Wegzugsbesteuerung - Keine Berücksichtigung fiktiver Veräußerungsverluste
BFH 26.4.2017, I R 27/15Die Kläger sind Eheleute und wohnten bis Juni 2009 in Deutschland, wo sie auch den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatten. Außerdem hatten sie eine Wohnung in Österreich. Im Juli 2009 gaben die Kläger ihren inländischen Wohnsitz auf und zogen ganz nach Österreich. Zu diesem Zeitpunkt hielt der Kläger Anteile an fünf Kapitalgesellschaften (A, B, C, D, E), an denen er innerhalb der letzten fünf Jahre zu mindestens 1 % beteiligt war. Für das Streitjahr 2009 wurden die Kläger auf ihren Antrag hin nach Maßgabe von § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 1 EStG auch hinsichtlich der Zeit nach dem Wegzug als mit ihren inländischen Einkünften unbeschränkt steuerpflichtig behandelt und zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Das Finanzamt wendete bei Festsetzung der Einkommensteuer die Bestimmung des § 6 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) i.d.F. des JStG 2009 - AStG - i.V.m. § 17 EStG auf die Beteiligungen des Klägers an. Dabei ergaben sich in Bezug auf die Beteiligungen an A und B fiktive Veräußerungsgewinne auf den Wegzugszeitpunkt, die die Behörde auf Grundlage einer tatsächlichen Verständigung mit den Klägern ansetzte und nach Maßgabe von § 3 Nr. 40 S. 1c EStG zu 60 % der Einkommensteuer unterwarf. In Bezug auf die anderen Beteiligungen des Klägers ergaben sich fiktive Veräußerungsverluste auf den Wegzugszeitpunkt. Diese berücksichtigte das Finanzamt - unter Berufung auf das BFH-Urt. v. 28.2.1990, Az.: I R 43/86 - bei der Steuerfestsetzung nicht.
Das FG wies die wegen Unterlassens der Verlustberücksichtigung erhobene Sprungklage ab. Auch die Revision der Kläger vor dem BFH blieb erfolglos.
Gründe:
Das Finanzamt hatte bei Anwendung des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG zu Recht nur die fiktiven Veräußerungsgewinne aus den Anteilen A und B, nicht aber auch die noch nicht realisierten Wertminderungen der Anteile C, D und E berücksichtigt.
§ 6 Abs. 1 S. 1 AStG bestimmt, dass bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht auch ohne Veräußerung anzuwenden ist, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. An Stelle des Veräußerungspreises (§ 17 Abs. 2 EStG) tritt bei Anwendbarkeit des § 6 AStG der gemeine Wert der Anteile in dem nach § 6 Abs. 1 S. 1 oder 2 AStG maßgebenden Zeitpunkt (§ 6 Abs. 1 S. 4 AStG).
Nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AStG steht der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht nach S. 1 die Begründung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts oder die Erfüllung eines anderen ähnlichen Merkmals in einem ausländischen Staat gleich, wenn der Steuerpflichtige auf Grund dessen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als in diesem Staat ansässig anzusehen ist. Im Streitfall war eine derartige Ansässigkeit der Steuerpflichtigen in Österreich gegeben.
§ 6 Abs. 1 S. 1 AStG a.F. ist dahin auszulegen, dass er nur für die Fälle auf § 17 EStG verweist, in denen der gemeine Wert der Anteile zu dem für die Besteuerung maßgebenden Zeitpunkt die Anschaffungskosten übersteigt. Dies gilt auch für die aktuelle Gesetzesfassung. An den zur alten Rechtslage angestellten Erwägungen durch die zwischenzeitlichen Rechtsänderungen wurde nichts Grundlegendes geändert. Dies ergibt sich auch durch die Änderungen und Ergänzungen des § 6 AStG im Rahmen des SEStEG.
Außerdem ist § 6 Abs. 6 AStG zu beachten, wonach der Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern ist, wenn im Fall der Beendigung der Stundung nach § 6 Abs. 5 S. 4 Nr. 1 AStG (d.h. wegen Veräußerung des Anteils oder eines gleichgestellten Tatbestands) der Veräußerungsgewinn "niedriger als der Vermögenszuwachs nach Abs. 1" ist und die Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt wird. § 6 Abs. 6 S. 3 AStG bestimmt, dass die Wertminderung "höchstens im Umfang des Vermögenszuwachses nach Abs. 1 zu berücksichtigen" ist. Die hier im Gesetz ausdrücklich erwähnte und in einen Gegensatz zum "Vermögenszuwachs" gesetzte "Wertminderung" der Anteile soll danach also nur dann Berücksichtigung finden können, wenn sie sich nach dem Wegzug durch Veräußerung oder einen gleichgestellten Tatbestand realisiert hat und soweit sie den zum Wegzugszeitpunkt vorhandenen (und unter Stundung besteuerten) Vermögenszuwachs nicht übersteigt.
Weiterhin ist zu beachten, dass sich durch die SEStEG-Änderungen § 6 AStG nicht zu einer umfassenden Entstrickungsvorschrift gewandelt hat, die auch die Berücksichtigung von zum Wegzugszeitpunkt gegebenen, noch nicht realisierten Wertverlusten erfordert. Auch kommt eine Saldierung von Veräußerungsergebnissen mehrerer von einem Steuerpflichtigen gehaltener Anteile nicht in Betracht. Letztlich hat der BFH auch keine unionsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Wegzugsbesteuerung in den Fällen, in denen die Steuer nach Maßgabe von § 6 Abs. 5 AStG zu stunden ist.
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