Wann liegen Überentnahmen vor?
FG Rheinland-Pfalz 9.8.2018, 5 K 1375/16Die klagenden Eheleute hatten in den Streitjahren 2002 bis 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und die im Streit befindlichen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Die Klägerin betrieb als Einzelunternehmerin einen Werbeverlag (im Folgenden: Besitzunternehmen), der seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte. Wirtschaftsjahr war das Kalenderjahr. Zwischen dem Besitzunternehmen und der Fa. D-GmbH bestand eine Betriebsaufspaltung. Es verpachtete seither das gesamte bewegliche und unbewegliche Anlagevermögen an die GmbH. Stille Gesellschafter des Besitzunternehmens waren Herr T. H. und Frau J. H., der Sohn und die Tochter der Kläger. Sie waren an der Geschäftsführung des Besitzunternehmens nicht beteiligt und sollten bei seiner Liquidation keine stillen Reserven an seinem Anlagevermögen erhalten.
Das Anfangskapital (= Eigenkapital) der Klägerin war von 1999 bis 2004 durchgängig positiv und lag in allen Jahren betragsmäßig höher als die von ihr getätigten Entnahmen. Entsprechend den in den Jahresabschlüssen ermittelten Gewinnen erklärten die Kläger aus dem Besitzunternehmen der Klägerin in den Jahren 2002 bis 2004 Gewinne i.H.v. 350.037 € (2002), von 317.364 € (2003) und 290.938 € (2004). Das Finanzamt veranlagte die Kläger zunächst erklärungsgemäß. Nach einer Außenprüfung erhöhte die Behörde den Gewinn aus Gewerbebetrieb allerdings.
Hiergegen wandten sich die Kläger. Sie waren insbesondere der Ansicht, dass Zinsaufwendungen der Klägerin als nicht abziehbare Betriebsausgaben behandelt worden seien. In den Bilanzen dieser Jahre seien die Kapitalkonten stets mit positiven Beträgen geführt worden. Es müsse hervorgehoben werden, dass zur Entnahmetätigkeit lediglich Eigenmittel beansprucht worden seien. Das FG gab der Klage statt.
Die Gründe:
Das Finanzamt ist zu Unrecht von "Überentnahmen" in den Streitjahren 2002 bis 2004 ausgegangen und hat demzufolge zu Unrecht nicht abziehbare Schuldzinsen hinzugerechnet.
Schuldzinsen sind nach Maßgabe des § 4 Abs. 4a EStG nicht abzugsfähig, wenn und soweit Überentnahmen getätigt worden sind. Auf der Grundlage dieser Bestimmung ist der Schuldzinsenabzug zweistufig zu prüfen. Auf der 1. Stufe ist die betriebliche Veranlassung von Schuldzinsen nach den vom BFH entwickelten Grundsätzen zu beurteilen. Danach sind Schuldzinsen anhand des tatsächlichen Verwendungszwecks der Darlehensmittel der Erwerbs- bzw. der Privatsphäre zuzuordnen. Darlehen zur Finanzierung außerbetrieblicher Zwecke sind nicht betrieblich veranlasst. Wickelt der Steuerpflichtige seinen betrieblich bzw. privat veranlassten Zahlungsverkehr über ein einheitliches - gemischtes - Kontokorrentkonto ab, ist für die Ermittlung der Betriebsausgaben im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG der Sollsaldo grundsätzlich aufzuteilen. Auf der 2. Stufe ist zu prüfen, welche der betrieblich veranlassten Schuldzinsen auf Überentnahmen beruhen und daher nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abzugsfähig sind.
Unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urt. v. 21.9.2005, X R 47/03; BFH-Urt. v. 17.08.2010, VIII R 42/07; BFH-Urt. v. 14.3.2018, X R 17/16) herausgearbeiteten Kriterien handelt es sich im Streitfall auf der 1. Stufe nicht um private, sondern, wenn überhaupt, um durch "Überentnahmen" ausgelöste betriebliche Schuldzinsen. Auf der 2. Stufe hat das Finanzamt nicht, was der BFH in den oben angeführten drei Urteilen herausgearbeitet hat, und zwar, dass der Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4a EStG darin liegt, den Betriebsausgabenabzug von Schuldzinsen nur dann einzuschränken, wenn die Summe der Entnahmen die Summe aus angesammelten Gewinnen und Einlagen bei negativem Eigenkapital übersteigt.
Handelt es sich hingegen um einen Steuerpflichtigen, der in den im Streit befindlichen Veranlagungsjahren zwar Entnahmen getätigt hat, die jedoch das im Unternehmen vorhandene Eigenkapital in keinem Jahr aufgezehrt haben, liegt kein Fall des § 4 Abs. 4a EStG vor und für diese Entnahmen sind keine abziehbaren Schuldzinsen in Ansatz zu bringen. Mit der Regelung des § 4 Abs. 4a EStG hat der Gesetzgeber - wie die drei BFH-Entscheidung ausdrücklich hervorheben - nur bei negativem Eigenkapital die nicht abziehbaren Schuldzinsen bei Überentnahmen - nicht hingegen bei Entnahmen - hinzurechnen wollen, weil der Steuerpflichtige diese ersichtlich betrieblich finanziert hat, obwohl sie der nichtsteuerlichen privaten Sphäre zuzurechnen sind.
Ist jedoch wie im Streitfall in allen Jahren genügend positives Eigenkapital vorhanden gewesen, um die Entnahmen zu finanzieren, ist der Betriebsausgabenabzug nicht durch nicht abziehbare Schuldzinsen zu kürzen. Nach dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4a EStG liegt in diesem Fall keine Überentnahme, sondern eine Entnahme vor, die tatbestandlich nicht die Rechtsfolge des § 4 Abs. 4 a S. 3 und 4 EStG auslöst. In Anlehnung an die angeführten drei BFH-Entscheidungen und die angeführte Kommentarstelle folgt der Senat der Argumentation der Kläger daher in vollem Umfang. Der Beklagte hat bei seiner abschnittsweisen Betrachtung übersehen, dass § 4 Abs. 4a EStG nur greift und von Überentnahmen ausgeht, wenn das Eigenkapital negativ ist. Dies ist im Streitfall indes in den Streitjahren 2002 bis 2004 und auch in den Vorjahren seit 1999 in keinem Jahr der Fall gewesen.
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