03.03.2022

Wirtschaftliches Eigentum und Bilanzierung bei Wertpapierdarlehen - Berechnung des Minderungsbetrags nach § 20 Abs. 2 Satz 2 KStG

1. Trägt bei einem Wertpapierdarlehen der Darlehensnehmer die Kurschancen und -risiken der überlassenen Wertpapiere, so spricht dies gegen einen Verbleib des wirtschaftlichen Eigentums beim Darlehensgeber (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 18.08.2015 - I R 88/13, BFHE 251, 190, BStBl II 2016, 961).
2. Die an die Stelle der darlehensweise ausgereichten Wertpapiere getretene Rückübertragungsforderung ist vom Darlehensgeber erfolgsneutral mit dem Buchwert der Wertpapiere zu aktivieren. Teilwertabschreibungen auf die Rückübertragungsforderung sind nicht gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG außerbilanziell zu neutralisieren.
3. Zur Frage des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Wertpapierdarlehensgeschäften eines Versicherungsunternehmens.
4. Bei der Berechnung des Minderungsbetrags nach § 20 Abs. 2 Satz 2 KStG sind Renten-Deckungsrückstellungen i.S. von § 341g Abs. 5 HGB einzubeziehen. Im Rahmen der Ablaufverprobung zur Ermittlung des Minderungsbetrags sind die Renten-Deckungsrückstellungen nach den für steuerliche Zwecke anzuwendenden Regeln zu bewerten; etwaige Nachreservierungen aufgrund veränderter Daten zur Lebenserwartung sind nicht zu eliminieren.
5. In die aufgrund einer im Jahr 2005 durchgeführten Rückgabe von Fondsanteilen vorzunehmende Ermittlung des besitzzeitanteiligen Anleger-Aktiengewinns gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 InvStG 2004 gehen ggf. auch Verluste aus Veräußerungen von Aktien ein, die sich auf Ebene des Fonds vor Inkrafttreten des InvStG 2004 (hier: im Jahr 2002) realisiert haben. Dies ist unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes unbedenklich.

Kurzbesprechung
BFH v. 29.9.2021 ‑ I R 40/17

AO § 39 Abs. 2 Nr. 1, § 42; KStG § 8b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 3, § 20 Abs. 2 Satz 2; EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a; HGB § 341g Abs. 1, Abs. 5; InvStG 2004 § 8 Abs. 1 bis 3; GG Art. 20 Abs. 3

Zwischen den Beteiligten bestehen verschiedene Streitpunkte im Hinblick auf die Festsetzung der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuermessbeträge des Klägers, Revisionsklägers und Revisionsbeklagten (Kläger), einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, der im Schaden- und Unfallversicherungsgeschäft tätig ist. Streitjahre sind 2005 bis 2008.

Zum I. Sachverhaltskomplex - Teilwertabschreibungen auf Rückübertragungsforde­rungen aus Wertpapierdarlehen hatte die Klage erstinstanzlich in diesem Punkt - mit Ausnahme des Streitjahrs 2005 -  überwiegend Erfolg (FG Nürnberg v. 13.12.2016, 1 K 1214/14). Das FG hat die Teilwertabschreibungen auf die Rückübertragungsforderungen dem Grunde nach steuermindernd anerkannt, jedoch unter Anwendung einer fünfprozentigen Bagatellgrenze und der Berücksichtigung geschätzter Anschaffungsnebenkosten der Höhe nach gemindert. Dies führte zur Berücksichtigung von Teilwertabschreibungen in Höhe von ... € (2005), ... € (2006), ... € (2007) und ... € (2008).

Im II. Sachverhaltskomplex - Bewertung der Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle - bildete der Kläger für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle Rückstellun­gen i.S. des § 341g HGB - Schadenrückstellun­gen -. Die diesbezüglichen Minderungsbeträge gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 KStG ermittelte er für die Streit- und die bestandskräftig veranlagten Vorjahre ohne Berücksichtigung der in § 341g Abs. 5 HGB angesprochenen Renten-De­ckungsrückstellungen. Zur Ermittlung verwendete er das im Schreiben des BMF vom 5.5.2000 (BStBl I 2000, 487) enthaltene Schema (Ablaufverprobung). Das FA beanstandete die Nichtberücksichtigung der Renten-Deckungsrückstellungen bei der Ermittlung der Minderungsbeträge i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 KStG. Die Durchführung einer Ablaufverprobung unter Einbeziehung der Renten-Deckungsrückstellungen war dem FA nicht möglich, weil die Rentenzahlungen vom Kläger nicht mitgeteilt worden waren. Streitig ist aber zwischen den Beteiligten, ob gemäß der Auffassung des FA bei der Ablaufverprobung für die Streitjahre der Nachreservierungseffekt zu eliminieren ist. Das FG schloss sich in diesem Punkt der Auffassung des Klägers an und kam auf diese Weise (unter Einbeziehung der gegenläufigen Effekte aus der Abzinsung der Schadenrückstellungen) für die Streitjahre 2005 bis 2007 zu Minderungen des Einkommens und des Gewerbeertrags gegenüber den angefochtenen Bescheiden um ... € (2005), ... € (2006) und ... € (2007). Für das Streitjahr 2008 ergab sich danach eine Erhöhung des Einkommens und des Gewerbeertrags um ... €, die das FG mit dem Minderergebnis aus dem Sachverhaltskomplex I saldiert hat.

Hinsichtlich des III. Sachverhaltskomplex - Hinzurechnung von negativen Anleger-Aktiengewinnen nach Rückgabe von Fondsanteilen im Jahr 2005 - hat sich das FG der im BMF-Schreiben vom 25.7.2016 (BStBl I 2016, 763, Rz 34) beschriebenen Auffassung der Finanzverwaltung angeschlossen, nach der die Behandlung des positiven oder negativen Aktiengewinns auf Anlegerseite sich gemäß dem ab dem Veranlagungszeitraum 2004 geltenden § 5 Abs. 2 Satz 1 InvStG 2004 unabhängig vom Zeitpunkt der Realisation nach der im Veräußerungs- oder Rückgabezeitpunkt geltenden Rechtslage bestimme. Ein Verstoß des § 5 Abs. 2 Satz 1 InvStG 2004 gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot sei damit nicht verbunden.

Im IV. Sachverhaltskomplex - Dividenden aus als Sicherheiten übereigneten Aktien - hatte der Kläger im Rahmen der Wertpapierdarlehens-Rahmenverträge des Sachverhaltskomplexes I darlehensweise festverzinsliche Wertpapiere an zwei Banken ausgereicht und von den Darlehensnehmerinnen als Sicherheiten Aktienpakete übereignet bekommen. Die dem Kläger aus den Aktien im Streitjahr 2006 zugeflossenen Dividenden in Höhe von ... € reichte er in Form von Kompensationszahlungen an die Sicherungsgeberinnen weiter. Der Kläger hat die Kompensationszahlungen als Betriebsausgaben angesetzt und die Dividendenzahlungen als nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei behandelt. Das FA hat die Anwendung des § 8b KStG auf die Dividenden abgelehnt, weil der Kläger nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden sei. Die diesbezügliche Klage hat das FG abgewiesen.

Gegen das FG-Urteil haben sowohl der Kläger als auch das FA Revision eingelegt. Das BMF ist dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 FGO - ohne eigenen Antrag - beigetreten.

Beide Revisionen sind unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zutreffend dahin erkannt, dass die Teilwertabschreibungen auf die Rückübertragungsforderungen aus den Wertpapierdarlehen teilweise anzuerkennen, dass bei der Berechnung der Minderungsbeträge i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 KStG die Nachreservierungseffekte nicht zu eliminieren und dass die streitgegenständlichen negativen Aktiengewinne im Streitjahr 2005 dem Einkommen und dem Gewerbeertrag des Klägers hinzuzurechnen sind.

Die Revision des FA zum Sachverhaltskomplex Teilwertabschreibungen auf die Rückübertragungsforderungen aus Wertpapierdarlehen ist unbegründet. Das FG ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass die Teilwertabschreibungen für die Streitjahre 2006 bis 2008 im zugesprochenen Umfang anzuerkennen sind und ihrer steuerlichen Berücksichtigung weder § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG noch § 42 AO a.F./n.F. entgegenstehen.

Auch im Hinblick auf den Sachverhaltskomplex Bewertung der Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle bleibt die Revision des FA ohne Erfolg.

Zum III. Sachverhaltskomplex hat das FG es zu Recht abgelehnt, die Hinzurechnung der nicht von der STEKO-Rechtsprechung erfassten negativen Anleger-Aktiengewinne, die sich als Veräußerungsverluste im Jahr 2002 auf Ebene der Fonds realisiert hatten, im Rahmen der Besteuerung des besitzzeitanteiligen Anleger-Aktiengewinns nach Rückgabe der Fonds-Anteile im Streitjahr 2005 rückgängig zu machen.

Über den nur das Streitjahr 2006 betreffenden weiteren erstinstanzlichen Streitpunkt der Steuerfreiheit von Dividenden aus dem Kläger als Sicherheiten übertragenen Aktien hat der Senat nicht zu befinden, weil der Kläger gegen die das Streitjahr 2006 betreffenden Bescheide keine Revision eingelegt hat. Da die Revision des FA im Hinblick auf das Streitjahr 2006 keinen Erfolg hat, kommt auch keine Berücksichtigung im Rahmen einer Fehlersaldierung in Betracht.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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