26.01.2023

Wechselseitige Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen (Anteilsrotation) unter Wert

Ein "Verlust" i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG, der im Zuge einer Anteilsrotation lediglich wegen der Vereinbarung eines den Wert des veräußerten Anteils krass verfehlenden Kaufpreises entsteht, führt zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil und stellt einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AO) dar.

Kurzbesprechung
BFH v. 20. 9. 2022 - IX R 18/21

EStG § 17 Abs 1 S 1, § 17 Abs 2 S 1
AO § 39 Abs 2 Nr. 1 S 1, § 42 Abs 1 S 1, § 42 Abs 2 S 1
BGB § 125 S 1


Streitig war, ob ein vom Steuerpflichtigen erlittener Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 EStG) zu berücksichtigen ist oder ob der Verlust wegen eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs. 1 Satz 1 AO) der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden kann.

Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand der Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Anderenfalls entsteht nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Ein Missbrauch liegt nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO).

Einem Steuerpflichtigen steht es frei, ob, wann und an wen er seine Anteile veräußert. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt. Denn die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts steht nicht nur im Einklang mit § 17 EStG, sondern entspricht auch dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit; sie ist damit nicht von vornherein rechtsmissbräuchlich. Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn ein "Verlust" nur dadurch entsteht, dass die Beteiligten einen unzutreffenden, die Wertverhältnisse des zur Veräußerung bestimmten Kapitalgesellschaftsanteils in krasser Weise verfehlenden Kaufpreis vereinbaren; denn in diesem Fall ist der "Verlust" nicht durch eine den Kapitalgesellschaftsanteilen innewohnende Wertminderung, sondern durch einen Verkauf von Anteilen weit unter Wert zustande gekommen.

Im Streitfall war der gewählte Weg des wechselseitigen Anteilsverkaufs unter Wert zur Verlustnutzung rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO. Denn der "Verlust" des Steuerpflichtigen aus der Veräußerung war im Veräußerungszeitpunkt nicht real eingetreten, sondern nur das rechnerische Ergebnis der vertraglichen Vereinbarung eines Unter-Wert-Verkaufs, bei dem der (jeweilige) Kaufpreis die Wertverhältnisse der (jeweils) zur Veräußerung bestimmten Kapitalgesellschaftsanteile in krasser Weise verfehlte; er spiegelt demnach auch nicht eine geminderte Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen wider.

Darüber konnte der vom Steuerpflichtigen und seinem Mitgesellschafter A durchgeführten Anteilsrotation kein realer wirtschaftlicher Hintergrund beigemessen werden; denn diese diente lediglich dem Zweck, durch das Auslösen eines ‑ mit der Vereinbarung eines gegenseitigen Verkaufs unter Wert verbundenen ‑ Steuererstattungsanspruchs die Möglichkeit zur Tilgung privater Aufwendungen zu schaffen. Dies stellt für sich keinen beachtlichen außersteuerlichen Grund für die gewählte Vertragsgestaltung dar (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO).

Im Streitfall kam hinzu, dass die (formnichtigen) Vereinbarungen zur Veräußerung und Abtretung des vom Steuerpflichtigen gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteils im Streitfall ersichtlich der Vorverlagerung des Veräußerungszeitpunkts vor den Zeitpunkt einer zivilrechtlich wirksamen (notariell beurkundeten) Veräußerung und Abtretung dienten; zu diesem Zweck hatte der Steuerpflichtige auch den Kaufpreis für den Erwerb der einzutauschenden Anteile des A zu einem Zeitpunkt entrichtet, zu dem noch nicht einmal der formnichtige Kauf- und Abtretungsvertrag geschlossen war.

Schließlich war zu berücksichtigen, dass die an der Anteilsrotation beteiligten Vertragsparteien die jeweilige Übertragung ihres Anteils unter Wert nur deshalb vorgenommen hatten, weil sie im Gegenzug hierfür (zivil-)rechtlich zwar einen "anderen", wirtschaftlich gesehen jedoch einen wertidentischen Kapitalgesellschaftsanteil zu einem dem realen Wert nicht entsprechenden Kaufpreis zurückerhalten hatten. Derartige gegenläufige (oder ringförmige) Rechtsgeschäfte werden jedoch als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn sie keine verständliche wirtschaftliche Veränderung bewirken (und auch nicht bewirken sollen). Für derartige Fälle ist anerkannt, dass ein steuerrechtlich dem Grunde nach erheblicher Vorgang dann nicht berücksichtigt werden kann, wenn er nach dem Willen des Steuerpflichtigen durch einen gegenläufigen Rechtsakt erst geschaffen oder wieder ausgeglichen wird und damit von vornherein eine wirtschaftliche Belastung vermieden werden soll.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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