Zu den Voraussetzungen für einen Vollstreckungsaufschub
FG Köln 19.2.2014, 13 V 228/14Die Antragstellerin wandte sich im Februar 2014 mit der Bitte um gerichtliche Gewährung von Vollstreckungsaufschub an den beschließenden Senat. Darin gab sie an, dass sie seit ca. 25 Jahren selbstständig tätig und in der Vergangenheit ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Zunächst habe sie eine Werbeagentur betrieben, später ein Personalrekrutierungsunternehmen. Ende des Jahres 2012 sei sie ohne eigenes Verschulden in eine finanzielle Schieflage geraten, weil Aufträge nach Erbringung erheblicher Vorleistungen durch sie storniert worden seien. Ende 2012 seien dann Steuern fällig geworden, die sie aufgrund der geschilderten Situation nicht habe aufbringen können.
Die Marktentwicklung habe dazu geführt, dass sie in 2013 entschieden habe, eigenständig eine Personal- und Unternehmensberatung aufzubauen. Parallel dazu sollte das bisher betriebene Geschäft fortgeführt werden. Dies sei daran gescheitert, dass das Finanzamt die Geschäftsbeziehungen durch Ausbringung von Pfändungen bei ihren Auftraggebern zerstört habe. Die Antragstellerin ist sich sicher, innerhalb der nahen Zukunft (halbes Jahr) Aufträge generieren zu können, die sie in die Lage versetzen, ihren steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen. Das Finanzamt betreibt die Vollstreckung wegen Forderungen i.H.v. rund 41.000 €.
Der Bericht über die Liquiditätsprüfung wies aus, dass die Antragstellerin im Jahr 2010 Umsätze von ca. 65.000 €, im Jahr 2011 Umsätze von ca. 112.000 € und im Jahr 2012 i.H.v. ca. 60.000 € erzielt hatte. Die Gewinne wurden mit knapp 40.000 € (2010), knapp 57.000 € (2011) und knapp 20.000 € (2012) ausgewiesen. Weiterhin enthielt der Bericht den Hinweis, die Antragstellerin gehe davon aus, mit dem nächsten großen Auftrag alle Rückstände tilgen zu können. Die Antragstellerin wolle noch im April 2013 einen Businessplan zur Aufnahme eines Kredits für die Gewerbeumschichtung erstellen. Ein darauf basierende Antrag auf Vollstreckungsaufschub sollte eingereicht werden.
Das FG lehnte den Antrag auf Vollstreckungsaufschub ab.
Die Gründe:
Der Antrag war zwar zulässig. Insbesondere standen der Zulässigkeit des unmittelbaren Antrages auf einstweilige Gewährung von Vollstreckungsaufschub nicht die Begrenzungen gerichtlicher Entscheidungsbefugnisse durch § 102 FGO entgegen. In Fällen wie dem vorliegenden, in dem eine im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung begehrt wird, ist es umstritten, ob vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist. Da es dem Gericht nach § 102 FGO grundsätzlich verwehrt ist, anstelle der Verwaltung eine Ermessensentscheidung zu treffen, bestehen lediglich in den Fällen der Ermessensreduzierung auf null keine Bedenken gegen eine einstweilige Anordnung i.S. einer vorläufigen Regelung. In Fällen ohne eine derartige Ermessensreduzierung auf null, in denen also in der Hauptsache ein Bescheidungsurteil nach § 101 S. 2 i. V. m. § 102 FGO ergehen müsste, würde das FG bei Erlass einer einstweiligen Anordnung in den eigentlich der Verwaltung vorbehaltenen Bereich der Ermessensausübung (vorläufig) eingreifen.
Der BFH hat ausdrücklich offen gelassen, ob ein derartiges sog. Interimsermessen der Gerichte besteht. Andererseits hat er ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch bereits dann bestehe, wenn für eine günstige Ermessensentscheidung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe. Auch in der Literatur und der FG-Rechtsprechung ist die Frage der Ausübung von Interimsermessen in Fällen ohne Ermessensreduzierung auf null umstritten. Der beschließende Senat geht jedenfalls von der gerichtlichen Befugnis aus, im Rahmen der einstweiligen Anordnung im Hinblick auf Billigkeitsentscheidungen wie Stundung (§ 222 AO), Erlass (§ 227 AO) oder Vollstreckungsaufschub (§ 258 o. § 297 AO) Interimsermessen auszuüben.
Der danach ungeachtet der Frage einer eventuellen Ermessensreduzierung auf null zulässige Antrag der Antragstellerin auf vorläufige Gewährung von Vollstreckungsaufschub war aber im Ergebnis unbegründet, da die weiteren Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vorlagen. Die weiteren Voraussetzungen sind in der FGO durch Bezugnahme auf die Vorschriften der ZPO über das Arrestverfahren umschrieben. Danach besteht ein Anordnungsgrund, wenn eine einstweilige Regelung in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Soweit die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist, kann die Vollstreckungsbehörde sie einstweilen nach § 258 AO einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben.
Insbesondere für den Fall des Anerbietens von Ratenzahlungen durch den Vollstreckungsschuldner kann sich danach die Vollstreckung als unbillig erweisen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass der Vollstreckungsschuldner seine Zusage einhalten wird und wenn nach der Höhe der angebotenen Raten mit einer zügigen und kurzfristigen Tilgung der Steuerschulden gerechnet werden kann. Die Antragstellerin hatte jedoch nichts vorgetragen, was auf eine kurzfristige Tilgung der rückständigen Steuern schließen ließe. Sie hat lediglich eine vage Hoffnung auf die Erteilung lukrativer Aufträge vorgetragen. Dieser Vortrag fand sich sinngemäß im Bericht des Liquiditätsprüfers. Somit konnte nicht von einer Unbilligkeit i.S.v. § 258 AO ausgegangen werden.
Linkhinweis:
-
Der Volltext des Urteils ist erhältlich unter www.nrwe.de - Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.