgenden Steuerbescheid oder die nachfolgende Festsetzung eines "Strafzuschlags".
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
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