10.06.2021

Vorfälligkeitsentschädigung als Nachlassverbindlichkeit

Wird nach Eintritt des Erbfalls ein Darlehen des Erblassers vorzeitig abgelöst, so ist die Vorfälligkeitsentschädigung mit ihrem Zinsanteil nicht gesondert als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Die Zinsen sind Teil der als Kapitalschuld zu bewertenden und als Erblasserschuld abziehbaren Darlehensverbindlichkeit.

Kurzbesprechung
Soweit die Vorfälligkeitsentschädigung neben ihrem Zinsanteil auch sonstige Elemente wie Kosten oder Gebühren enthält, richtet sich die Abzugsfähigkeit danach, ob die vorzeitige Kündigung des Darlehens eine Maßnahme der Nachlassregelung oder der Nachlassverwaltung war.
Hat ein Nachlasspfleger Kosten veranlasst, so richtet sich die Abziehbarkeit als Nachlassverbindlichkeit nach denselben Maßstäben, die auch bei den durch den Erben selbst veranlassten Kosten anzulegen sind.

BFH v. 2.12.2020 - II R 17/18

ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 1, § 10 Abs. 5 Nr. 3, § 12
BewG § 9 Abs. 2 S. 2, § 12 Abs. 1
BGB § 488, § 490, § 1922, § 1960, § 1967, § 2042
FGO § 118 Abs. 2, § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a


Als steuerpflichtiger Erwerb gilt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG gilt in den Fällen des § 3 ErbStG unbeschadet § 10 Abs. 10 ErbStG als Bereicherung der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er der Besteuerung nach diesem Gesetz unterliegt, die nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert abgezogen werden. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG erfasst die sog. Erblasserschulden, § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG die sog. Erbfallschulden und § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG die sog. sonstigen Nachlassverbindlichkeiten.

Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind von dem Erwerb, soweit sich nicht aus § 10 Abs. 6 bis 9 ErbStG etwas anderes ergibt, abzugsfähig u.a. die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht bereits in einer betrieblichen Bewertungseinheit aufgegangen sind. Aus dem an § 1967 Abs. 2 BGB anknüpfenden Begriff "herrühren" ergibt sich, dass die Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden sein müssen. Vielmehr gehören dazu auch die erst in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten, die als solche schon dem Erblasser entstanden wären, wenn er nicht vor Eintritt der zu ihrer Entstehung nötigen weiteren Voraussetzung verstorben wäre. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass Aufwendungen des Erben durch Gegenleistungen der anderen Partei ausgeglichen werden, so dass ein Abzug nicht möglich ist. In ähnlicher Weise sind schwebende Geschäfte, deren Hauptpflichten im Todeszeitpunkt des Erblassers noch nicht erfüllt waren, bei der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer nicht zu berücksichtigen. Sind hingegen Vorausleistungen erbracht worden, ist danach abzugrenzen, auf welchen Zeitraum welche Leistungen entfallen.

Diese Grundsätze gelten auch für Forderungen und Verbindlichkeiten aus einem Darlehen i.S. des § 488 BGB. Der Zins ist das Entgelt für die Kapitalüberlassung auf Zeit.

Nachlassverbindlichkeit i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG ist allein die Darlehensverbindlichkeit als Kapitalschuld. Sie wird gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 BewG unter Berücksichtigung der Verzinsung auf den Stichtag ermittelt. Die wiederkehrende Zinsverpflichtung stellt keine zusätzlich berücksichtigungsfähige Nachlassverbindlichkeit dar. Die tatsächlich erbrachten Zinszahlungen können deshalb ebenso wenig abgezogen werden wie die Tilgungsleistungen. Sie würden andernfalls doppelt berücksichtigt. Eine besonders hohe oder niedrige Verzinsung ist ggf. bei der Bewertung der Darlehensverbindlichkeit zu berücksichtigen.

Kommt es (wie im Streitfall) nach dem Stichtag aus Gründen, die nicht mehr vom Erblasser "herrühren", zur vorzeitigen Ablösung oder zur Prolongation eines Darlehens, hat dies auf den Umfang der Erblasserschulden nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG keinen Einfluss. Nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG sind die Kosten abzugsfähig, die dem Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder mit der Erlangung des Erwerbs entstehen. Der Begriff "Kosten der Regelung des Nachlasses" ist weit auszulegen. Er umfasst die Kosten der tatsächlichen und rechtlichen Feststellung des Nachlasses einschließlich von Bewertungskosten, aber auch alle Kosten, die aufgewendet werden müssen, um die Erben in den Besitz der ihnen aus der Erbschaft zukommenden Güter zu setzen.

Die Kosten müssen ("unmittelbar") in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Erwerb von Todes wegen stehen und dürfen nicht erst durch die spätere Verwaltung des Nachlasses (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG) anfallen. Demgegenüber sind nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG Kosten für die Verwaltung des Nachlasses nicht abzugsfähig.

Aufwendungen im Zusammenhang mit der Tilgung von Erblasserschulden können daher nur als Nachlassregelungskosten abziehbar sein, wenn sie ihrerseits weder Zins noch Tilgung sind und die allgemeinen Voraussetzungen der Abziehbarkeit als Nachlassregelungskosten --in Abgrenzung zu den Nachlassverwaltungskosten-- vorliegen. Das gilt auch für die vorzeitige Ablösung eines laufenden Darlehens durch eine Abschlusszahlung.

Tilgungsanteile sind nicht abziehbar. Es bleibt insoweit bei dem Abzug der Darlehensschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Ein nochmaliger Abzug ist nicht möglich.

Bei Vorfälligkeitsentschädigungen, die nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB als Schadensersatz für eine vorzeitige Kündigung und damit vorzeitige Tilgung eines Darlehens zu entrichten sind, ist zu differenzieren. Der darin enthaltene Zinsanteil für die zum Stichtag angenommene und durch die Ablösung abgeschnittene Restlaufzeit ist nicht nochmals abziehbar. Er ist bereits bereicherungsmindernd in die Darlehensverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG eingegangen. Lediglich Kosten, die weder Tilgung noch Zins in diesem Sinne sind, kommen dem Grunde nach als Nachlassregelungskosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG in Betracht, wenn keine Kosten der Verwaltung des Nachlasses nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG vorliegen. Dies setzt voraus, dass die vorzeitige Kündigung des Darlehens ihrerseits eine Maßnahme im unmittelbaren Zusammenhang mit Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder Erlangung des Erwerbs war.

Der Abzug kommt etwa in Betracht, wenn die Darlehenskündigung Teil einer Auseinandersetzung ist. Ist die Darlehenskündigung hingegen Teil einer Vermögensumschichtungsmaßnahme, die auf der Verwaltung einschließlich der Verwertung des Nachlasses beruht, ist der Abzug nicht möglich.

Aufwendungen während einer Nachlasspflegschaft sind nach denselben Grundsätzen zu beurteilen und nicht bereits deshalb abzugsfähig, weil sie durch einen Nachlasspfleger i.S. des § 1960 Abs. 2 BGB verursacht oder veranlasst werden. Löst ein Nachlasspfleger Kosten aus, sind für die Beurteilung der Frage, ob es sich um abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten handelt, dieselben Grundsätze heranzuziehen wie bei Kosten, die der Erbe selbst ausgelöst hat.

Im Streitfall waren die streitigen Vorfälligkeitsentschädigungen nicht abziehbar. Die darin enthaltenen Zinsanteile konnten neben dem bereicherungsmindernden Ansatz der Darlehensverbindlichkeiten kein zweites Mal berücksichtigt werden, während etwaige sonstige Elemente (Kosten, Gebühren o.ä.) Kosten für die Verwaltung des Nachlasses nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG und damit nicht abzugsfähig sind.

Es lagen keine abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten in Gestalt von Erblasserschulden nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vor. Die Darlehensverbindlichkeiten einschließlich der Zinsverpflichtung sind als Kapitalschulden berücksichtigt worden. Soweit die Vorfälligkeitsentschädigungen überhaupt andere Elemente als Zinsen enthalten sollten, rühren sie nicht von der Erblasserin her. Die Erblasserin hatte die vorzeitige Ablösung der Darlehen nicht betrieben. Es handelt sich insoweit auch nicht um Nachlassregelungskosten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG. Die vorzeitige Ablösung der Darlehen war vielmehr erforderlich, um die Immobilien lastenfrei veräußern zu können. Die Veräußerung der Immobilien war nicht erforderlich, um den Nachlass festzustellen, Anordnungen der Erblasserin umzusetzen, die Erben in den Besitz des Nachlasses zu bringen oder anderweit ihre Rechtsstellung zu sichern. Sie diente einem wirtschaftlich sinnvollen Umgang mit dem Nachlass.

Auch waren keine Nachlassverteilungskosten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG gegeben, insbesondere keine Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung nach § 2042 BGB.

Erwerbskosten lagen ebenfalls nicht vor. Die Veräußerung der Immobilien und die damit verbundene vorzeitige Ablösung der Darlehen hatten keinen Bezug zu der Rechtsstellung der Erben und sicherten diese auch nicht. Die Maßnahme beruhte allein auf wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen, die ihrerseits nicht zuletzt auf dem Nichtwissen um die Erben gründeten, aber hieran nichts änderte.

Vielmehr lagen Verwaltungskosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG vor. Die Vorfälligkeitsentschädigungen standen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erwerb von Todes wegen. Sie waren Folge einer Vermögensumschichtung, die Teil einer normalen Vermögensverwaltung sein kann. Ein Zusammenhang mit dem Erbfall bestand nur insoweit, als sich wegen der unbekannten Erben die Abwicklung des Nachlasses verzögerte und insofern ein Bedürfnis nach einer Interimsverwaltung des Nachlassvermögens entstand. Dabei handelte es sich um eine Nachlassverwaltung.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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