31.08.2018

Wann sind Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit zu unterlassen?

Die Anwendung des § 240 AO begegnet dann schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen teilweise zu erlassen sind. Denn dann sind sie sowohl ihrem verbleibenden Zweck nach als auch der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar. In diesem Fall liegt ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge nahe.

FG München 13.8.2018, 14 V 736/18
Der Sachverhalt:

Die Antragstellerin war seit Ende 2011 Geschäftsführerin einer GmbH, die zur Abgabe von monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet war. Für die Monate Juni bis Oktober 2015 kam die GmbH dieser Verpflichtung fristgerecht nach. Im Mai 2016 übermittelte die Antragstellerin für die Monate Juni 2014, August 2014 bis März 2015, Mai bis Juli 2015, September 2015 und Oktober 2015 berichtigte Voranmeldungen für die GmbH mit jeweils erheblich höheren Umsatzsteuerbeträgen. Diese Voranmeldungen führten zu bestandskräftigen Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Juli 2017 wurde beim AG der Antrag auf Insolvenz über das Vermögen der GmbH gestellt. Das AG ordnete im August 2017 die vorläufige Insolvenzverwaltung an und eröffnete im März 2018 das Insolvenzverfahren.

Nach vorhergehender Anhörung erließ das Finanzamt im November 2017 gegenüber der Antragstellerin einen Haftungsbescheid gem. § 191 AO i.V.m. § 69 AO i.H.v. insgesamt 117.230 €. Er umfasste die noch rückständigen Beträge der berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen. Außerdem machte die Behörde darin Säumniszuschläge, die nach Mai 2016 und vor dem Antrag auf Insolvenz entstanden waren, in voller Höhe und Säumniszuschläge, die nach dem Antrag auf Insolvenz entstanden sind, zur Hälfte geltend.

Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Den Antrag auf AdV lehnte das Finanzamt ab. Das FG hat den Haftungsbescheid i.H.v. 1.816 € von der Vollziehung ausgesetzt. Allerdings wurde die Beschwerde zugelassen.

Die Gründe:

Der zulässige Antrag ist teilweise begründet. Der Haftungsbescheid ist hinsichtlich der ab dem Antrag auf Insolvenz entstandenen Säumniszuschläge von der Vollziehung auszusetzen.

Bei summarischer Prüfung hat die Antragstellerin eine Pflichtverletzung begangen, weil sie für die in Haftung genommenen Zeiträume jeweils eine zu niedrige Steuer erklärt und abführt hatte. Ernsthaft zweifelhaft ist aber, ob das Finanzamt sein Ermessen hinsichtlich der Haftung für die ab dem Antrag auf Insolvenz entstandenen Säumniszuschläge zutreffend ausgeübt hatte, weil gegen die Höhe der für diesen Zeitraum bislang vom Finanzamt berücksichtigten Säumniszuschläge die gleichen schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken wie gegen die Höhe der Verzinsung nach § 233a AO bestehen.

Die ab dem Antrag auf Insolvenz entstandenen Säumniszuschläge, die das Finanzamt zu ½ berücksichtigt hat, erscheinen hinsichtlich der verbleibenden Hälfte als übermäßig. Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen.

Diese Vorschrift ist grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG-Beschl. v. 30.1.1986, Az.: 2 BvR 1336/85). Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass inzwischen gegen die Höhe des Zinssatzes bei den sog. Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO jedenfalls ab dem Verzinsungszeitraum 2015 schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel bestehen. Aufgrund des vorrangigen Zwecks der Säumniszuschläge als Druckmittel stellen - anders als die Antragstellerin meint - verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der im Gesetz angeordneten Zinshöhe nicht zugleich die grundsätzliche Vereinbarkeit der in § 240 AO angeordneten Höhe der Säumniszuschläge von 1% je Monat in Frage.

Die Anwendung des § 240 AO begegnet jedoch dann schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen teilweise zu erlassen sind. Denn dann sind sie sowohl ihrem verbleibenden Zweck nach als auch der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar. In diesem Fall liegt ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge nahe. Kann der Steuerpflichtige die Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nicht mehr rechtzeitig zahlen, verliert der vorrangig mit den Säumniszuschlägen verfolgte Zweck, Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben, seinen Sinn. In diesen Fällen ist die Erhebung der Säumniszuschläge sachlich unbillig.

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