Widerruf der Gestattung der Ist-Besteuerung wegen Missbrauchs; Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug
Kurzbesprechung
BFH v. 12.7.2023 - XI R 5/21
UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr. 1 S 1, § 20
AO § 42
EGRL 112/2006 Art 167, 112/2006 Art 179 S 1
Streitig war, ob das FA die dem Steuerpflichtigen erteilte Gestattung der Besteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (sogenannte Ist-Besteuerung) zu Recht widerrufen hatte. Der BFH hat dies im Revisionsverfahren verneint und entschieden, dass der vom FA vorgenommene Widerruf unzulässig war. Denn die vom FA als Widerrufsgrund angeführte, vom FG ebenfalls bejahte Gefährdung des Steueraufkommens beruht auf der unionsrechtlich unzutreffenden Prämisse, dass bei Leistungsbezug vom Steuerpflichtigen den Leistungsempfängerinnen der sofortige Vorsteuerabzug zusteht. Dies trifft jedoch nicht zu (Art. 167 MwStSystRL).
Im Streitfall hatte das FA den Widerruf unzutreffend darauf gestützt, dass die Vornahme des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger bei gleichzeitig fehlenden Umsätzen beim leistenden Unternehmer bei nahestehenden Personen die Vermutung begründe, dass die dem leistenden Unternehmer erteilte Gestattung missbraucht werde. Denn nach dem EuGH-Urteil Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 vom 10.02.2022 - C-9/20 (EU:C:2022:88) steht Art. 167 MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegen, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer nach einer nationalen Abweichung gemäß Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist. Das Recht auf Vorsteuerabzug wird nämlich nach Art. 167, 179 Satz 1 MwStSystRL (vorbehaltlich der Bestimmung des Art. 178 MwStSystRL) während des gleichen Zeitraums ausgeübt, in dem es entstanden ist, das heißt, wenn der Anspruch auf die Steuer entsteht. Das bedeutet, dass es zu dem von FA und FG bejahten Missbrauch kraft Unionsrechts nicht kommen kann.
Die Frage, ob dem leistenden Unternehmer die Ist-Besteuerung gestattet wird, hat nur Auswirkung darauf, ob sowohl die Umsatzsteuer als auch das Recht auf Vorsteuerabzug bereits bei Ausführung des Umsatzes (Art. 63 MwStSystRL) oder erst bei Vereinnahmung (Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) entstehen. Ein zeitliches Auseinanderfallen, das durch den Widerruf der Gestattung gegenüber dem Steuerpflichtigen verhindert werden soll, ist unionsrechtlich nicht möglich. Es beruht nicht auf dem von FA und FG beanstandeten Verhalten des Steuerpflichtigen, sondern - wenn überhaupt ‑ auf der unzutreffenden Umsetzung des Unionsrechts in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Umstand, dass die Umsatzsteuer und das Recht auf Vorsteuerabzug in den Fällen der Ist-Besteuerung erst bei Vereinnahmung des Entgelts entstehen, ist ebenfalls nicht missbräuchlich und führt nicht zu einer Gefährdung des Steueraufkommens. Denn er beruht auf der Einführung des § 20 UStG durch den Gesetzgeber.
Verlag Dr. Otto Schmidt
UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr. 1 S 1, § 20
AO § 42
EGRL 112/2006 Art 167, 112/2006 Art 179 S 1
Streitig war, ob das FA die dem Steuerpflichtigen erteilte Gestattung der Besteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (sogenannte Ist-Besteuerung) zu Recht widerrufen hatte. Der BFH hat dies im Revisionsverfahren verneint und entschieden, dass der vom FA vorgenommene Widerruf unzulässig war. Denn die vom FA als Widerrufsgrund angeführte, vom FG ebenfalls bejahte Gefährdung des Steueraufkommens beruht auf der unionsrechtlich unzutreffenden Prämisse, dass bei Leistungsbezug vom Steuerpflichtigen den Leistungsempfängerinnen der sofortige Vorsteuerabzug zusteht. Dies trifft jedoch nicht zu (Art. 167 MwStSystRL).
Im Streitfall hatte das FA den Widerruf unzutreffend darauf gestützt, dass die Vornahme des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger bei gleichzeitig fehlenden Umsätzen beim leistenden Unternehmer bei nahestehenden Personen die Vermutung begründe, dass die dem leistenden Unternehmer erteilte Gestattung missbraucht werde. Denn nach dem EuGH-Urteil Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 vom 10.02.2022 - C-9/20 (EU:C:2022:88) steht Art. 167 MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegen, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer nach einer nationalen Abweichung gemäß Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist. Das Recht auf Vorsteuerabzug wird nämlich nach Art. 167, 179 Satz 1 MwStSystRL (vorbehaltlich der Bestimmung des Art. 178 MwStSystRL) während des gleichen Zeitraums ausgeübt, in dem es entstanden ist, das heißt, wenn der Anspruch auf die Steuer entsteht. Das bedeutet, dass es zu dem von FA und FG bejahten Missbrauch kraft Unionsrechts nicht kommen kann.
Die Frage, ob dem leistenden Unternehmer die Ist-Besteuerung gestattet wird, hat nur Auswirkung darauf, ob sowohl die Umsatzsteuer als auch das Recht auf Vorsteuerabzug bereits bei Ausführung des Umsatzes (Art. 63 MwStSystRL) oder erst bei Vereinnahmung (Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) entstehen. Ein zeitliches Auseinanderfallen, das durch den Widerruf der Gestattung gegenüber dem Steuerpflichtigen verhindert werden soll, ist unionsrechtlich nicht möglich. Es beruht nicht auf dem von FA und FG beanstandeten Verhalten des Steuerpflichtigen, sondern - wenn überhaupt ‑ auf der unzutreffenden Umsetzung des Unionsrechts in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Umstand, dass die Umsatzsteuer und das Recht auf Vorsteuerabzug in den Fällen der Ist-Besteuerung erst bei Vereinnahmung des Entgelts entstehen, ist ebenfalls nicht missbräuchlich und führt nicht zu einer Gefährdung des Steueraufkommens. Denn er beruht auf der Einführung des § 20 UStG durch den Gesetzgeber.