31.05.2021

Wirksamkeit einer Aufrechnung gegen Steuerforderung des Finanzamts

Das FG Köln hatte sich mit der Frage der Wirksamkeit einer Aufrechnung gegen Steuerforderungen des Finanzamts zu befassen. Streitig war insbesondere die Auslegung des § 226 Abs. 3 AO, wonach nur mit "unbestrittenen" Gegenforderungen aufgerechnet werden kann.

FG Köln v. 16.12.2020 - 7 K 811/19
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger mit Vergütungsansprüchen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gegen Ansprüche der Landeskasse NRW aus den Einkommensteuer- und Umsatzsteuerfestsetzungen 2016 aufrechnen kann.

Der Kläger hatte mit einem Gebührenanspruch gegen die Landeskasse (Beratungshilfe) aus einem Verfahren vor dem AG aufgerechnet. Das Finanzamt hatte die Aufrechnung nicht akzeptiert, da die Gegenforderung des Klägers verjährt sei. Gestritten wurde ferner um die Auslegung des § 226 Abs. 3 AO, wonach nur mit "unbestrittenen" Gegenforderungen aufgerechnet werden kann.

Nach zwischenzeitlicher Zahlung der Steuerschuld durch den Kläger klagte dieser auf Feststellung eines Erstattungsanspruchs, den der Kläger in der - seiner Ansicht nach wirksam erfolgten - Aufrechnung begründet sieht.

Das FG wies seine Klage ab, ließ aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zu. Diese ist beim BFH anhängig unter dem Az.: VII R 7/21.

Die Gründe:
Die Steueransprüche des Beklagten sind nicht durch Aufrechnungen des Klägers erloschen, da dieser nicht wirksam aufrechnen konnte.

Der Aufrechnung stand zwar nicht das allgemeine Verbot des § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 390 BGB entgegen, wonach mit einredebehafteten Forderungen nicht aufgerechnet werden kann. Denn nach § 215 BGB schließt die Verjährung die Aufrechnung dann nicht aus, wenn die verjährte Forderung zu der Zeit, zu welcher sie erstmals gegen die andere Forderung aufgerechnet werden konnte (hätte werden können), noch nicht verjährt war. Im Streitfall gab es diesen Zeitpunkt: An dem Tag, an dem Kläger seinen Gebührenanspruch gegen das Land NRW erstmals hätte geltend machen können (am 1.1.2017), war diese Forderung noch nicht verjährt.

Eine wirksame Aufrechnung scheitert im Streitfall allerdings an § 226 Abs. 3 AO, wonach ein Steuerpflichtiger gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen (oder rechtskräftig festgestellten) Gegenansprüchen aufrechnen kann.

Bei einer Aufrechnung gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 215 BGB im Lichte des § 226 Abs. 3 AO auszulegen. Dies folgt aus dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Vorschriften. In § 215 BGB heißt es, "... in dem erstmals aufgerechnet ... werden konnte". Aus der Formulierung "konnte" ist zu schließen, dass zu diesem Zeitpunkt sämtliche Voraussetzungen für eine wirksame Aufrechnung erfüllt sein müssen, mit Ausnahme der Aufrechnungserklärung gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 388 Satz 1 BGB, die - da sie zurückwirkt - später erfolgen kann. Da der Gesetzgeber in § 226 Abs. 3 AO speziell für die Aufrechnung gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zusätzliche Voraussetzungen normiert hat, müssen damit auch diese im Zeitpunkt der gegenseitigen Unverjährtheit des § 215 BGB erfüllt sein.

Die Unbestrittenheit (oder rechtskräftige Feststellung) der Gegenforderung muss daher bereits in dem Zeitpunkt gegeben sein, in dem sich die Forderungen aufrechenbar gegenüberstehen und unverjährt sind.

Hier ist die fragliche Forderung des Klägers deshalb nicht "unbestritten" i.S.d. § 226 Abs. 3 AO, da sie in dem Zeitpunkt, in dem sie noch unverjährt war (1.1.2017), dem Schuldner noch gar nicht bekannt war. Ist eine Forderung zwar entstanden, aber dem Schuldner noch nicht bekannt, weil sie - wie im Streitfall - noch gar nicht geltend gemacht wurde, ist es gänzlich ungewiss, ob die Forderung vom Schuldner bestritten wird oder nicht. Wenn der Schuldner zu dem Zeitpunkt, in dem sich die Forderungen unverjährt gegenüberstanden, keinerlei Kenntnis von der Forderung hatte, war eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Forderung nicht möglich.

Im vorliegenden Fall kannte die Landeskasse als Schuldner der Vergütungsforderungen am 1.1.2017 diese noch nicht, da der Kläger sie - trotz Fälligkeit - noch nicht gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG durch einen Antrag geltend gemacht hatte. Daher konnte eine inhaltliche Auseinandersetzung in dem dafür vorgesehen Kostenfestsetzungsverfahren zu diesem Zeitpunkt nicht stattfinden. Weder konnte die Forderung als solche oder die Frage der Verjährung überprüft werden noch konnte der Bezirksrevisor eine Entscheidung darüber treffen, ob die Einrede der Verjährung erhoben oder von der Erhebung abgesehen wird. Die Forderungen waren daher am 1.1.2017 mangels Geltendmachung und Kenntnis beim Kostenschuldner nicht unbestritten i.S.d. Vorschrift. Die Voraussetzungen der § 226 Abs. 1 und 3 AO i.V.m. § 215 BGB für eine wirksame Aufrechnung in unverjährter Zeit lagen damit nicht vor.
Justiz NRW online
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